Samstag, 5. Oktober 2024

Istanbul und Orlando: Blutiger Ramadan

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan spricht den Islam von den Attentaten in der vergangenen Nacht – mit dem indirekten Hinweis auf die angebliche Friedenspflicht im Ramadan – frei. Was er verschweigt: Viele Moslems glauben, dass es keine bessere Zeit als den Ramadan gäbe, um für den Glauben zu kämpfen. Ein Kommentar von David Berger

Der  Ramadan, der in wenigen Tagen mit dem schönen Brauch des dreitägigen Eid al-Fitr  (Zuckerfest) endet,  ist auch in diesem Jahr durch extrem gewalttätige islamistische Anschläge geprägt. Nach dem Massaker von Orlando folgte letzte Nacht das am Flughafen von Istanbul.

Mit den Selbstmordattentaten auf den Flughafen von Istanbul, die mindesten 36 Tote und über 150 Verletzte gefordert haben, erreichen wir weltweit eine neue Stufe des islamistischen Terrors. Keinen wundert es mehr sonderlich, dass Ministerpräsident Binali Yildirim und die Polizei hinter den Anschlägen Kämpfer bzw. Anhänger des Islamischen Staats vermuten.

Ebenso bezeichnend wie diese Vermutung ist freilich die Reaktion von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der sich nach den Anschlägen mit Regierungschef Yildirim und Generalstabschef Hulusi Akar traf. Nach Angaben der „Neue Zürcher Zeitung“ ließ er nach dem Treffen in seiner Erklärung wissen, „der Anschlag im heiligen Monat Ramadan zeige, dass der Terrorismus keinen Glauben und keine Werte habe.“

Das mit den fehlenden „Werten“ kann man wohl kaum in Zweifel ziehen, wenn es auch die Werte der dem Westen als Ideal dienenden offenen Gesellschaft sind, die man dort am schmerzlichsten vermisst.

Aus diesen Gründen war der Flughafen der Metropole am Bosporus auch nicht zufällig gewählt, gilt er doch als das „Tor zur Welt“, dort wo der Orient vom Abendland wichtige Impulse empfangen könnte und auch umgekehrt. Impulse, die die Islamisten nur gewalttätig und einseitig mit ihrem Dschihad als kriegerischer Eroberung der Welt für den Islam sehen wollen.

In einem Satz den Ramadan zu erwähnen, gleichzeitig vom fehlenden Glauben der Attentäter zu sprechen und damit indirekt den Islam komplett von dem freizusprechen, was der „islamische Staat“ dort angerichtet hat, ist allerdings an Chuzpe nur noch durch die sonstigen Beziehungen Erdogans und seiner Familie zum IS zu überbieten.

Völlig zurecht werden Politiker bei uns immer vorsichtiger mit ihrem pauschalen Ruf, das habe nichts mit dem Islam zu tun. Völlig zurecht hat keine Geringere als Seyran Ates jüngst zu dem islamistischen Terror fest gestellt: „Doch, er hat leider mit dem Islam zu tun. Solange wir das leugnen, kommen wir keinen Millimeter weiter. Wir überlassen den Militanten und den fundamentalistischen Staaten die Deutungshoheit über unsere Religion.“

Mit der Aussage spielt Recep Tayyip Erdogan auf die viel zitierte Regel hin, nach der im Fastenmonat Ramdan – wegen der durch das Fasten geschwächten Krieger – ein Verzicht auf Kriege gegen verfeindete Stämme und Ungläubige eingehalten werden sollte. Nach Ablauf dieser Frist gelte jedoch laut Koran (9. Sure): „Wenn nun die Schutzmonate abgelaufen sind, dann tötet die Götzendiener, wo immer ihr sie findet, ergreift sie, belagert sie und lauert ihnen aus jedem Hinterhalt auf!“

Da klingt es erst mal plausibel, dass es die Attentäter von Orlando und Istanbul mit dem Glauben nicht so ernst meinen, denn sonst hätten sie mit ihren Dschihad-Aktionen bis Ende dieser Woche warten müssen. Wer aber die Geschichte des Islam ein wenig kennt, weiß, dass Krieg und Gewalt im Monat Ramdan nie wirklich ein Tabu waren. Die „Welt“ zitierte dazu vor einiger Zeit Jaffar Abdel Salam, den stellvertretenden Rektor der wichtigsten arabisch-islamischen Universität Al Azhar in Kairo:

„Nach dem Koran gibt es vier Monate, in denen der Angriffskrieg verboten ist, doch der Ramadan gehört nicht dazu … Einige Moslems glauben gar, es gebe keine bessere Zeit, um für eine gerechte Sache zu kämpfen.“

Die Tradition den Ramadan als beste Zeit zu sehen, um für den Glauben zu kämpfen, geht bis auf Mohammed zurück: Schon im Ramdan 624 konnte die noch junge Moslemschar einen großen Sieg gegen die verfeindeten Mekkaner feiern und ebenfalls im Fastenmonat, diesmal des Jahres 630, eroberte Mohammed Mekka, was fortan zur heiligen Stadt der Muslime werden sollte.

Die Krieger des Islamischen Staats werden sich also wohl durch Schrift und Tradition ihrer Religion bestätigt sehen, wenn sie „wie Propheten“ seelenruhig durch Menschenansammlungen schreiten und um sich schießen. Eines bleibt freilich – angesichts der Devise nur gegen verfeindete Stämme und Ungläubige zu kämpfen – etwas unklar: Wie sind die Attentate von letzter Nacht mit den bereits erwähnten Beziehungen Erdogans und seiner Familie zum IS zu vereinbaren?

© Foto: Screenshot youtube https://www.youtube.com/watch?v=Ptz1N_0oh0o

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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