Sonntag, 16. November 2025

„Versöhnen, nicht spalten“: Johannes Rau versus Frank-Walter Steinmeier

Wer heute vorgibt, die Demokratie retten zu wollen, sollte sich an jenen Politikern ein Beispiel nehmen, die (noch) wahre Demokraten waren. Wer aus der Geschichte lernen will, muss die richtigen historischen Vorbilder suchen. Ein solches Vorbild war Johannes Rau. Ein Gastbeitrag von Frank Steinkron.

Frank-Walter Steinmeier als Spalter: In seiner Rede zum 9. November 2025 hat Frank-Walter Steinmeier erneut sein Amt missbraucht, um die Nation weiter zu spalten. Während Joachim Gauck die AfD-Wähler im Osten „nur“ als Dunkeldeutsche bezeichnete, rief Steinmeier indirekt, aber doch unmissverständlich zu einem AfD-Parteiverbot, zum Entzug des passiven Wahlrechts und zum Ausschluss von jeder politischen Teilhabe auf. Der wohlfeile Applaus des anwesenden Establishments, Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz eingeschlossen, war ihm gewiss.

Johannes Rau als Versöhner: Wie sehr sich das Selbstverständnis des Amtes, das eigentlich dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen soll, wie sehr sich aber auch die Programmatik der einstigen Volkspartei SPD verändert haben, zeigt der Vergleich mit einem anderen sozialdemokratischen Bundespräsidenten: mit Johannes Rau. Dessen Devise lautete bereits als Ministerpräsident von Nordreih-Westfalen „Versöhnen, nicht spalten“.

Dieser Grundsatz bedeutete für Rau keineswegs Harmonisierung um jeden Preis, wie es heute die Altparteien untereinander (bis hin zur Kartellbildung) praktizieren. Wohl aber meinte er das konstruktive Ringen um Konsens und um gegenseitigen Respekt. Konflikte sollten nicht provoziert, aber auch nicht überdeckt oder gar unterdrückt werden (etwa durch Zensur oder polizeiliche Repression). Ziel war die offene Aussprache und die Suche nach gemeinsamen Lösungen.

Dies bewies Rau nicht zuletzt in der Rede, die er im Mai 1998 anlässlich seines Rücktritts als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hielt.

 Bekenntnis zu deutscher Identität und historischen Traditionen

Zugegeben, dieser Wille zur Versöhnung bezog sich auch auf die Integration von Ausländern – allerdings lange vor der von Angela Merkel ausgelösten Massenmigration und deren verheerenden Folgen. Vor allem aber verurteilte Rau, anders als Steinmeier, nicht jene, die an deutscher Identität und historisch gewachsenen Traditionen festhalten wollten – im Gegenteil.

„Wer die Zukunft gestalten will, muss wissen woher er kommt. … So vielschichtig wie seine Vergangenheit, so vielschichtig wie seine Landschaften, so kontrastreich sind auch die Eigenarten der Menschen. … All das kann nur verstehen, wer die vielfältigen geistigen und religiösen Traditionen kennt, die unser Land prägen (in diesem Fall Nordrhein-Westfalen; Anm. d. Verf.). Da gibt es den Ravensberger ebenso wie den Wuppertaler Pietismus, den Paderborner Katholizismus wie den des Münsterlandes, die Freiheitsliebe der Rheinländer und den Freisinn der Lipper.“

Die Behauptung, der Islam gehöre zu Deutschland, findet sich bei Rau nicht.

 Ein Politiker muss die gesamte Bevölkerung repräsentieren und mit allen reden

Ebenso war es für Rau eine Selbstverständlichkeit, die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit zu repräsentieren, mit allen Parteien und politischen Gruppierungen ins Gespräch zu kommen, ohne bestimmte Ansichten von vornherein auszublenden.

Noch wichtiger als die Gesprächsfäden auch in anderen Fraktionen des Parlaments war es mir, dass ich mir in allen Ämtern und in allen Funktionen ein möglichst ungefiltertes Bild machen konnte von dem, was Menschen in unserem Land bewegt.

 Lernen sogar von völlig konträren Positionen

Rau war sogar bereit, aus Positionen, die konträr zum eigenen Denken standen, zu lernen.

„Meine Erfahrung sagt mir, dass konstruktive Kritik auch dann als Ansporn dienen kann, wenn man selber sie für nicht ganz berechtigt hält oder wenn man sie nur teilweise verstehen kann. Am fruchtbarsten habe ich immer jene parlamentarischen Debatten empfunden, in denen quer durch alle Fraktionen spürbar wurde, dass die Welt sich nicht auf schwarz oder weiß reduzieren lässt – selbst dann nicht, wenn klare und eindeutige Entscheidungen nötig sind.“

Am allerwenigsten war Rau ein Ideologe, der sich im Alleinbesitz der Wahrheit wähnte.

„Ich lasse mich da von einer Einsicht leiten, die André Gide so formuliert hat: ‚Vertraut denen, die die Wahrheit suchen. Misstraut denen, die sie gefunden haben.‘ “

 Gegen Mauern, die Menschen trennen

All jene, die heute die Opposition als Faschisten diffamieren, um sich selbst als „Antifaschisten“ aufzuspielen, haben vergessen, dass diese Strategie nicht zuletzt auf Josef Stalin zurückgeht, der sie nach 1945 gnadenlos nutzte, um alle bürgerlichen und konservativen Kräfte im sowjetisch besetzten Europa zu eliminieren. Ein spätes Resultat war die Berliner Mauer. Nicht von ungefähr wurde sie in der offiziellen DDR-Terminologie als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet. Am 9. November jährte sich der Fall der Mauer und damit auch der Zusammenbruch des kommunistischen „Antifaschismus“. Und ausgerechnet an diesem Tag belebte Steinmeiner diesen „Antifaschismus“ durch die Beschwörung der Brandmauer wieder, erklärt ihn sogar zur Staatsräson. So ist seine Brandmauer letztlich das, was Johannes Rau seinerzeit über die Berliner Mauer sagte: eine das Land spaltende Grenze und

das Kainsmal eines Regimes, das Machterhalt und Ideologie über Menschenrecht und Menschenwürde gestellt hat. … Daraus folgt für uns alle eine doppelte Verpflichtung: … Wir müssen uns des Geschenkes der Einheit würdig erweisen, indem wir sie gemeinsam und im Interesse aller gestalten.“

Fazit:

Wer heute vorgibt, die Demokratie retten zu wollen, sollte sich an jenen Politikern ein Beispiel nehmen, die (noch) wahre Demokraten waren. Wer aus der Geschichte lernen will, muss die richtigen historischen Vorbilder suchen.

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