Es kommt nicht allzu häufig vor, dass ein Spitzenpolitiker ein aktuelles Buch rezensiert. Doch Björn Höcke ist eben auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Wie auch die Autorin des Buches, Ulrike Guérot, eine ganz besondere Wissenschaftlerin ist. Spätestens seit dem von Flavio von Witzleben initiierten und moderierten Gespräch zwischen den beiden, muss auch der heftigste Kritiker zugeben: „Da haben sich zwei gefunden!“
Hier nun die Buchbesprechung von Björn Höcke:
Ulrike Guérot sieht »Zeitenwenden« und hat ein gleichnamiges Buch vorgelegt, dem man durchgehend anmerkt, daß es nach einer persönlichen Zäsur geschrieben wurde. Diese Zäsur ist die Kündigung der Politikwissenschaftlerin durch die Universität Bonn nach Erscheinen des Buches »Endspiel Europa«. In diesem entfaltete Guérot 2022 zusammen mit ihrem Ko-Autor Hauke Ritze u.a. eine alternative Sichtweise auf die Ursachen des Ukraine-Krieges, indem sie dem Westen eine beträchtliche Mitschuld nachwies. Detailliert kann der Leser der »Zeitenwenden« sich in Anmerkung 4, auf Seite 217/218 über den »Fall Guérot« informieren. Die Universität Bonn hat mit ihrer Professorin und die ehemalige Professorin mit der deutschen Universität der Gegenwart gebrochen: Verschulung, Tugendterror und Drittmittelabhängigkeit hätten der freien Wissenschaft den Garaus gemacht. »An was geforscht werden soll, entscheidet das Geld, nicht die Neugier«, führt sie in »Zeitenwenden« aus und spricht mit Blick auf die Hochschulen von »organisierter Wissenschaftskriminalität«.
Im Rückblick ist der Verlust der Professur für die Autorin jedoch ein – wenn auch erzwungener – Akt der Emanzipation gewesen. Im Vorwort ihres neuesten Werkes resümiert sie: »Dieses Buch ist mein freiestes Buch, denn ich habe, wie die großartige Janice Joplin damals gesungen hat, nicht mehr viel zu verlieren, nothing left to lose. Ich habe in den Jahren ab 2022 nach zwei Büchern, die irgendwie nicht sein durften, gelernt, dass Geld nicht wichtig ist und man für Geld seine Wahrhaftigkeit und Würde niemals aufs Spiel setzen sollte. Ich habe gelernt, auf die Meinungen anderer über meine Person zu pfeifen.«
Sprachstark war Ulrike Guérot schon immer. Seit ihren Erfahrungen mit dem Corona-Regime und nun verstärkt durch ihre erzwungene »Entbürgerlichung« kommt ein dissidenter Geist hinzu, der sie Klartext reden läßt. Die Kriegsvorbereitungen des Establishments sieht sie mit Johannes Agnoli als Versuch eine »oligarchisch-autoritäre Praxis« über einen Notstand durchzusetzen. Eine »extremisierte Mitte« kämpfe in Deutschland der Gegenwart gegen zwei Feinde: einen inneren jenseits der Brandmauer und einen äußeren: Putin. Para-totalitäre Strukturen entstünden, weil die Regierenden den Bürger als homo oeconomicus und homo digitalis berechenbar machten.
Für die Bundesrepublik sieht sie eine »Stasis«, eine gesellschaftliche Stockung, die dazu führt, daß Diskussionen über das Eigentliche, über wichtige Vorgänge, die die Lebensfähigkeit der Gemeinschaft betreffen, nicht mehr geführt würden. »Die Gefahr ist, dass eine Amöben-Demokratie, die rückgratlos ihre Würde und ihre Freiheit für einen Virus auf den Tisch gelegt hat auch alles andere im Wahn oder für eine andere Hysterie auf den Tisch legen wird.« Man kann sagen, daß die Autorin mit Blick auf den Zustand unserer Demokratie wirklich schwarzsieht. Und so kommt sie an dieser Stelle zu dem Schluß: »Ich behaupte nämlich, dass die Bundesrepublik in ihrer derzeitigen Form nicht mehr lange Bestand haben wird.«
Aber Resignation ist nicht die Sache der kämpferischen Politologin. Mit Blick auf die europäische Geistesgeschichte beschwört sie eine Renaissance des alten Europas im Geist des Schönen, Wahren und Guten. Die Flucht nach vorne möchte sie in Form einer zu gründenden »Republik Europa« antreten. Eine europäische Staatsbürgerschaft soll bewußtseinsbildend wirken. Daß ich hier als Freund organischen Wachstums und dezentraler Strukturen, in denen das Subsidiaritätsprinzip gelebt und regionale bzw. nationale Identitäten erhalten werden können, meine Bedenken anmelden muß, soll hier nichts zur Sache tun. Der Gedanke europäischer Unabhängigkeit ist richtig. Europa muß ein eigenständiger Pol in der neu entstehenden multipolaren Weltordnung werden und eine Sicherheitsarchitektur in Weiterentwicklung der OSZE unter Einbeziehung Rußlands aufbauen.
Mit Blick auf die internationale Lage entfaltet Guérot nach der Stasis-These die zweite zentrale These des Buches, die davon ausgeht, daß Donald Trump die Rolle der USA als Welthegemon (Unilateralismus) abgehakt hat und unter Einbeziehung Israels, der EU-Staaten, Mittelamerikas und Teilen Ozeaniens einen »westlichen Block« gegen die BRICS schmieden will, der über wirtschaftliche und militärische Autonomie verfügt: »Meine These ist, dass hinter den Kulissen sowohl innerhalb der USA als auch innerhalb Europas ein Machtkampf tobt, um die Frage zu entscheiden: Fusion Europas mit den USA oder Abkoppelung der USA von Europa.« Ulrike Guérot lehnt den Weg in Richtung USAEU klar ab und erinnert daran, daß europäischer Gemeinsinn nicht mit dem amerikanischen Konzept eines atomisierten Individuums in Übereinstimmung gebracht werden kann.
Ihr Buch schließt mit einer kleinen Hausordnung für die Republik. Würde jeder Bürger diese Hausordnung befolgen, müßte uns um Rechtsstaat, Demokratie und Frieden in Deutschland und Europa nicht bange sein.
ZeitenWenden: Skizzen zur geistigen Situation der Gegenwart Gebundene Ausgabe – 19. Mai 2025, Westend, 224 Seiten, ISBN-10: 3864894859, 24 €.