Freitag, 23. Mai 2025

Weltkriegsgedenken: Aus der Geschichte lernen? Nicht mit uns!

Die aggressive Politik der Bundesregierung gegenüber Russland spielt mit dem Feuer. Ein Gastbeitrag von Frank W. Haubold.

Eine persönliche Anmerkung vorweg. Für mich ist der 8. Mai 1945 kein Grund zum Feiern, wie es in der DDR verordnet wurde und mittlerweile auch in der Bundesrepublik gehandhabt wird. Befreit wurden nur die überlebenden Opfer des NS-Regimes und jene, die in die innere oder äußere Emigration gegangen waren. Für viele Deutsche, vor allem in den Ostgebieten, begann dagegen ein neues Martyrium mit Verhaftungen, Deportationen, Vergewaltigungen und Lagerhaft. Mein Großvater mütterlicherseits wurde am 6. Juni 1945 vom NKWD abgeholt und kam nie wieder. Der Rest der Familie musste Tage später die Heimat im Sudetenland in Richtung Sachsen verlassen. Meine Mutter hat diesen Absturz nie verwunden, und die Tatsache, dass andere noch viel schlimmer gelitten haben, ist für niemanden ein Trost.

Krieg ist die Hölle, und wer ihn „glücklich“ überlebt, ist für immer gezeichnet. Eine der wichtigsten Lehren aus der physischen und moralischen Katastrophe des 2. Weltkriegs war deshalb: Nie wieder Krieg! Man kann über die DDR, die ja letztlich eine Diktatur von Moskaus Gnaden war, viel Negatives sagen und sollte es auch, aber bei aller ideologischen Verirrung blieb das unbedingte Friedensgebot bis zu ihrem Zusammenbruch Staatsräson.

Das hatte ich wie selbstverständlich auch für die Bundesrepublik und das wiedervereinte Deutschland angenommen, schon allein auf Grund der geschichtlichen Verantwortung Deutschlands für Millionen Ermordete und Kriegstote, darunter fast 27 Millionen Sowjetbürger. Doch was ich in letzter Zeit im Zusammenhang mit dem Ukrainekonflikt immer öfter zu hören und lesen bekomme, lässt mich sowohl am moralischen Kompass als auch am Verstand der Protagonisten zweifeln.

Da ist von „Kriegstüchtigkeit“ die Rede (übrigens eine von Joseph Goebbels Lieblingswendungen), ein nicht unbedingt für Enthaltsamkeit bekannter ehemaliger Bundespräsident empfahl uns zunächst, dass „wir auch einmal frieren können für die Freiheit“ (womit er gewiss nicht sich selbst meinte) und beklagt neuerdings öffentlich, die militärische und mentale Schwäche Deutschlands, wobei mit mentaler Schwäche gemeint sein dürfte, dass die meisten seiner Landsleute bislang keinerlei Neigung zeigen, gegen Russland in den Krieg zu ziehen.

Zur besten Sendezeit fragt dann das Ex-Schlagersternchen Caren Miosga im Staatsfernsehen ausgerechnet Joseph Fischer, jenen Mann, der mit seinen Propagandalügen („Hufeisen-Plan“) Deutschland in den völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieg getrieben hat, allen Ernstes, wie man die deutsche Pazifismus-DNA „überschreiben“ könne.

Über die demagogischen Einlassungen der Rüstungslobbyistin Strack-Zimmermann oder des irrlichternden Ex-Militärs Roderich Kiesewetter gehe ich an dieser Stelle einmal vornehm hinweg, obwohl die Frage erlaubt sein muss, was die Union getrieben hat, diesen Herrn als verteidigungspolitischen Sprecher zu benennen. Wie dünn die Personaldecke der CDU sein muss, zeigt die geplante Ernennung des „Sicherheitsexperten“ Johann Wadepuhl zum Außenminister, der diplomatisch eigentlich längst verbrannt ist, nachdem er sich von russischen Komikern hatte hereinlegen und im Gespräch mit einem vermeintlichen ukrainischen Amtsträger zu der Äußerung hatte hinreißen lassen, Russland würde immer „unser“ Feind bleiben.

Wer also geglaubt hatte, die diplomatisch-intellektuelle Talsohle im Außenamt wäre mit der Verabschiedung von Annalena Baerbock durchschritten, sieht sich somit auf fatale Weise getäuscht. Deswegen wundert sich auch niemand mehr, dass ihr designierter Nachfolger Frau Baerbock in den höchsten Tönen insbesondere für ihre Ukraine-Politik lobte. Wenn erfolgreiche Diplomatie allerdings darin besteht, alle potentiellen Verhandlungspartner mit Ausnahme des Schauspielers aus Kiew vor den Kopf zu stoßen, dann war Frau Baerbocks Amtsführung durchaus erfolgreich.

Aber Sarkasmus einmal beiseite, was jetzt kommt, ist alles andere als lustig, sondern eine geschichtslose Pervertierung von Diplomatie und Anstand sondersgleichen. In einer ausdrücklich als geheim eingestuften Handreichung empfiehlt das Auswärtige Amt: „Im Inland grundsätzlich keine Teilnahme offizieller Stellen an Veranstaltungen auf Einladung von Russland/Belarus und keine Einladung an russische und belarussische Vertreter zu Gedenken von Bund, Ländern und Kommunen.“ Und geht sogar noch weiter: „Sollten Vertreter von Russland oder Belarus bei Veranstaltungen im Inland unangekündigt erscheinen, können Einrichtungen in eigenem Ermessen und mit Augenmaß von ihrem Hausrecht Gebrauch machen.“ Im Klartext heißt das: „Kommen die Russen, um ihrer Opfer im Kampf gegen Nazideutschland zu gedenken, dann schmeißt sie raus!“ Das muss man nicht weiter kommentieren…

Angesichts dieser Dimension an Geschichtsvergessenheit verwundert es dann auch nicht mehr, dass sich alle Genannten einschließlich des zukünftigen Bundeskanzlers Friedrich Merz dafür aussprechen, dem Regime in Kiew (ich schreibe hier ausdrücklich nicht „der Ukraine“, die ja aus einer Vielzahl von Volksgruppen mit unterschiedlichen politischen Ansichten und Zielen besteht) deutsche Taurus-Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen, deren Programmierung nach Aussage von Ex-NATO-General Kujat durch deutsche Soldaten erfolgen müsste, was dann wohl nicht nur aus russischer Sicht einer direkten deutschen Kriegsbeteiligung entspräche.

Was noch vor wenigen Jahren undenkbar war, wird aktuell tagtäglich mit allerlei Tatarenmeldungen über einen angeblich bevorstehenden Angriff Russlands auf die NATO ernsthaft diskutiert, als sei letzteres keine von willfährigen „Experten“ propagierte Wahnvorstellung, sondern eine Tatsache. Dabei besteht die reale Gefahr in der permanenten Einmischung Deutschlands und der EU in den Ukrainekonflikt, die inzwischen sogar so weit geht, den von der Trump-Administration angeschobenen Friedensprozess zu torpedieren und Selenskyj zu suggerieren, es könne den Krieg auch allein mit den Europäern ohne US-Unterstützung gewinnen, was ebenso unsinnig wie gefährlich ist, denn die Nationalisten in Kiew würden auch einen Weltkrieg in Kauf nehmen, um Russland zu schaden.

Dabei beweist der zukünftige Außenminister Wadepuhl ein beeindruckendes Maß an Realitätsverlust und Anmaßung, wenn er öffentlich äußert: „Wir werden nicht zulassen, dass der Ukraine Frieden diktiert wird.“ Aha, und wie soll das praktisch aussehen? Kampf bis zum letzten ukrainischen Soldaten? Oder gar ein direktes Eingreifen der NATO in den Konflikt?

Die deutsche Politik verhält sich wie ein Pokerspieler mit zwei Achten im Blatt (ein Rest an wirtschaftlicher Stärke), der gegen einen Gegner mit mindestes drei Assen (Rohstoffe, Patriotismus, Kampferfahrung) den Einsatz immer höher treibt und dabei wie ein Kind im Keller laut ruft: „Ich habe keine Angst vor einem Atomkrieg!“ (Originalton Friedrich Merz).

Man könnte über diese Mischung an Realitätsverweigerung, Dilettantismus und Selbstüberhöhung die Schultern zucken, wenn nicht die Gefahr bestünde, dass die Verantwortungslosigkeit der politischen Handlungsträger unser Land tatsächlich in einen Krieg und letztlich die Auslöschung treibt. Dazu könnte schon ein erfolgreicher Angriff mit einem Taurus-Marschflugkörper auf russisches Territorium genügen, der ggf. mit einem Oreschnik-Gegenschlag beantwortet werden würde. Dann wäre das Tor zur Hölle geöffnet…

Am 6. Mai soll Friedrich Merz zum Bundeskanzler gewählt werden. Vielleicht – aber diese Hoffnung ist nur schwach – finden sich doch noch einige Abgeordnete, die es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, einen Mann in das höchste Staatsamt zu wählen, für den Krieg gegen Russland eine ernsthafte Option darstellt. In Abwandlung von Brechts Karthago-Zitat könnte es eines Tages heißen:

Das große Deutschland führte drei Kriege.

Nach dem ersten war es noch mächtig.

Nach dem zweiten war es noch bewohnbar.

Nach dem dritten war es nicht mehr aufzufinden.

PP-Redaktion
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Eigentlich ist PP nach wie vor ein Blog. Dennoch hat sich aufgrund der Größe des Blogs inzwischen eine Gruppe an Mitarbeitern rund um den Blogmacher Dr. David Berger gebildet, die man als eine Art Redaktion von PP bezeichnen kann.

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