Donnerstag, 21. November 2024

Die Mission des Julian Reichelt: Destabilisiere die AfD, damit sie CDU-anschlussfähig wird

Ein Gastbeitrag von Dennis Riehle

Nein, man muss Björn Höcke nicht mögen. Weder für seine politischen Auffassungen, noch in seiner Person. Und deshalb ist es natürlich vollkommen zulässig, dass Julian Reichelt den Thüringer Politiker zuletzt derart hart anging, dass er der AfD das Potenzial zur Regierungsverantwortung zusprach, sofern sie sich von dem zweifelsohne umstrittenen, polarisierenden und provozierenden Charakter lossagt. Aber ist es nicht deutlich zu kurz gedacht, das Erklimmen von Einfluss allein an einem Vertreter der Blauen festzumachen, der eben nicht nur streitbar ist, sondern auch eine Menge Wähler, Mitglieder und Sympathisanten an die Alternative für Deutschland bindet?

Liest man sich die Zeilen des „Nius“-Kommentators in ihrer Gänze durch, so macht der konservative und stets seine Nähe zur CDU durchblicken lassende Journalist ein ziemlich vergiftetes Angebot in Richtung der Alternative für Deutschland. Er prognostiziert ihr die Möglichkeit, an der Macht teilzuhaben, sollte sie dem ehemaligen Lehrer nicht nur das Vertrauen entziehen, sondern ihn gar aus den eigenen Reihen entfernen. Man könnte auf den ersten Blick denken, hier meine es jemand gut mit einer Kraft, die in den Medien regelmäßig Denunziation, Diffamierung und Brandmarkung ausgesetzt ist.

Anscheinend ist es aber eine ganz andere Mission, die mein Kollege verfolgt. Denn sein Versuch zur Spaltung eines Wettbewerbers auf dem ideologischen Tableau wird nicht nur im Laufe seines Textes offenkundig. Stattdessen stehen seine kolumnistischen Einschätzungen in einem Kontinuum, an der Ausrichtung eines etwaigen Partners der Christdemokraten mitwirken zu wollen, mit dem sich eine Koalition in der Zukunft anzubandeln ließe – die jedoch Farbe und Glanz verloren hätte, würde sie sich auf das Manöver einlassen, Abstand zu nehmen von einem patriotisch, vielleicht auch völkisch und nationalistisch ausgerichteten Kopf, dessen Standpunkte, Positionen und Forderungen nicht selten auch bei mir auf Widerspruch stoßen.

Denn sie sind oftmals in einer sprachlichen Ungenauigkeit formuliert, die einen erheblichen Interpretationsspielraum zulassen. So bewegt er sich häufig im Grenzbereich zwischen der zulässigen Meinungsäußerung einerseits und der Verwendung von Vokabeln andererseits, die bei einer negativen Auslegung durchaus in der Lage sind, Erinnerungen an die Vergangenheit zu wecken. Nachdem wir aber zumindest offiziell weiterhin in einem Rechtsstaat leben, muss eine Beurteilung stets von der für den Angeschuldigten günstigsten und positivsten Konnotation ausgehen.

So zeigt es sich auch aktuell bei einem Streit zwischen Höcke und Wagenknecht. Die BSW-Chefin musste sich zwar korrigieren, weil sie ihrem Widersacher im Nachgang der Berichterstattung durch die FAZ ein ungenaues Zitat unterstellte. So hatte der 52-Jährige nicht davon gesprochen, dass er kein Problem mit einem Bevölkerungsrückgang von 20 bis 30 Millionen Bürgern habe. Stattdessen artikulierte er eine Prozentangabe. Und er verband sein Dafürhalten mit der Bedingung, dass politische „Maßnahmen“ eingeleitet würden, die Einwohnerzahl Deutschlands wieder zu stabilisieren.

Dass daraus umgehend die Schlussfolgerung gezogen wurde, er wolle nahezu alle Ausländer zwangsweise rückführen, legt die voreilige und tendenziöse Bereitschaft frei, ihm per se eine verwerfliche Denkrichtung zu unterstellen. Doch der Fraktionschef im Erfurter Landtag hatte seine Einlassungen aus dem Jahr 2023 umgehend kontextual verortet. Seine Absicht sei es gewesen, auf die Auswirkungen des demografischen Wandels hinzuweisen, die er zwar hinnehmen, aber gleichzeitig durch eine die Familie, den Nachwuchs und das Elternsein wieder stärkende Gesellschaftspolitik abfedern würde. Er setzt sich darüber hinaus nach eigenen Angaben für eine konsequente Regulierung der illegalen Migration ein, weil diese die kulturelle Balance in unserem Land gefährde. Allerdings hat er mit keiner Silbe von einer unzulässigen Abschiebung sogar derjenigen gesprochen, die Wurzeln in der Fremde haben, aber bei uns vorbildlich integriert sind.

Man kann ihm in böswilliger Absicht etwas in den Mund legen und eine Stoßrichtung annehmen, die die Impression verschärft, er wolle Prinzipien wie die gleichrangige Menschenwürde aushebeln. Doch dann bewegen wir uns auf einem Terrain der Mutmaßungen, das wiederum nicht geeignet ist, fair und sachlich darüber zu diskutieren, welche konsequenten Maßnahmen nötig sind, um die Bundesrepublik wieder in ein sicheres Fahrwasser zu bringen. Darauf abzustellen, die Souveränität und Integrität von Schwarz-Rot-Gold zu erhalten, ist nicht anrüchig, sondern geboten.

Und dieser Auftrag scheint nach Auffassung vieler Menschen bei uns das derzeit vorrangigste Bestreben. Denn bei einer nüchternen und ehrlichen Herangehensweise kommt man nicht um das Eingeständnis herum, dass  die ungezügelte Einwanderung – in geschlechtersensiblem Zeitgeist gesprochen – Vater und Mutter eines Großteils der Probleme ist, die die Allgemeinheit aktuell sorgen. Da geht es eben nicht nur um die deutlich ansteigende Kriminalität durch Täter mit ethnischem Ursprung in der Ferne. Sondern exemplarisch auch um die Auswirkung des massenhaften Zustroms von Gästen auf unsere Sozialversicherung, auf den Wohnungsmarkt, auf das Gesundheitssystem, auf die Rente oder auf den Bildungssektor. Würde sich die AfD tatsächlich durchringen, im offenbaren Geiste von Reichelt eine Rolle rückwärts zu ihren Anfängen zu machen, als sie vor allem eurokritische und wirtschaftsliberale Thesen vertrat, gäbe sie nicht nur ihrem Alleinstellungsmerkmal auf, als einzig überzeugender Akteur dezidiert auf den Erhalt von Volk, Tradierung und Prägung zu beharren.

Stattdessen würde sie Höcke leichtfertig und um des lieben Friedens willen von Bord werfen, könnte aber gleichzeitig Meuthen wieder an Deck holen. Die Partei ist nicht zuletzt deshalb so erfolgreich geworden, weil sie programmatisch umgeschwenkt ist von einem bloßen Abklatsch der Union hin zu einem Profil, das ansonsten niemand in dieser Stringenz bietet. Es geht somit um eine Richtungsentscheidung, die am Ende aber nicht von einem Kommentator getroffen wird, der unverhohlen im Sinn und Zweck handelt, in einer gar nötigenden Art und Weise jenen ideologischen Konkurrenten zu destabilisieren, dessen Position und Funktion in der Gesamtschau bisweilen überbewertet erscheint. Man würde sich also entkernen, eine mühsam gewachsene Seele wieder preisgeben und ganz erhebliche Verluste bei den kommenden Wahlen hinnehmen, verzichtete man auf diesen Pol. Denn es wäre ein entlarvende Signal, würde ausgerechnet die Alternative für Deutschland mit einem antidemokratischen Schachzug einen konfrontativen Mann ausschließen, dessen Gangart niemandem gefallen muss, der aber ein bedeutsames Gegengewicht zu den Gemäßigten darstellt – unter anderem im Landesverband Nordrhein-Westfalen.

In der Folgenabwägung wäre der Schaden viel immenser, würden sich Weidel und Chrupalla des rechtsextremistisch Stigmatisierten entledigen, als optional eine interne Spannung auszuhalten, die letztlich in einer unbedingt heterogenen Gruppe vor der Implosion schützt. Daher kann mein Rat nur sein: Man sollte sich nicht auf journalistische Ratschläge verlassen, die sich bei einer gewissen Distanz als Trojanisches Pferd enttarnen.

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