Donnerstag, 21. November 2024

Der Bildersturm im Namen „Gottes“ und eine geheimnisvolle Afrikanerin

Die Geschichte vom armen Madonnen-Schnitzer, dem guten Hirten und bösen Magister (Teil 3). Eine Novelle von Klaus Lelek

Herr und Hund erreichten das Glasmacherdorf am späten Nachmittag. Sie dünkten gleichermaßen sichtlich erschöpft. Der Pater hinkte und der Hund, Spiegelbild seines Herren, trottete mit hängendem Kopf neben ihm her.  Es dunkelte heuer sehr früh, was seine Ursache darin hatte, dass der regenreiche Sommer schon im Ernting einen frühen Herbst bescherte, welcher mit kreuchendem Nebel und mancherorts sogar eisigem Harsch einherging. Menschen, die ihnen begegneten, nahmen sie kaum wahr. Ein altes Weib, welches am Wegesrand Löwenzahn für ihre Ziegen rupfte, erzählte, der Pater hätte beim Gehen manchmal einen großen Schritt gemacht, als wäre er über ein unsichtbares Hindernis gestolpert. Der Hund habe ängstlich zu seinem Herrn aufgeschaut. Die Augen des Paters wären starr auf den Weg gerichtet gewesen. Sie habe geglaubt der Gottesmann habe wohl zu viel Wein getrunken. Ihr Gruß sei nur zögerlich erwidert worden.

Pater Paul betrat zuvorderst die Kirche. Das Gotteshaus lag von Mauern umgeben und einer gewaltigen Linde beschattet auf einem kleinen Hügel, dem Krähenberg gegenüber. Zusammen mit dem prächtigen Pfarrhaus thronte sie über dem kleinen Dorfe gleich einer Trutzburg. Im Lande ging die Mär, dass vor Urzeiten die Ahnen auf diesem Hügel zuvorderst einem noch heute sichtbaren Felsen der heidnischen Göttin Holla geweiht hätten, welcher vom heiligen Bonifatius nicht zerstört, sondern zu einer Kanzel umgewandelt wurde, von welcher er, den Heiden im Tale die Kunde von Jesus Christus verkündet habe. Drei Generationen später in der Zeit des großen Frankenkaiser Karl habe die erste Kirche aus Stein einer kleinen Gemeinde Obdach geboten, eh sie auf Geheiß des edlen Barbarossa ihr heutiges Aussehen erhielt. Noch heute tanzen, wie der Pater mit Entsetzen vernommen, zum Maientag der Holla zu Ehren Mägde und Burschen zu nächtlicher Stunde um die dicke Linde und werfen sich buhlerische Blicke zu.

„Ich bin der neue Bonifatius!“ haspelte der Magister, während er die Klinke der schweren Pforte herniederdrückte. In der Vorhalle, über welcher sich der massige Glockenturm erhob, hing noch immer der Weihrauchgeruch seines Vorgängers. Er selbst ging zum Leidweisen der Gemeinde mit diesem Kraute sparsam um, steht nicht schon in der Bibel, dass Gott die Brandopfer verabscheut und das Räuchern auf den Höhen als Heidenbrauch verdammt. „Ich bin wie seinerzeit Bonifatius in dieses Tal herabgestiegen, um den Irrglauben zu beenden, der immer noch in diesen dunklen Wäldern herrscht. Es gibt keinen Gott außer Gott.“ Er holte zu einem gewaltigen Schritt aus, trat beherzt über die Schwelle, vergaß dabei jedoch, dass die Vorhalle höher liegt als das eigentliche Kirchenschiff und berührte jäh mit dem linken Fuß den harten Steinfußboden. Bei diesem unvermittelten Aufprall geriet er sodann jählings ins Straucheln und konnte sich nur mit Mühe an einem eisernen Leuchter festhalten, welcher jedoch mit lautem Getöse umstürzte, die brennenden Kerzen mitriss, die sofort erloschen und einen großen Fleck flüssigen Talg auf den Mosaiksteinen hinterließen. „Merde!“ fluchte der Pater. „Ce n´est pas vrai!“

Die Glasmacherkirche fiel behufs der schmalen Fenster schlagartig in Finsternis. Obwohl die Pupillen des Paters sich weiteten, gleich den Jägeraugen einer Eule, war er für einen Bruchteil der Sehkraft beraubt und schwankte ein paar Schritte blindlings zwischen den Kirchenbänken hin und her. Am Altare dicht neben dem schwarzen Gnadenbild flackerte von rotem Glas umgeben unruhig das EWIGE LICHT. Das Antlitz der schwarzen Madonna war in Dunkelheit gehüllt, aber die Augen schienen im Scheine der kleinen Öllampe unruhig zu funkeln. Waren sie am Ende aus Kristall? Er taumelte benommen zurück. Bei jedem Schritt, den er mühsam setzte, hatte er das Gefühl ein Hindernis überwinden zu müssen.

Erschöpft ließ sich der Magister auf einer der hinteren Bank nieder. Die Kirche war so kalt, dass er seinen unruhigen Odem im spärlichen Licht der Chorfenster sich verflüchtigen sah. Illumination, Licht, wo seid ihr? Wie lichtdurchflutet waren die Deckengemälde eines Asam in den strahlenden Kuppeln der Klosterkirchen. Wie paradiesisch der Palast des Emirs von Kairo, in dem er mit gelehrten Männern zu der hehren Überzeugung gekommen war, dass es nur einen Gott gäbe, dieser aber, wie in jener vortrefflichen Ringparabel beschrieben, allen drei Religionen, die aus dem Schoße Abrahams sprossen, in unterschiedlicher Gestalt verehrt werde. Nein, in dieser dunklen Höhle, die noch den Geist des Heidentums ausstrahlte, war es ein sinnloses Unterfangen mit einem Tribunal einen dahergelaufenen Taugenichts des Betrugs zu überführen. Hatte nicht sein Vorgänger diesen Betrug sieben Jahre gedeckt. War er am Ende sogar eingeweiht? Der Pater lachte grimmig. Woher kam der Amtsbruder, dessen Namen er kaum über die Lippen brachte? Aus Polen, aus Galizien jenem wilden Slawenlande, das inzwischen gleichfalls zum Reich des Kaiser Josef zählte? Oder war es Böhmen, Mähren? Egal, sie wurden allesamt von Barbaren bewohnt, die der deutschen Sprache kaum mächtig waren, von halben Hunnen. Ihre Tänze waren wild und ihre Musikanten, die auch in Franken und am Rheine aufspielten, trunksüchtig und lasterhaft.

Genug der kruden Gedanken. Die Götzenfigur in der Fensternische muss weg. Jetzo und für immer. Pater Paul sprang auf und hastete zum hinteren niedrigen Kirchenfenster. Erst neulich hatte er den Küster beauftragt den kleinen dreiarmigen Leuchter vor der Fensternische zu entfernen, damit nicht die Weiber mit weitere Kerzenopfer dem Aberglauben neue Nahrung geben. Bereits vom Mittelgang aus sah er, dass seine Anweisung keine Früchte getragen haben. Statt des Leuchters stand unter der Fensternische ein mit Sand gefüllter ellenhoher Tonkrug darin eine einzelne Kerze munter brannte. Eine Kerze von gleicher Beschaffenheit wie er sie in seinem Hause verwendete. Sogleich schickte er sich wutschnaubend an das verderbte Opferlicht mit einem beherzten Lufthauch zu löschen. Aber ach. Kaum, dass er sich ungestüm mit geblähten Backen dem Lichte näherte, das jene Mauerecke spärlich erhellte, erlosch es von selbst und hüllte damit die Kirche nun vollends in Dunkelheit. In gleicher Weise schmolz auch das EWIGE LICHT am Altar vor der Gnadenfigur zu einem winzigen, glimmenden Punkt zusammen. „Die Dämonen fliehen vor ihrem Jäger!“ rief der Pater höhnisch, zog unsanft die Figur aus der Fensternische, hüllte sie in seinen Umhang und stolperte mit seiner Beute gen Pforte, wobei sich die Stufe zur Vorhalle erneut als Hindernis erwies und ihn samt seiner Last dieses Mal schmerzvoll zu Fall brachte. Draußen jaulte und winselte Anubis, der längst in seiner tierischen Einfalt begriffen, dass sein Herr dringend der Hilfe bedurfte. Als der Pater endlich mit einer blutenden Stirne fluchend aus der Kirche taumelte, war der Hollaberg bereits vom Abendnebel eingehüllt. Bis zum Pfarrhaus waren es nur wenige Schritte, aber jene kurze Distanz kam ihm heuer wie eine Weltreise vor. Desgleichen hatte er vergessen, wann er ins verfluchte Waldtal aufgebrochen und zurückgekehrt sei. Ihm dünkte, er habe eine lange Wanderung hinter sich. Der Mund des Seelenhirten war so trocken, als wäre er gleich einem Missionar durch die Wüsten Afrikas geirrt und die Zunge klebte dergestalt am Gaumen, dass er kaum der Worte mächtig war.

Das schöne dunkelhäutige Weib, welches seit seiner Rückkehr aus Ägypten den Hausstand führte, schlug die Arme über den Kopf zusammen, als sie ihren Herren dergestalt malträtiert ins Pfarrhaus taumeln sah. „Oh Menna, mon chère, meine Perle Ägyptens, vi al diablo!“ haspelte er in einem wirren Kauderwelsch. „Schnell, gebt mir zu trinken, J´ai soif! Die Ägypterin eilte zur Anrichte und kam sogleich mit einem Kruge und einem Glase zurück. „Mon dieu! Wo wart Ihr so lange?“ Statt zu antworten riss ihr der Pater unsanft den Krug aus der Hand und trank hastig und gierig viele Schlucke Brunnenwasser, die allesamt so schmeckten wie Pulver oder Mehl und sagte dann schroff: „Frag mich nicht, Menna. J´ai visité la forêt et j´ai vu le diable!“

Die Afrikanerin blickte ängstlich um sich. Wie bei allen Bewohnern, die an den Gestaden des Nil Flusses aufgewachsen, war der Glaube an Teufel und Dämonen im Herzen fest verankert, und auch dem Pater war es bislang nicht gelungen das holde Weib mit den Erkenntnissen der Aufklärung zu beglücken. Dass nun ausgerechnet er, der stets salbungsvoll von einem allmächtigen Gotte sprach, einem Waldteufel begegnet sei, stürzte sie in arge Not. „Mon dieu, où est-il? Wo ist Teufel?“ Pater Paul schlug den schwarzen Umhang zurück mit der er die Figur verdeckt hatte und rief triumphierend: „Ici! Là!“ Die Ägypterin stieß einen schrecklichen Schrei aus, aber nicht aus dem Grunde, wie der Pater in seinem Irrglauben vermutete. „No, no, no!“ rief die dunkle Schönheit voller Verzweiflung. „Das ist kein Teufel. Das ist MARIA! Maria et son enfant! Vous êtes fou, monsieur!“

„Weib wie redet Ihr mit mir!“ schnaufte darob der Pater voller Zorn. „Der edle Emir hat mich euch zum Geschenk vermacht, weil ich ihn darum bat. In Kairo wart Ihr eine muselmanische Sklavin, durftet nicht einmal den Serail verlassen und bei mir seid Ihr die Führerin des Hausstandes. Ist das der Dank für meine Mildtätigkeit? Ich habe euch den muselmanischen Glauben gelassen, damit alle Welt hierzulande erkennt, dass zwei Religionen friedlich unter einem Dache leben können, weil sie doch beide dem Schoße Abrahams entsprungen. Wenn Ihr wollt, könnte ich dem Rabbiner von M. meine Aufwartung machen und ihn fragen, ob er nicht eine mittelose Tochter der Synagoge euch als Gehülfin zur Seite stellen will. Dann hättet Ihr noch eine Gefährtin und auch meine Stunden wären wonniglich ausgefüllt. Was sorget Ihr euch nun um diese Götzenfigur, die ein Gaukler heimlich in die Kirche geschafft und für Leichtgläubige zum Altare erchoren. Wie sagte schon der heilige Paulus: Das Weib hat in der Gemeinde zu schweigen. Halte Euch für dahin aus Glaubensdingen heraus.“ Nach dieser Schelte, die Menna mit vielen Tränen vernommen, gab der Pater ihr den Befehl nur recht viel Brennholz aus der Scheune zu holen. Zuvorderst Reisig, welches sie in Mengen neben der Küche gelagert hatte. „Ab damit in den Kamin!“ befahl er barsch. Zuerst ein Nest aus Stroh und Reisig. Dann eine Lage feines Scheitholz Darauf der elende Holzklotz. Was zögert Ihr?“

Wie kann man die Nöte der armen Ägypterin trefflich beschreiben. Da kniete die stattliche Frau vor dem offenen Kamin und legte mit zitternden Händen das Reisig auf die steinernen Platten. Die Scheithölzer, dreizehn an der Zahl, fanden mit Tränen benetzt nur zögerlich ihr Ziel. Dazu klagte sie in einer Sprache, die auch der Pater nicht verstand, weil er sie nie zuvor in seinem Leben gehört hatte. Es klang wie ein Gebet, wie ein inbrünstiges, verzweifeltes Flehen. Auch war es einer Beschwörung nicht unähnlich.

„Allez! Depeche-toi!“ drängte der Pater. „Und jetzt die Götzenfigur! Rapide!“ Mennas Klage verebbte, in gleicher Art wie ein Wasserlauf in der Wüste schlagartig versiegt. In ihrem dunklen Gesicht, welches durch die hereinbrechende Nacht nun tiefschwarz schien, war urplötzlich die Trauer verflogen. Sie blickte mit herablassendem Blick auf das Böse, das gefällig hinter einem Katheder Platz genommen und auf dem Schreibpult drei Kerzen entzündet hatte. Drei Lichter, die ein Dreieck bildeten. Auf einem achtlos liegen gelassenen Papier hatte sie unlängst eine Zeichnung mit drei Leuchtern entdeckt, welche in gleicher Weise angeordnet waren und einen Teppich einrahmten. In diesem Moment war ihr zum ersten Mal im Leben klar, dass es keine Teufel gab, sondern nur böse Menschen. Dass jeder Mensch mindestens ein Mal in seinem Leben vor die Entscheidung gestellt wird, welchen Weg er einschlagen, für welche Seite er sich entscheiden will. Egal wohin dieser Weg führt, oder ob die gewählte Seite zu Verlust oder Schlimmeren führt. „No!“ sagte sie mit fester Stimme und deutete auf ihre wohlgeformte Brust: „Meine Seele, je sauve mon âme!“ Nach diesen Worten drehte sie sich um, und verließ den Raum.

„Geht nur ins Bett einfältiges Weib. Ich komme später nach“, rief der Pater, begleitet von höhnischem Gelächter. „Dann werde ich eben das Werk allein zu Ende bringen.“ Im gleichen Moment vernahm er ein Kratzen an der Türe. Anubis kam hereingetrottet, legte sich vor das Pult und sah seinen Herren mit großen, traurigen, müden Augen an. Der Magister holte mehrere weiße Blätter Papier hervor, legte die Feder neben das Tintenfass und sprach dann zu seinem getreuen Hund: „Heute ist ein großer Tag Anubis. Heute werden wir Beide Geschichte schreiben, so wie einst der heilige Hieronymus mit seinem Löwen, der stets vor seinem Pult saß, Geschichte geschrieben haben. Ich werde ein Tractatus verfassen, wie es nie zuvor in der Kirche erschienen ist. Ein Epos wider den Aberglauben, gleich den Thesen des werten Martin Luthers. Ein Werk des wahren Glaubens, das noch Generationen nach mir als Richtschnur dienen wird. Lass uns das große Opus beginnen. Im Feuer soll sie brennen die Götzenfigur.“

Er nahm einen der Leuchter und trat mit ihm vor den Kamin, packte die Statue und stellte sie auf den Holzstapel. Wieviel Ähnlichkeiten er doch mit einem Scheiterhaufen hatte. Er machte drei Kreuzzeichen: „Oh großer Gott, beende diesen Aberglauben,“ rief der Magister in den dunklen Schacht hinein, dann hielt er gleich einer Fackel die Kerze an das Stroh, welches sogleich mit brausenden Flammen das Reisig und die Holzfigur erfasste. Anubis jaulte, als hätte ihn ein Dorn verletzt, um sich für dahin in eine dunkle Ecke der Türnische zu verkriechen. Schon saß der Magister wieder vor seinem Pult und lies vom Geist der Erleuchtung beflügelt seine Feder auf dem Papier tanzen.

Der Widerschein des Feuers warf auf der gegenüberliegenden Wand wundersame Schatten. Es war vor allem jene ellenhohe Holzfigur, welche vom umliegenden Stroh und Reisigfeuer umringt jene dunklen tanzenden Figuren schuf. Anubis winselte und drückte den Kopf auf den Boden. Der Pater starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Blatt, das ihm heuer dunkler erschien, bis er schließlich gewahrte, dass die drei Kerzen, die er als Zeichen der Weisheit, Stärke und Schönheit entzündet hatte, immer schwächer brannten. „Licht!“ stöhnte der Pater. „Mehr Licht!“ Auch das Feuer im offenen Kamin schien verdunkelt, was freilich seine Ursache darin hatte, dass Stroh und Reisig fast vollständig verbrannt waren und die Holzscheite, auf der die Figur stand, rotglühend glimmten. Und die Skulptur; sie war rabenschwarz und jetzo von gleicher Beschaffenheit wie das holde Gnadenbild am Altare, aber warum wurde jener geheimnisvolle Schatten an der Wand immer größer? Er hätte doch in Ermangelung des Lichts längst verschwunden sein müssen. Aufgelöst, verblichen, von der Dunkelheit verschluckt. Diese schwarzen Umrisse an der Mauer, waren das überhaupt Schatten? Waren es am Ende Kleider, Mennas schwarze Kleider?

„Menna was soll dieser Mummenschanz!“ knurrte der Pater. „Ich bin nicht Menna“, antworte eine tiefe ihm unbekannte Frauenstimme. Nein, das war nicht die Stimme der schönen Ägypterin. Sie klang herb, metallisch, schneidend, scharf, die Luft zersichelnd. „Eine Diebin!“ zischte der Pater. „Nein, du bist die gottlose, entlaufene Nonne. Haben dir die Peitschenhiebe, die ich dir für deinen Ungehorsam gegeben nicht gereicht?“ Die dunkle Gestalt kam näher, ohne ihre Form zu verändern. „Eine Diebin?“ erklang es nun höhnisch keine vier Ellen entfernt.  „Du hast mich bestohlen! Wo ist meine Maria? Meine Weihegabe. Die Dankesgabe armer Menschen.  Du hast sie geraubt. Fahr zur Hölle!“

Was für dahin nur als kurze Ahnung in Pater Pauls Kopf aufblitzte, schien sich zu bewahrheiten. Anna, die Köhlerfrau war, so dünkte es ihm, zurückgekehrt. Sie hatte wohl bemerkt, dass er die Statue entwendet hatte und sann nun auf Rache. Die Rußverschmierte war wohl heimlich durch das hintere Fenster des Studierzimmers geklettert und hatte sich bis dato irgendwo im Raume versteckt. Vielleicht in der Nische neben dem geräumigen Bücherschrank, welcher zwei Ellen vom Fenster entfernt an der Wand stand. Nein, so leicht war er, der weltgewandte Diplomat und Missionar, der manches Abenteuer überstanden, nicht zu überlisten. Wo ist euer elender Mann, schmutzige Waldhexe? dachte er zornig und blickte hinüber zu seinem Hund. Ha! Das ist euer Ende! Ihr seid in die Falle gelaufen. ANUBIS! FASS! ZERFLEISCH SIE!

Der Raum war inzwischen stockfinster. Durch die trüben Scheiben schimmerte ein Stern und mondloser Nachthimmel, der darüber hinaus noch von dem schattigen Geäst der mächtigen Linde verdeckt wurde. „Anubis“ röchelte er heiser. Der Speichelfluss war noch immer nicht zurückgekehrt, was seiner Stimme, die sonst gebieterisch wie Donnerhall erschallte, enge Grenzen auferlegte. Er sah erneut hinüber zum Hund und hoffte das Tier würde wenigstens gefährlich knurren. Aber in der Türnische lag nur etwas großes schwarzes, gleich einer Pferdedecke. Bewegungslos.

Pater Paul griff zu seinem Stock aus Ebenholz. Bevor er sich, als jüngster Sohn eines bettelarmen Junkers, für den geistigen Stand entschieden, hatte er fechten gelernt und so manchen Händel erfolgreich ausgefochten. Sein Gehstock war gleich einem Speer mit einer Pfeilspitze versehen, die einer Degenspitze um nichts nachstand. Ich werde dich töten Diebin. Zuerst dich, dann deinen verruchten Mann, der nicht einmal dein Gatte ist. Er wird wohl gleich durch die Tür kommen. Ich höre schon seine Schritte. Mir dünkt ich muss Menna warnen. „Menna! Diebe im Haus!“ hauchte er.

Die dunkle Gestalt war inzwischen so nahegekommen, dass der Pater ein Gesicht zu erkennen glaubte. Ein schwarzes Antlitz mit glühenden Augen. Ein Frauengesicht, welches er weder der diensteifrigen Ägypterin noch seiner Totfeindin Anna zuordnen konnte. „Wer bist du, was willst du?“ stammelte er mit brüchiger kaum vernehmbarer Stimme.  Etwas längliches blitzte und funkelte in ihrer Hand. War es ein Dolch? Ein länglicher Kristall. Ein Zepter? „Ich werde dich töten“ sagte die unheimliche Frau mit unvermittelt sanfter Stimme. Sie sagte nicht, ich will dich töten, sondern, ich werde dich töten. So sicher war sie in ihrem Entschluss und in der Gewissheit, dass sie ihre Tat ohne eine Gegenwehr ausführen werde. Es gab kein Entrinnen. „Wer bist du?“ röchelte der Magister erneut und öffnete kraftlos die Hände. Der Ebenholzstock fiel polternd zu Boden. Darob fielen folgende Worte, die so klangen, als hätte ein Chor von Stimmen begleitet von einem Grollen und Brausen den Raum erfüllt:

„Ich bin die Frau mit den Narben im Gesicht. Ich bin die Frau, die den Mutigen voranschreitet. Ich bin die Schutzherrin der Schwachen und Hülle die Elenden in meinen Mantel ein. Du hast mich bestohlen, so wie mich jene bestehlen die meine Häuser niederbrennen und meine Kinder in die Sklaverei führen. Die Bilderstürmer, die um die Gunst des Teufels buhlen. Männer deines Schlages würden meinen geliebten Sohn heute genauso ans Kreuz schlagen, wie die Schergen und Häscher zu meiner Zeit. Darum werde ich dich jetzt töten!“

Als die letzten Worte verklungen waren, fühlte der Pater, noch einmal nach Luft ringend, einen heftigen Schmerz in der trocknen Kehle und im gleichen Moment färbte sich das Papier, dass bislang in der Finsternis noch ein wenig weiß schimmerte, tiefschwarz. Sein Kopf sank auf das Pult. Die Hände baumelten kraftlos herab…

Fortsetzung folgt …

PP-Redaktion
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