Donnerstag, 26. Dezember 2024

Wolfgang Schäuble – Tod einer tragischen Figur

Nein, Schäuble war kein großer Politiker, sondern die große tragische Figur der deutschen Nachkriegspolitik und gleichzeitig ein Symbol für das Scheitern der Parteipolitik, wie sie sich in Deutschland entwickelt hat und zum größten Innovationshemmnis geworden ist. Ein Gastbeitrag von Vera Lengsfeld.

De mortuis nil nisi bene. Also will ich mit dem Guten anfangen. Ich erlebte Wolfgang Schäuble zum ersten Mal persönlich, als ich im Bundestag1994 -1998 für die Änderung des Einigungsvertrags in punkto Bergrecht kämpfte. Grob gesagt, war im Einigungsvertrag festgelegt worden, dass für das Gebiet der ehemaligen DDR das Bergrecht des untergegangenen Staates beibehalten werden sollte. Das besagte, dass dem Recht, Rohstoffe abzubauen, allen anderen übergeordnet war, auch dem Natur-und Landschaftsschutz, aber auch den kommunalen Planungen. Die Braunkohlengruben hatten 1989 bereits die Stadtgrenze Leipzigs erreicht, im Südharz bedrohte der Gipsabbau die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dora. Die DDR war ein Eldorado für Bergbauunternehmen. Ich hatte in mühevoller Kleinarbeit in den befassten Ausschüssen die Unionskollegen davon überzeugt, dass der Einigungsvertrag geändert werden müsse. Aber es fand sich keiner, der bereit gewesen wäre, mit Schäuble, dem Architekten des Einigungsvertrages, darüber zu sprechen. Also bat ich, damals noch Abgeordnete von Bündnis90/Grüne, um einen Termin. Ich bekam ihn unverzüglich. Schäuble eröffnete unser Gespräch mit der Feststellung, dass ihm natürlich nicht alle Festlegungen des über 1000 Seiten umfassenden Dokuments geläufig sein konnten. Es folgten zehn Minuten Smalltalk über meine Einschätzung der Situation in den neuen Ländern. Nach diesem Warmlaufen wurde es ernst. Schäuble war exzellent vorbereitet.

Zum Glück konnte ich alle seine präzisen Fragen zur Zufriedenheit beantworten. Nach einer Stunde resümierte er, ich hätte ihn überzeugt. Er würde jetzt mit der FDP sprechen. Bald darauf wurde der Einigungsvertrag geändert. Nun gilt in ganz Deutschland das Bergrecht der alten Bundesrepublik.

Auch als ich Jahre später von den Grünen zur CDU übertrat, weil ich einer Partei, die mit der umbenannten SED Koalitionen eingehen wollte, nicht mehr angehören konnte, sprach ich vorher mit Schäuble darüber. Ich sagte ihm, dass ich meine Positionen, etwa in der Abtreibungsfrage nicht aufgeben würde. Kein Problem. Niemand erwarte von mir, dass ich zur Parteisoldatin würde. Tatsächlich erlebte ich noch eine CDU, in der es ein breites Meinungsspektrum und offene Diskussionen gab.

Sein Versprechen hielt auch, als ich für die Unionsfraktion im Immunitätsausschuss saß, der die Stasiverstrickungen des Abgeordneten Gregor Gysi untersuchen musste. Nachdem ich alle uns zur Verfügung gestellten Dokumente gelesen hatte, plädierte ich vehement dafür, dass die Union dem Urteil, die Stasitätigkeit des Abgeordneten Gysi sei erwiesen, beitrat. Wieder war ich diejenige, die mit dem Fraktionsvorsitzenden Schäuble darüber reden musste. Ich merkte ihm deutlich an, dass er dieses Votum gern vermieden hätte. Müsste das unbedingt sein? Gysi täte ihm irgendwie leid. Erst als ich ihm erzählte, wie ich Rechtsanwalt Gysi als Gefangenen der Staatsicherheit erlebt hatte, als er nach dem Scheitern meines damaligen Anwalts Wolfgang Schnur, mich zum Abgang in den Westen zu bewegen, eingesetzt wurde, um meine Abschiebung doch noch zu erreichen, gab Schäuble sein Einverständnis. Allerdings wurde entgegen der Regeln, die sich der Bundestag gegeben hatte, Gysi nicht von Bundestagspräsidentin Süßmuth aufgefordert, sein Mandat niederzulegen. Als ich Schäuble danach fragte, meinte er, die nächste Bundestagswahl wäre zu nah dran. Es würde uns als Wahlkampf ausgelegt. Das Ergebnis war, dass Gysi nicht, wie andere Mitglieder seiner Bundestagfaktion, das Parlament verlassen musste, sondern problemlos bis heute wiedergewählt wurde.

Nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 bekam ich Besuch von einem Spiegel-Team. Die Journalisten wollten von mir wissen, was ich von Schäubles Plänen hielte, den letzten Ministerpräsidenten der DDR zum Ostbeauftragten der Partei zu machen. Ich wollte das nicht glauben und rief, während die Journalisten warteten, bei Schäuble an. Der hielt gerade Mittagsschlaf, wurde aber geweckt, als ich die Situation erklärt hatte. Ob die Behauptung der Spiegelleute stimme, wollte ich wissen, Was wäre, wenn, lautete die Gegenfrage. Das wäre für mich ein Grund, die CDU sofort zu verlassen. Ich solle mir darum keine Sorgen machen, beendete Schäuble das Gespräch. De Maizière wurde nicht Ostbeauftragter. Ob die Absicht tatsächlich bestanden hat, oder eine Ente war, wie man journalistische Fehlinformationen in meiner Jugend noch nannte, habe ich nie erfahren. Aber Schäubles Verhalten mir gegenüber hatte sich deutlich abgekühlt.

Berühmt wurde Schäubles Rede zugunsten Berlins als Regierungssitz, die noch mehrere Unionsabgeordnete überzeugt haben soll, doch noch für die Hauptstadt zu stimmen. Ob der Regierungssitzwechsel der Politik wirklich zuträglich war, daran habe ich als eine der Erstunterzeichnerinnen des Antrags „Vollendung der Deutschen Einheit“ inzwischen meine Zweifel. Aus der Bonner Bescheidenheit wurde Berliner Großmannssucht.

Zurück zu Schäuble. Eine andere Brandrede von ihm hatte zum Glück keinen Erfolg. Er argumentierte vehement gegen die Reichstagsverhüllung von Christo. Es hätte diese wundervollen Tage rund um das Kunstwerk nicht gegeben, an denen sich die Deutschen als liebeswürdige Zeitgenossen, vor denen niemand Angst haben muss, präsentierten. Das wiederholte sich noch einmal im magischen Fußballsommer. Dann nie wieder, dafür sorgen die politisch korrekten, neuerdings woken Linken. Anders als Kanzler Helmut Kohl hat sich Schäuble den verhüllten Reichstag angeschaut. Ich denke, dass er die Kraft hatte, sich einzugestehen, wie falsch er lag. Er ist übrigens der einzige Politiker, dem ich in Köln und Berlin außerhalb politischer Veranstaltungen in der Oper begegnet bin.

Ich habe die Zeit noch gut in Erinnerung, in der Schäuble und der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe die beiden Kronprinzen von Kanzler Kohl waren. Beide stolperten über eine Frau, die sie nicht recht ernst genommen hatten: Angela Merkel. Schäubles größter Fehler war, Angela Merkel zu seiner Generalsekretärin gemacht zu haben. Er hielt sie wohl für harmlos. Welch ein Irrtum! Der Zweite war, sie nach ihrem Beitrag gegen Kohl in der FAZ 1999 nicht sofort zu feuern.

Bald darauf geriet Schäuble selbst in die Bredouille. Ich gehörte damals dem Fraktionsvorstand der Bundestagsfraktion an. Mitten in einer Vorstandssitzung kam ein Bote und bat, nein befahl, Schäuble sofort in den Beratungsraum der NRW-Landesgruppe, deren Vorsitzender damals der spätere Bundestagspräsident Norbert Lammert war, zu kommen. Wir warteten weit über eine Stunde auf die Rückkehr Schäubles. Als er endlich erschien, teilte er uns nur knapp mit, dass er als Fraktionsvorsitzender zurückträte. Er gab auch den Parteivorsitz auf. Volker Rühe sah sich nach Schäubles Sturz als dessen natürlichen Nachfolger und startete einen Rundruf, um alle maßgeblichen Leute zusammemzutrommeln und sich seine Favoritenrolle bestätigen zu lassen. Er musste erleben, dass Angela Merkel den Parteivorsitz erfolgreich beanspruchte. Blieb noch der Fraktionsvorsitz. Hier gelang es Schäuble, Friedrich Merz zu installieren, der es nach der Wahlniederlage 2002 aber nicht wagte, seinen Vorsitz in einer Kampfabstimmung gegen Merkel zu verteidigen.

Schäuble blieb noch im Bundestag, wurde sogar noch Bundestagspräsident, aber mit seiner Rolle als Politiker war es vorbei. Er hat tatenlos zugesehen, wie Merkel die CDU inhaltlich entkernte und eine links-grüne Politik zu betreiben begann, die unser Land und den Rechtsstaat ruiniert hat. Er war sicher kein Patriot, wie es jetzt in einigen Nachrufen heißt. Dann hätte er etwas gegen die unkontrollierte Masseneinwanderung unternehmen müssen. Im Gegenteil, von den Seltsamkeiten, die er in den letzten beiden Jahrzehnten von sich gab, möchte ich nur an seinen Ausspruch in der Zeit von Juni 2016 erinnern: „Die Abschottung ist doch das, was uns kaputt machen würde, was uns in Inzucht degenerieren ließe. Für uns sind Muslime in Deutschland eine Bereicherung unserer Offenheit und unserer Vielfalt. Schauen Sie sich doch mal die dritte Generation der Türken an, gerade auch die Frauen! Das ist doch ein enormes innovatorisches Potenzial.“

Wie daneben er lag, erleben wir tagtäglich auf unseren Straßen. Über die „Vorfälle“ in unseren Kirchen an Weihnachten und die von Innenministerin Faeser praktisch schon angekündigten Silvesterkrawalle illustrieren das zusätzlich.

Nein, Schäuble war kein großer Politiker, sondern die große tragische Figur der deutschen Nachkriegspolitik und gleichzeitig ein Symbol für das Scheitern der Parteipolitik, wie sie sich in Deutschland entwickelt hat und zum größten Innovationshemmnis geworden ist.

Zum letzten Mal habe ich ihn 2019 bei einem Sommerempfang der Mittelstandsvereinigung der CDU in Berlin gesehen. Er erkundigte sich interessiert nach meinem Nachpolitiker-Leben. Ich erzählte ihm von meinem Blog und meinen Lesern, aber auch von meiner Familie, in der sich gerade Nachwuchs ankündigte. Er seufzte, dass er bedauere, sich zu wenig um seine Familie kümmern zu können. Er hat diesen Fehler zu spät korrigiert. Als er, wie Bild berichtete, nur noch für seine Frau da sein wollte, musst er wenige Wochen später diese Welt verlassen. RIP.

Der Beitrag erschien zuerst bei VERA LENGSFELD.

PP-Redaktion
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