Soll etwa niemand frühzeitig wissen dürfen, dass am Sportplatz über Nacht 90 Wohncontainer aufgestellt werden sollen? Und wer dabei unter die Räder kommen könnte, erfährt man dann anschließend auch nicht mehr? Ein Gastbeitrag von Meinrad Müller
In Teilen Brandenburgs ist man betrübt, denn die gedruckte Ausgabe der Märkischen Allgemeinen Zeitung, dem hiesigen Regionalblatt, wird es ab 1. Dezember 2023 nicht mehr geben. Es lohne sich einfach nicht mehr, hört man aus der Chefetage des verantwortlichen Verlagshauses. Ein Gespräch am Gartenzaun mit Frau Karoline Hildebrandt, 72, (Name geändert) offenbart die Stimmungslage:
Seit Frau Hildebrandt denken kann, erscheint in ihrem Dorf die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ). Doch das wird bald der Vergangenheit angehören. Der Gang im Morgenmantel und in Hausschuhen zum Briefkasten ist ab dem 1. Dezember 2023 vorbei. Erinnerungen werden wach.
Manchmal war die Zeitung nass geworden, wenn es stark regnete. Dann legte das Ehepaar die Seiten zum Trocknen auf den alten Kachelofen. Während ihr Mann stets den Lokalteil zuerst las, schon der Todesanzeigen wegen, begann sie bei der Politik. Anschließend tauschten sie oder amüsierten sich gemeinsam über die letzte Seite, die Klatsch und Tratsch aus aller Welt bereit hielt. Dieses Ritual am Frühstückstisch – vorbei!
Aus einem alten Gaul wird kein Zirkuspferd
Statt der Zeitung solle man nun ein elektronisches Lesegerät verwenden. Bleibt man Abonnent, erhält man so ein „Tablet“ zum günstigen Preis. Doch das Ehepaar ist skeptisch. Die Vorstellung, sich mit einem kleinen Flachbildschirm am Küchentisch gegenüberzusitzen, gefiele ihnen gar nicht. Zudem bräuchte man auch zwei Geräte, damit nicht einer warten müsse. Das Umblättern einer Zeitungsseite sei einfach, doch die Bedienung eines Tablets wesentlich komplizierter, zumal man ja keinerlei Erfahrungen in diesem Bereich habe. Mitarbeiter der MAZ hätten mehrfach angerufen, damit man auf das elektronische Abonnent umsteige, das sogar billiger sei. Und in der nahe gelegenen Redaktion in Kyritz stünden Mitarbeiter bereit, bei Problemen mit dem Tablet zu helfen.
Die Zeitung war für sie stets wichtig. Sie berichtete über Hochzeiten, Geburten (mit den Fotos der Babys), Todesfällen, Aktionen in den umliegenden Dörfern. Sprechzeiten der Ärzte, Notfallnummern der Energieversorger, Kinoprogramm und Hinweise auf Veranstaltungen in der Region – all das fand man auf Anhieb auf der Seite 3 des Regionalteiles. Ohne diese Informationen, glaubt Frau Hildebrandt, sei man wieder auf die Mund-zu-Ohr-Nachrichten angewiesen, wie zu DDR-Zeiten. Das Neueste erfuhr man stets im Konsum (Supermarkt), im Volkseigenen Betrieb oder der LPG, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft.
Und noch ein Vorteil: Mit der Zeitung „von gestern“ konnte man bisher auch den Ofen anheizen oder Fliegen erschlagen. Mit einem Tablet wohl kaum.