Ein Gastbeitrag von David Leukert
Waren in der Bundespolitik bis vor Kurzem noch jede Menge Hobby-Immunologen und Mikrobiologen unterwegs, verzeichnen wir seit dem 24. Februar 2022 ausreichend Freizeitfeldwebel, Clausewitz-Kenner und Geostrategen, die genau wissen, wie eine Gegenoffensive ablaufen muss und welche „Tierpanzer“ (Baerbock) dabei eingesetzt werden. Außerdem sehen wir Experten, die komplizierte Kriegsschuldrätsel, an denen Historiker manchmal jahrzehntelang knabbern, im Handumdrehen lösen. Allen voran schreitet gerade die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Strack-Zimmermann vom militanten Flügel der FDP, Ortsgruppe Düsseldorf.
Im Bundestag analysierte die Abgeordnete, Deutschland habe Warnzeichen übersehen und „naiv, ignorant, in deutscher Ruhe zugesehen“ -Deutschland-Bashing geht immer- „wie Russland bereits vor acht Jahren einen Krieg in der Ostukraine anzettelte“. Die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine sei nun mehr als geboten, schließlich gehe es „um Freiheit und Demokratie, um Selbstbestimmung, um Menschenrechte, die mit den Füßen getreten werden“. Ihre Rede endete mit einem schnarrend vorgetragenen Durchhaltebefehl: „Wir sollten solange bereit sein dazustehen, so lange, bis die vollständige Integrität der Ukraine wiederhergestellt ist“. Es folgte Applaus vom Plenum, auch Bündnis 90 „Frieden schaffen ohne Waffen“-„Schwerter zu Pflugscharen“-„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ Die Grünen klatschten begeistert.
Als halbstudierter Historiker habe ich mir vorgenommen, die Aussagen der resoluten Person mit den zur Verfügung stehenden Informationen/Nachrichten abzugleichen, was eine Herausforderung darstellt, denn die Wahrheit ist bekanntlich das erste Opfer der BILD-Berichterstattung.
Wenn ich richtig gegoogelt habe, waren während des seit 2014 dauernden Bürgerkrieges ganze drei Bundestagsabgeordnete zu Besuch in den Regionen Donezk und Lugansk, um sich ein eigenes Bild von der Situation vor Ort zu machen, deutsche Journalisten sind nicht mehr jenseits der Demarkationslinie präsent, sie wurden von den Redaktionen vollständig abgezogen (mit Ausnahme der Wahlen 2018). Trotzdem weiß der politisch-mediale Komplex anscheinend genau, dass Russland nach der Maidan-Revolte als Aggressor auftrat und die Selbstbestimmung der dortigen Bevölkerung missachtete.
Tatsächlich war es die Regierung in Kiew, damals gerade an die Macht gekommen, welche den Ostukrainern Fremdbestimmung auferlegte. Schon Anfang 2014, praktisch als erste Amtshandlung, entzog sie den Provinzen im Osten des Landes Russisch als zweite Amtssprache. Es folgte das Sprachdiktat durch Poroschenko 2019, seit Januar 2021 darf in der gesamten Ukraine im öffentlichen Raum nur noch Ukrainisch gesprochen werden.
Das ist keine kleine Sache; es bedeutet eine Verletzung des Völkerrechtes. Die Ukraine hat mit der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen schon 1998 ein völkerrechtlich bindendes Abkommen unterzeichnet und Russisch als Idiom des Landes anerkannt.
Am 11. Mai 2014 wurde eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeitbestrebung durchgeführt. Das Referendum brachte ein eindeutiges Ergebnis. Die russische Bevölkerung im Osten der Ukraine verlangt eine Teilautonomie, nicht den Anschluss an Russland. Sie möchte nicht zentralistisch regiert werden, wenn Kiew dem Mutterland, seiner Sprache und seiner Kultur, feindlich gegenübersteht. In der Region Donezk stimmten 89%, in der Region Lugansk 96% der Wähler für die Selbstständigkeit (самостоятельность).
Ob die Zustimmung tatsächlich so hoch ausfiel, kann bezweifelt werden, es kam zu Unregelmäßigkeiten und Störungen des Ablaufes. Ganz genau wusste es natürlich der Focus: „So dreist konnte beim Referendum betrogen werden! (…) Statt unabhängigen Wahlbeobachtern waren vor allem pro-russische Aktivisten in Kampfmontur vor Ort. Von Einschüchterungen ist die Rede“ tippten sie Fakten, Fakten, Fakten in den Rechner. Vermutlich beobachteten die Münchner Kriegskorrespondenten das Geschehen auf vorgeschobenem Posten vom Biergarten Oberföhring aus, wo sie sich dem realen Risiko aussetzten, dass ihnen ein unfreundlicher Kellner ein schales Weizen serviert. „Mit einer demokratischen Wahl hat das hier nichts zu tun“ zitierten die Journalisten sogar einen Wähler aus Lugansk (Telepathie?) und übernahmen damit die Position des in der Zeit regierenden ukrainischen Präsidenten, der nur geschäftsführend im Amt und nicht einmal durch schlechte Wahlen legitimiert war.
Auch der demokratische Westen zeigte sich empört: „Jene, die das Referendum organisierten, haben keine demokratische Legitimität“, bemerkte die EU-Außenbeauftragte, die keine demokratische Legitimität besitzt, sondern von den Regierungschefs der Europäischen Union ausgekungelt wird.
Tatsache ist, der Gang zur Urne war für die Bürger riskant. Schon im Vorfeld der Abstimmung kam es zu Einschüchterungen und Übergriffen durch Militärs und Paramilitärs. Zwei Tage vor dem Referendum schossen ukrainische Soldaten in Mariupol in eine demonstrierende Menge.
Zu den mutmaßlichen Übergriffen durch Moskau-treue Soldaten schrieb Wikipedia später: „In Krasnoarmijsk fielen während der Wahl in einem Handgemenge tödliche Schüsse. Berichte öffentlich-rechtlicher Medien, wonach prorussische Milizen auf Zivilisten geschossen hätten, stellten sich als falsch heraus. Tatsächlich hat die ukrainische Nationalgarde ein Wahllokal gestürmt und Unterstützer des Referendums beschossen.“
Wie meinte Strack-Zimmermann? Es geht „um Freiheit und Demokratie, um Selbstbestimmung, um Menschenrechte, die mit den Füßen getreten werden“ und darum „wie Russland bereits vor acht Jahren einen Krieg in der Ostukraine anzettelte“.
Doch die ukrainische Regierung zettelte einen Krieg an, als sie am 14. April 2014 erstmals Truppen schickte, um die widerspenstige russische Minderheit zur Raison zu bringen, weil die sich mit einer Ukrainifizierung nicht abfinden wollte.
In dem folgenden Bürgerkrieg sind bis Ende 2021 etwa 14.000 Menschen ums Leben gekommen, ein großer Teil davon russische Zivilisten. Die ukrainische Regierung machte in den acht Jahren nicht einmal den Versuch, Unbeteiligte zu verschonen, schickte sogar berüchtigte Sondereinheiten wie „Regiment Donbas“ oder das Bataillon „Asow“ in die umkämpfte Region.
„Amnesty International berichtete im Herbst 2014 von Kriegsverbrechen, darunter Hinrichtungen. Es gebe ferner Beweise für willkürlichen Beschuss, Entführungen und Folter. Davon seien auch Zivilisten betroffen“, so Wikipedia in einem mittlerweile stark bearbeiteten Artikel über das Asow-Bataillon, das mit Runen- und Wolfsangelabzeichen kokettiert und schon mal eine Hakenkreuzfahne hisst.
Eine Distanzierung von offizieller Seite fehlt bislang. Vitali K. ließ sich mit der Soldateska ablichten. Der Präsident der Ukraine wird verlegen und eiert rum, wenn er auf die Truppe angesprochen wird, sagt aber: „Asow war eines von vielen Bataillonen, sie sind wie sie sind, sie haben unser Land verteidigt“.
Selenski versucht in dem Interview mit einem amerikanischen Fernsehsender die Schandtaten des Regiments der abgeschlossenen Vergangeheit zu übereignen. Doch gegenwärtig kämpfen die Sondereinheiten wieder in den Industrieregionen, nehmen Geiseln, benutzen Zivilisten als menschliche Schutzschilde.
Das Regiment Asow besteht übrigens nicht aus Freischärlern, wie oft behauptet wird, es untersteht dem ukrainischen Innenministerium.
Der Westen kann seine Hände dabei nicht in Unschuld waschen, denn die Milizen erfuhren Radio Canada zufolge aktive Unterstützung: „Kanada hat seit 2014 fast eine Milliarde Dollar für die Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte ausgegeben. Die Kämpfer des Asow-Regiments haben von dieser Ausbildung profitiert“.
Der Protest der Freunde des accusatur et altera pars liegt auf der Hand. Sicher: Es gab und gibt Milizen auf Seiten der autonomen Gebiete. Sie werden, so die Vermutung, von Moskau bezahlt. Eine Besetzung der Provinzen durch russische Einheiten, wie sie die Bundespolitik behauptet, gab es aber dem Direktor des ukrainischen Sicherheitsdienstes (SBU) zu Folge nicht. Nur 56 russische Kämpfer wären 2015 im Donbas gesichtet worden. Darüber hinaus zeigt eine von der Washington Post am 3. Dezember 2021 veröffentlichte Karte des US-Geheimdienstes keine russischen Truppen in der Region.
Sinnvoll ist auch, einen Blick auf die Karten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu werfen. Sie zeigen Artillerie-Einschläge zu etwa zwei Dritteln auf der östlichen Seite der Demarkationslinie, wobei auch die westliche Seite der Regionen zu einem erheblichen Teil von der russischen Minderheit bewohnt wird.
Eine Woche vor Beginn der russischen Invasion, am 17.02.2022, dokumentiert die OSZE 648 Verletzungen des Waffenstillstands und 519 Einschläge im Gebiet Lugansk, unter anderem wird ein Kindergarten getroffen.
Friedrich Merz ließ sich kürzlich vor den Trümmern eines Gebäudes in der Westukraine fotografieren. Ein solches Bild hätte man genauso gut Anfang 2022 in zahlreichen Ortschaften der Volksrepubliken machen können. Es ist die selektive Betroffenheit, die Gleichgültigkeit in diesem und der eingeschaltete Moral-Modus in jenem Fall, der dem unparteiischen Beobachter so auf die Nerven geht.
Hinzu kommt das Avanti Dilettanti von Leuten wie Strack-Zimmermann (Qualifikation: Publizistik, Germanistik, Stahlhelmfrisur), die nicht aufhören will „bis das Land wieder sein ganzes Staatsterritorium kontrolliert.“ Vermutlich weiß die Freie Demokratin nicht, wie schwer Russland auf „seinem“ Territorium zu schlagen ist. Doch die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zeigt:
Anfangs stellen sich die Kommandanten nicht besonders schlau an, die Armee macht fatale Fehler, sie haben Schwierigkeiten mit der Versorgung -Tolstoi schreibt darüber in Krieg und Frieden- und nicht alle Soldaten erscheinen pünktlich zur Schlacht. So bekommt der Feind zunächst den Eindruck, er habe leichtes Spiel. 1812 sahen die Franzosen schon wie die sicheren Sieger aus, erreichten sogar Moskau. Die Wehrmacht schien zwischen 1941 und 1942 durchzumarschieren bis ihr der Winter und die zahlenmäßig überlegene Rote Armee bei Stalingrad die Grenzen aufzeigten. Am Ende waren weder Bonaparte noch Adolf in der Lage, das Riesenreich zu bezwingen. Und ich lege mich da jetzt mal fest. Auch Strack-Zimmermann schafft es nicht.
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1. Ich schreibe „Lugansk“, auch wenn die Autokorrektur damit nicht einverstanden ist. Es gibt meines Wissens kein „H“ in den slawischen Sprachen. Schröder wird im Russischen Gergard und Genscher Gans-Dietrich genannt. Das zu recherchieren, ist von einem Tagesschau-Redakteur vielleicht zu viel verlangt.
2. Moritz Gathmann, Der Spiegel, 6. Juni 2014
3. Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen Teil II (Artikel 7) und Teil III (Artikel 8–14). Von der Ukraine 1998 unterzeichnet, 2005 ratifiziert, 2006 in Kraft getreten.
4. Focus Online, 12.05.2014
5. Ein Foto zeigt, wie das Regiment vor einer Swastika-Flagge, einer Südstaatenflagge und einer Flagge mit dem NATO-Stern posiert. Ein Kombattant hebt den rechten Arm.
6. Fox News, 01.04.2022
7. Jacques Baud in Bonpourlatete, 25.03.2022
8. »In Luhansk region, the Mission recorded 648 ceasefire violations, including 519 explosions.« OSZE Tages-Bericht vom 18.02.2022. Den OSZE-Vorsitz hat seit 2022 Russland-Feind Nummer 1 Polen inne. Unwahrscheinlich, dass diese Daten nicht den Tatsachen entsprechen.
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