Ein neuer Sprachleitfaden des rotrotgrünen Senats soll nun die wichtigen Probleme der Berliner Verwaltung lösen: Berliner Behörden sollen künftig „diversitysensibel“ formulieren. Wie das Neusprech genau geht, welche Begriffe ganz verboten sind und was man statt „Flüchtling“ oder „anschwärzen“ sagen muss, verrät das Wunderpapier. Ein Gastbeitrag von Norman Hanert
Ob es um Schlangestehen auf den Bürgerämtern oder um wochenlange Wartezeiten für einen Termin bei der Autozulassung geht, Berlins chronisch überlastete Verwaltung hat die Geduld der Bürger in den vergangenen Jahren häufig auf eine harte Probe gestellt.
Künftig werden sich die Berliner bei Behördengängen aber wenigstens an einer „diversitysensiblen“ Sprache erfreuen können.
Motto: „niemanden ausgrenzen“
Als Teil eines Landesprogramms „Diversity-Landesprogramm“ hat der Senat kürzlich einen Leitfaden für „Mitarbeitende der Berliner Verwaltung“ mit dem Titel „Vielfalt zum Ausdruck bringen“ vorgelegt. Nach Selbstdarstellung der Verfasser wird dabei das Anliegen verfolgt, Schriftstücke und die Öffentlichkeitsarbeit im Land Berlin so zu gestalten, „dass sie der Vielfalt der Bevölkerung gerecht werden, niemanden ausgrenzen oder das Lesen bzw. Ausfüllen unnötig erschweren“.
Ein näherer Blick in den Leitfaden lässt beim Leser allerdings schnell Zweifel aufkommen, ob mit den vorgeschlagenen Formulierungen tatsächlich „möglichst viele Menschen erreicht werden“. Berlins Landesbediensteten können dem 44-seitigen Werk beispielsweise bemerkenswerte Wortschöpfungen wie „Rom*nja und Sinti*zze“ als „geschlechterinklusive Selbstbezeichnung“ der Zigeunervölker von Roma und Sinti entnehmen.
Sogar der „Flüchtling“ soll weg
Aus dem Wortschatz der Landesbediensteten besser verschwinden sollen dagegen Formulierungen wie „schwarz fahren“. Als bessere Alternative wird „Fahren ohne gültigen Fahrschein“ vorgeschlagen. Auch auf das Wort „anschwärzen“ sollen die Mitarbeiter der Verwaltung lieber verzichten und dafür „nachsagen“, „melden“ oder „denunzieren“ verwenden. Laut dem Leitfaden handelt es sich bei schwarzen Menschen zudem nicht um die Beschreibung einer Hautfarbe, „sondern vielmehr um eine politische Selbstbezeichnung für Menschen, die Rassismuserfahrungen machen“.
Laut dem Leitfaden ist selbst der Begriff „Flüchtling“ aus „sprachlicher Hinsicht äußerst umstritten“. Der Begriff reduziere den Menschen auf einen Teil seiner Biografie und sei darüber hinaus „aufgrund der Instrumentalisierung politischer Gruppen, aber auch aufgrund von medialen Wortneuschöpfungen wie ,Flüchtlingswelle‘, stark negativ besetzt“. Als Alternative schlagen die Macher des Leitfadens vor, Vokabeln wie „Geflüchtete“, „Schutzsuchende“ oder „geschützte Personen“ zu verwenden.
Asylbewerber gibt es nicht
Auch die Bezeichnungen „Asylantin, Asylant“ und „Asylbewerberin, Asylbewerber“ sollen nach Meinung der Verfasser nicht mehr verwendet werden. Die Wörter seien irreführend, „weil ein Grundrecht auf Asyl besteht: D. h. Menschen bewerben sich nicht um Grundrechte, sondern haben sie einfach.“ Vorgeschlagen wird stattdessen der Rückgriff auf Benennungen wie „Asylsuchende“, „Schutzberechtigte“ oder „geschützte Personen“.
Auf weniger Differenzierung läuft ebenso die Empfehlung zur Bezeichnung „illegale Migrantin, illegaler Migrant“ hinaus. Zumindest aus Sicht der Autoren ist es im gesellschaftlichen Diskurs inzwischen gängiger, von illegaler oder irregulärer Migration zu sprechen. Als weitere Alternative schlagen die Verfasser „irreguläre Einreise oder undokumentierte Migrantinnen und Migranten“ vor. Als „illegal“ wird also bloß noch „irregulär“.
Alte Menschen kaum erwähnt
Aufschlussreich ist der Leitfaden im Hinblick darauf, welche Schwerpunkte der rot-rot-grüne Senat bei seinem, „Diversity und Personalmanagement“ offenbar setzt: Laut offizieller Statistik ist fast jeder fünfte Berliner 65 Jahre und älter. Das Problem der Diskriminierung aufgrund des Lebensalters wird in dem Leitfaden jedoch lediglich auf zwei Seiten, ganz am Schluss, abgehandelt.
In dem ohnehin schon knapp gehaltenen Kapitel gehen die Autoren nicht nur kurz auf die Diskriminierung älterer Menschen ein, sondern auch gleich noch auf eine angebliche Jugenddiskriminierung: Angeführt werden hierzu Mindest-Altersgrenzen, die jüngeren Menschen „den Zugang zu einer beruflichen oder ehrenamtlichen Position verwehren“. Sehr viel ausführlicher, nämlich auf insgesamt 13 Seiten, beschäftigt sich der Neusprech-Leitfaden mit Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung.
Dirk Behrendt hauptverantwortlich
Herausgegeben wurde der Leitfaden von der „Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung“. Die Dienststelle ist beim Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dirk Behrendt, angesiedelt.
Der Berliner Grünen-Politiker war auch treibende Kraft hinter dem umstrittenen „Landesantidiskriminierungsgesetz“, das bereits im Juni in Kraft getreten ist.
Der Beitrag erschien zuerst in der PAZ.
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