(Bernd Kallina) Der Linksextremismus bedroht zunehmend den demokratischen Rechtsstaat. Dies belegt eine neue Studie des Extremismus-Experten Karsten Hoffmann. Ein Gespräch über die systematische Verharmlosung einer brisanten Entwicklung.
Die nächtelangen Ausschreitungen in Leipzig haben ein altes und oft verdrängtes Problem in Deutschland wieder einmal schlagartig ins öffentliche Bewusstsein gerückt: linke, gewalttätige Militanz. Die PAZ sprach mit dem Extremismus-Experten und Buchautor Karsten Hoffmann über die Hintergründe dieser Vorkommnisse. Hoffmann, dessen Dissertation über das Autonome Zentrum „Rote Flora“ in Hamburg mit dem Preis der Deutschen Hochschule der Polizei ausgezeichnet wurde, veröffentlichte kürzlich im Gerhard-Hess-Verlag das Werk: „Gegenmacht. Die militante Linke und der kommende Aufstand“.
Herr Dr. Hoffmann, Sie haben sich seit über einem Jahrzehnt mit militanten Strömungen nicht nur von rechts befasst, sondern auch mit jenen von links. Sie dürften also von den jüngsten Krawallen in Leipzig nicht überrascht gewesen sein, oder?
Karsten Hoffmann: Nicht wirklich! Die Szene in Leipzig ist ja gerade dabei, Hamburg und Berlin den Rang in Sachen Aktivität und Gewaltbereitschaft abzulaufen. Aus Sicht der Krawall-Akteure ist das sicher ein Erfolg. Der Stadt Leipzig kann ich leider kein gutes Zeugnis ausstellen – insbesondere, weil so etwas nicht über Nacht passiert, sondern auf eine langfristige Entwicklung zurückblicken kann.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat ein entschiedenes Vorgehen des Staates gegen die Gewalttäter angekündigt. Und Leipzigs OB Burkhard Jung (SPD) äußerte sich ähnlich. Wie wirken solche Reaktionen auf Sie?
Diese Formulierungen wirken reflexartig und auch etwas abgedroschen. Man muss allerdings berücksichtigen, dass diejenigen, die sich kritisch zu linker Gewalt äußern, schnell in den Verdacht geraten, sie wollten rechte Gewalt relativieren. Insofern muss man heute wohl froh sein, wenn sich Vertreter der etablierten Parteien kritisch zu solchen Ausschreitungen äußern.
Der Leipziger Vorsitzende der Linkspartei erklärte abweichend, dass nur massive Ausschreitungen Aufmerksamkeit für berechtige Forderungen sicherten. Welche Strategie verfolgt die Linkspartei mit derartigen Relativierungen?
Sie spielen wahrscheinlich auf den Widerspruch an, dass die Linke sich als gewaltfreie Partei geriert, aber gleichzeitig gewalttätigen Randalierern den Rücken stärkt. Ich fürchte, diesen Widerspruch kann ich nicht auflösen. Aber vielleicht trägt zur Erklärung bei, dass die Partei und die Autonomen mit dem „kapitalistischen System“ das gleiche Feindbild haben und dass zumindest ein Teil ihrer Wähler mit der militanten Linken sympathisiert.
Interessant ist auch, dass sich – im Gegensatz zum tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremismus – mit der offenkundigen Realität antidemokratischer und gewalttätiger Linker in Deutschland kaum jemand wissenschaftlich oder pädagogisch aufklärend auseinandersetzt. Was ist der Hauptgrund für dieses Wegschauen?
Insgesamt werden nur etwa ein bis zwei Prozent der Fördermittel in der Extremismusprävention für Projekte zum Thema Linksextremismus bereitgestellt. Es gibt daher nur wenige bezahlte Aufträge und wenige Institutionen, die sich mit dem Thema befassen. Und weil das Thema so emotional aufgeladen ist, können Sie noch nicht einmal einen öffentlichen Vortrag halten, ohne dass linke Gruppen dazu aufrufen, ihn zu verhindern. Für die eigene Karriere ist dieses Thema also nicht besonders förderlich. Ein Rätsel bleibt mir aber das Verhalten der Zivilgesellschaft. Es gibt zwar Hunderte Vereine und informelle Gruppen, die sich mit Rechtsextremismus befassen, aber kaum eine Handvoll von Initiativen, die militante linke Gruppen im Fokus haben. Dabei wäre das gerade für die Parteien des bürgerlich-konservativen Spektrums von elementarem Interesse! Es sind ja vorrangig ihre Vertreter, die von militanten Aktionen betroffen sind. Aber haben Sie schon mal von einem „Arbeitskreis linke Gewalt“ in einem CDU-Ortsverband gehört? Ich jedenfalls nicht.
Das erhebliche Gefälle in der öffentlichen Wahrnehmung und Ahndung extremistischer Strömungen wird vor allem in der Statistik sichtbar, im Bereich der sogenannten Propaganda-Delikte: Rund 70 Prozent der Straftaten von „rechts“ sind Propaganda-Delikte, die es aber in vergleichbarer Form „links“ gar nicht gibt. Dabei wurden in der Menschheitsgeschichte nirgendwo größere Verbrechen begangen als unter Regierungen, die sich dem Sozialismus verpflichtet fühlten. Hat hier der Gesetzgeber versagt?
Man könnte im Sinne einer Gleichbehandlung durchaus darüber nachdenken, auch das Zeigen linksextremer Symbole unter Strafe zu stellen, zum Beispiel das RAF-Logo oder die Symbole der kommunistischen Regime, die viel Leid über die Menschen gebracht haben. Aber das ist eine politische Entscheidung. Mir geht es um die Frage, was man tun kann, um gewaltbereite Gruppen zurückzudrängen oder diese Gewalt gar nicht erst entstehen zu lassen. Und ich denke, das Verbot von Symbolen würde weniger zu einer Eindämmung linker Militanz als zu einer Überlastung unserer Gerichte führen.
Der Verfassungsschutz warnte kürzlich vor der Gefahr eines neuen Linksterrorismus. Gibt es eine Zunahme linker Gewalt, beziehungsweise hat sich die Intensität der Gewalt verändert?
Schaut man sich die Entwicklung der linksmotivierten Gewalttaten seit der Jahrtausendwende an, so lässt sich quantitativ von einer deutlichen Zunahme sprechen. Allerdings gibt es diese Statistik erst seit 2001, und ich habe nicht den Eindruck, dass die Militanz der 80er und 90er Jahre der heutigen in irgendetwas nachsteht.
Was ist neu in diesem Bereich?
Vor allem die Mobilisierungsfähigkeit. Heute ist jeder vernetzt, das heißt selbst bei spontanen Anlässen sind innerhalb kurzer Zeit militante Gruppen aus dem Umland und aus anderen Städten dabei. Und wenn es um internationale Konferenzen wie beim G-20-Gipfel geht, dann kommen auch Militante aus Italien, Griechenland oder der Türkei.
Die militante Linke wäre ein weitaus geringeres Problem, würde sie nicht von weiten Teilen der Gesellschaft ignoriert, wohlwollend geduldet oder sogar unterstützt, so Ihre These. Hat sich zum Beispiel nach den verheerenden Verwüstungen ganzer Stadtteile in Hamburg beim G-20-Gipfel vor zwei Jahren nicht wenigstens etwas verändert?
Es war sicher keine gute Idee der Bundesregierung, ein G-20-Treffen ausgerechnet in einer Großstadt wie Hamburg durchzuführen, die eine besonders aktive militante Szene hat. Doch unser Blick auf große Randale-Ereignisse wie am 1. Mai oder jüngst in Leipzig führt in die falsche Richtung. Worüber die Öffentlichkeit weniger spricht, sind die tagtäglichen gewalttätigen Übergriffe, die dafür sorgen, dass sich Menschen aus der Politik zurückziehen, dass Wirte ihre Räume nicht mehr für Parteien zur Verfügung stellen und dass im Ergebnis Menschen möglicherweise anders wählen, weil einige Parteien im demokratischen Wettbewerb benachteiligt sind. Die militante Linke gibt vor, gegen jede Form von Macht zu sein, etabliert sich aber als Gegenmacht zum demokratischen Rechtsstaat.
Die wohlwollende Duldung linker Militanz hat sogar die Staatsspitze erreicht. So warb etwa der Bundespräsident im Zusammenhang mit der Tötung eines Deutschen durch Migranten in Chemnitz 2018 für die gewaltverherrlichende linke Musikgruppe „Feine Sahne Fischfilet“. Wie erklären Sie sich eine derartige Unsensibilität?
Es steht dem Bundespräsidenten natürlich frei zu entscheiden, wie er sein Amt führt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sich Herr Steinmeier jemals mit dieser Band näher beschäftigt hat. Deren Texte richten sich ja nicht nur gegen Rechtsextremismus, sondern auch gegen die Polizei und die etablierten Parteien. Der Sänger der Gruppe hat auf dem besagten Konzert erklärt, dass er die „räudige Hetze der Regierungsparteien“ einfach nur abstoßend findet. Und zu diesen gehört ja immerhin auch die SPD.
Diese – seit Jahrzehnten verfestigte – Fehlentwicklung legt die Frage nah: Wie kann der Einfluss einer militanten Linken nachhaltig zurückgedrängt werden?
In der Konfrontation auf der Straße, also mit härterem Durchgreifen wird es jedenfalls nicht gelingen. Stattdessen würden die militanten Szenen dadurch weiter radikalisiert, ihr innerer Zusammenhalt gestärkt und sogar für Nachwuchs gesorgt. Der zentrale Grund für die ausufernde linke Gewalt ist ihre mangelnde öffentliche Ächtung. Hier müsste man ansetzen und ein gesellschaftliches Bewusstsein schaffen für die immensen Gefahren, die von linker Militanz ausgehenden.
Was heißt das konkret?
Ich habe in meinem Buch eine ganze Reihe von Ansätzen dargestellt, etwa die Einrichtung von Opferfonds oder eine höhere Mindeststrafandrohung im Versammlungsrecht. Am wichtigsten wäre aber, militante Aktionen zu dokumentieren, Flugblätter und Internetseiten auszuwerten, die Akteure zu beobachten und die Ergebnisse zu kommunizieren. Denn: Wenn man diese Arbeit allein den Behörden überlässt, dann wird sich nichts Grundlegendes ändern. Gefragt sind hier vor allem die Universitäten, Parteien und Stiftungen, aber im Grunde die gesamte Gesellschaft.
Karsten D. Hoffmann
Gegenmacht
Die militante Linke und der kommende Aufstand
Gerhard Hess Verlag 2020, 252 Seiten, 16,99 Euro
ISBN 978-3-87336-678-7
www.gerhard-hess-verlag.de
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