Wie vor jeder Wahl, steht die Verschlankung des XXL-Bundestags erneut auf der Tagesordnung. Ausgehend von Initiativen der kleinen Fraktionen, die sich als Hauptbenachteiligte des aktuellen Systems fühlen, schiebt die Große Koalition das Thema allerdings vor sich her. Ein Gastbeitrag von Ramin Peymani
Vor genau zwölf Jahren erklärte das Bundesverfassungsgericht das damalige Bundestagswahlrecht in Teilen für verfassungswidrig. Zwar hatte die Berechnungsmethode für die Mandatsverteilung bis dahin dafür gesorgt, dass die auf 598 Abgeordnete festgeschriebene Größe des höchsten deutschen Parlaments weitgehend eingehalten wurde, doch barg das komplizierte Verfahren die Gefahr, dass kleinere Parteien im Zuge der durch sogenannte Überhangmandate notwendigen Umverteilung trotz eines Wählerstimmenzuwachses einen Verlust an Parlamentssitzen erleiden konnten.
Die daraufhin beschlossene Änderung des Wahlrechts kassierten die Verfassungsrichter 2012 sofort wieder. Eine abermalige Reform, die seit 2013 gilt, sorgt seither für einen immer weiter aufgeblähten Bundestag. 631 Abgeordnete umfasste dieser bereits nach der Bundestagswahl 2013. Seit 2017 sind es 709, und 2021 dürfte die Zahl auf über 800 Sitze anwachsen. Gegenüber der vorgesehenen Normgröße von 598 Abgeordneten würde dies nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler zu Mehrkosten von annähernd 150 Millionen Euro pro Jahr führen.
Wie vor jeder Wahl, steht die Verschlankung des XXL-Bundestags erneut auf der Tagesordnung. Ausgehend von Initiativen der kleinen Fraktionen, die sich als Hauptbenachteiligte des aktuellen Systems fühlen, schiebt die Große Koalition das Thema allerdings vor sich her. Insbesondere die von den zusätzlichen Mandaten profitierende Union zeigt wenig Interesse, ihren Politsprösslingen die Aussicht auf den „Jackpot Bundestag“ zu vermiesen. Weniger Mandate sind eben Gift für die Motivation.
Der Konstruktionsfehler liegt in der Tatsache, dass die Abgeordneten selbst über ihre Rahmenbedingungen entscheiden
Schon dies zeigt, in welche Schieflage unsere Demokratie geraten ist. Nicht etwa die Frage nach der angemessenen Parlamentsstärke und einem effizienten Politikbetrieb steht im Mittelpunkt, sondern der Wille, möglichst vielen Parteigängern die Hoffnung auf einen hochdotierten Abgeordnetenplatz zu erhalten. Deutschland ist zur Beute der Parteien geworden. Was als stabilisierendes Element der Demokratie gedacht war und die Grundlage für die repräsentative Besetzung der Parlamente bilden sollte, hat sich völlig verselbständigt.
Dabei liegt der Konstruktionsfehler in der Tatsache, dass es die Abgeordneten selbst sind, die über ihre Rahmenbedingungen entscheiden. Sie tun dies immer dreister, immer raffinierter und immer unverhohlener zu ihrem eigenen Vorteil und dem der Parteien, denen sie den Zugang zu Macht und Geld verdanken. Hatten die Väter des Grundgesetzes im Sinn, dass die Parteien „bei der politischen Willensbildung des Volkes“ mitwirken, so haben sich diese längst zu Unternehmen entwickelt, denen es vorrangig um ihre Marktmacht und die größtmögliche Abschöpfung der Steuerzahlertöpfe geht. Immer mehr Geld muss her für die Marketingmaschinen, immer mehr Einfluss sichert man sich bis in die letzte Verästelung der Gesellschaft.
Heute gibt es praktisch keinen Lebensbereich mehr, der nicht von den Parteiapparaten besetzt ist. Nicht nur der Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dessen schier endlose Gier nach Zwangsgeldern geben davon Zeugnis. Inzwischen hat sich der Parteienstaat längst auch in der Gerichtsbarkeit und in den Organen des Verfassungsschutzes breit gemacht. Die Gewaltenteilung steht auf der Kippe.
Wer Listenplätze und Mandate nach Proporz vergibt, verzichtet darauf, die fähigsten Kandidaten in die Parlamente zu entsenden
Es ist durchaus möglich, den Bundestag deutlich zu verkleinern. So plädiert etwa die Staatsrechts-Professorin Sophie Schönberger für ein Verfahren, das nur noch so vielen Wahlkreiskandidaten ein Mandat gibt, wie es dem Zweitstimmenanteil der Parteien entspricht. Die Sorge, einzelne Wahlkreise könnten dann mangels eines Bundestagsvertreters nicht mehr im gebotenen demokratischen Maße bedient werden, ist eine Schutzbehauptung.
Den Parteien geht es ausschließlich um den Proporz – wobei wir bei einem weiteren Problem wären: Wer Listenplätze und Mandate nach Proporz vergibt, verzichtet darauf, die fähigsten Kandidaten in die Parlamente zu entsenden. In einer immer höhere intellektuelle Anforderungen stellenden Berufspolitik kann dies nur zu jenen unterdurchschnittlichen Ergebnissen führen, die wir beobachten. Und wenn wir schon dabei sind, über Alternativen zu reden, ließe sich auch hinterfragen, warum es zweier Stimmen auf dem Wahlzettel bedarf. Dass Parteien das Prinzip der Erststimme verteidigen, um prominente Wahlkreiskandidaten als Zugmaschinen zu nutzen, ist kein Erfordernis der Demokratie. Stattdessen könnte das Kumulieren und Panaschieren bei Bundestagswahlen eingeführt werden, das Bürgern schon auf kommunaler Ebene deutlich mehr Mitbestimmung über die Mandatsträger gibt. Dies würde die Demokratie stärken, den Parteigranden aber die Sicherheit nehmen, an ihr Mandat zu kommen.
Für Alternativen muss man gar nicht erst ins Mehrheitswahlrecht einsteigen, das nur den Sieger eines Wahlkreises ins Parlament befördert. Auch dieses sorgt aber dafür, dass die festgelegte Parlamentsgröße eingehalten wird. Nichts davon wird kommen. Der Bundestag wird sich weiter aufblähen. Die Demokratie gehört längst den Parteien.
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