Im Gespräch mit Richard Schröder und Wilhelm v. Boddien. Über den Stand des Wiederaufbaus des Berliner Schlosses, den wahren Geist des alten Preußen und künftige Aufgaben für den Förderverein.
Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses geht auf die Zielgeraden. Nach Jahren lauter Debatten über die äußere Bebauung der historischen Mitte Berlins und die inhaltliche Ausgestaltung des Gebäudes verliefen die Bauarbeiten erstaunlich ruhig. Da ist es an der Zeit für ein erstes Fazit derjenigen, die vor vielen Jahren die Idee des Wiederaufbaus angestoßen haben.
Herr v. Boddien, Sie sind als Gründer des Fördervereins Berliner Schloss der maßgebliche Initiator des Wiederaufbaus. Sind Sie mit dem sich nun abzeichnenden Ergebnis zufrieden?
Ja, in aller Bescheidenheit. Wir haben eigentlich mehr erreicht, als wir uns am Beginn unserer Arbeit erträumt hatten.
Herr Schröder, Sie sind als Vorsitzender des Fördervereins ein weiterer Protagonist des Wiederaufbaugedankens gewesen. Was hatte Sie als sächsischen Sozialdemokraten dazu bewogen, sich für den Wiederaufbau des zentralen Bauwerks der preußischen Monarchie zu engagieren?
Wenn eine Plastik am Straßburger Münster verwittert, wird sie ersetzt, um das Gesamtkunstwerk zu erhalten. Auch Innenstädte können Gesamtkunstwerke sein. Die Allee Unter den Linden war wie ein Witz ohne Pointe, solange sie auf einen Parkplatz mit Randbebauung, den Palast der Republik, zulief. Als das Berliner Schloss gesprengt wurde, hatte es die preußische Monarchie um mehr als 30 Jahre überlebt. Ulbricht hätte hier ebenso residieren können wie die sowjetische Führung im Kreml und die tschechoslowakische im Hradschin.
In der Demokratie hat die kulturelle Nutzung von Königsschlössern glänzende Beispiele: so den Louvre und den Prado.
Dennoch befürchteten in den 90er Jahren nicht wenige dass mit der Wiederkehr des Schlosses auch eine Renaissance des monarchischen Denkens einhergehen könnte.
Richard Schröder: Die Idee, dass der Wiederaufbau eines Schlosses auch die Gedankenwelt seiner Entstehungszeit wiedererstehen lässt, rechne ich der Gespensterfurcht zu. Wenn man Pompeji ausgräbt, kehrt doch die Sklaverei nicht zurück. Es war außerdem ein historischer Irrtum, als die Alliierten die Auflösung Preußens verfügten, weil es eine Quelle des Nationalsozialismus gewesen sei. Den unbedingten Gehorsam haben die Nazis erfunden und nicht die Preußen. Als König Friedrich II. dem Major von der Marwitz befahl, aus Rache ein sächsisches Jagdschloss zu liquidieren, bat dieser um seine Entlassung, um den sittenwidrigen Befehl nicht ausführen zu müssen. „Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre gebracht hätte“, ließ ihm sein Neffe auf den Grabstein schreiben. Das ist für mich der Geist des wahren Preußen.
Was hat die Kritiker verstummen lassen?
Wilhelm v. Boddien: Unsere Chance war die 1993 für eineinhalb Jahre in die Mitte Berlins zurückgekehrte Schloss-Simulation im Maßstab 1:1. Angesichts dieser Ausstellung entschieden sich zahlreiche Gegner und Skeptiker für das Schloss, auch weil die Moderne keine ernstzunehmenden Alternativen vorschlug. Und während sich die Schlossgegner hoch emotionalisiert, aus Mangel an wirklichen Argumenten, zum Teil hasserfüllt an uns abarbeiteten, blieben wir heiter und freundlich.
Hat sich irgendjemand von den Kritikern, die immer wieder auch Sie persönlich angegriffen haben, jemals bei Ihnen gemeldet und Abbitte geleistet?
Wilhelm v. Boddien: Niemand, solche Tugenden sind in der heutigen Gesellschaft wohl ausgestorben.
Was hat letztlich den Ausschlag gegeben für den Beschluss des Deutschen Bundestags, das Schloss wiederaufzubauen?
Wilhelm v. Boddien: Es war für viele Abgeordnete, quer durch alle Parteien, wohl die Sehnsucht nach der Heilung der Stadtmitte Berlins durch die Schönheit des Schlosses. Bei anderen war es, angesichts der gewaltigen Bausumme, wohl auch die Sorge vor einer Fehlinvestition in eine nicht überzeugende moderne Architektur, die schließlich ja auch das dort stehende historische Ensemble wieder zusammenzufügen sollte.
Und so gab es 2002, übrigens bei einer rot-grünen Mehrheit im Bundestag, einen sehr seltenen parlamentarischen Beschluss: Der Ältestenrat hob für die Abstimmung den Fraktionszwang auf und ordnete eine namentliche Abstimmung mit Anwesenheitspflicht für alle Abgeordneten an – und damit zugleich ihr persönliches, in dem Protokoll dokumentiertes Bekenntnis. So kam es zu einer fast Zweidrittelmehrheit für das Schloss.
Der Wiederaufbau selbst ist dann auffallend geräuschlos verlaufen, während der Berliner Flughafen, die Hamburger Elbphilharmonie und Stuttgart 21 durch zeitliche Verzögerungen und Kostenexplosionen für Schlagzeilen sorgten. Was lief beim Berliner Schloss/Humboldt Forum anders?
Richard Schröder: Der damalige Vorsitzende der Stiftung Humboldt Forum und somit Bauherr des Schlosses, Manfred Rettig, hat erklärt: „Ich werde das Schloss so bauen wie bestellt. Wenn die Politik Änderungswünsche hat, dann bitte erst nach der Bauabnahme, aber während des Baus ohne mich.“
Kann der Schlossbau somit als Muster für andere Großprojekte gelten?
Richard Schröder: Die triviale Regel: Das beauftragte Unternehmen liefert wie bestellt, und die Politik redet bis zur Fertigstellung nicht rein, würde sicher viel Ärger und Kosten ersparen.
Was sonst lässt sich aus der Geschichte des Wiederaufbaus lernen?
Richard Schröder: Nachdem noch zu DDR-Zeiten klassizistische Bauten Unter den Linden erhalten, wiederhergestellt oder auch nachempfunden worden waren, hat ein Architektur-Wettbewerb für den Schlossplatz unter Beweis gestellt, dass es eine blamable Geschmacklosigkeit gewesen wäre, dieses Ensemble durch einen „zeitgemäßen“ Bau aus Glas und Stahl abzuschließen.
Wilhelm von Boddien: Es hat immer geheißen, dass das Know How für die Rekonstruktion verlorener historischer Bauten längst verloren gegangen sei. Das Berliner Schloss ist neben anderen hervorragenden Beispielen der Beweis dafür, dass es nicht so ist. Es war vielleicht bewusst weggedacht worden, um ein Ausschließlichkeitsmarketing für die Moderne zu haben, aber das war zu kurz gesprungen. Überall in der Welt werden historische Bauten restauriert und rekonstruiert. In Köln sorgt eine Dombauhütte dafür, dass dieses bedeutende gotische Bauwerk erhalten bleibt. Die Domfassade hat sich im Laufe der Jahre mehrfach gehäutet und ist an der Oberfläche ständig erneuert worden, weil sie sonst durch die Witterungseinflüsse Wasser, Hitze, Frost längst abgesandet und bis zur Unkenntlichkeit zerstört worden wäre, von menschlichen Einflüssen durch Kriegszerstörungen ganz zu schweigen. Wer hat den Dom jemals ohne Gerüste gesehen?
Wie hat das Ausland den Wiederaufbau in Berlin beobachtet? Immerhin haben der Zweite Weltkrieg und die Ära des Kommunismus überall in Europa viele historisch bedeutende Gebäude vernichtet.
Wilhelm von Boddien: Das Ausland war für uns zunächst einmal Vorbild. Im Ausland gibt es viel mehr Verständnis für die Rekonstruktion verlorener historischer Bauwerke. Denken Sie nur an Belgien mit dem historischen Wiederaufbau Yperns nach den Verwüstungen der Flandernschlachten 1914–1918, an den Wiederaufbau Warschaus nach der Sprengung der Stadt durch die SS im Sommer 1944 und an den Wiederaufbau der historischen Brücke von Mostar nach dem jugoslawischen Bürgerkrieg im 21. Jahrhundert. Auch der Wiederaufbau des in der Schlacht 1944 fast atomisierten Klosters Monte Cassino in Italien ist ein solches Vorbild. Darüber hinaus gibt es viele Dutzend mehr solcher großartigen Beispiele.
Nur die deutschen Denkmalpfleger und zahlreiche sogenannte Stararchitekten sind da rechthaberisch, ohne jedes echte Gefühl für die Bedeutung von verlorenen Bauten für uns Bürger. Der Wiederaufbau des restlos durch einen Brand 1906 zerstörten Hamburger Wahrzeichens, der Michaeliskirche um 1910 zeigt diesen Konflikt: Der Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher, der die damalige Moderne vertrat, sprach über den Wiederaufbau von einer „gefälschten Unterschrift“, während selbst Georg Dehio, der Begründer der modernen Denkmalpflege in Deutschland, angesichts der Proteste der Hamburger gegen eine moderne Kirche an der Stelle der alten sagte: „Sein wir doch auch einmal von Zeit zu Zeit tolerant!“ Das haben seine Epigonen leider fast alle vergessen und meinen mit ihrem dauernden „Nein“ die Menschheit vor Dummheiten, Fakes oder gar Disneylands retten zu müssen. Wie albern!
Während die äußere Hülle ohne Verzögerungen wiedererstand, kam der innere Ausbau, die konzeptionelle Ausgestaltung der Idee Humboldt Forum mehrfach ins Stocken. Die von der Kulturstaatsministerin Grütters eingesetzte Gründungsintendanz um Neil MacGregor lieferte zwar einige Ideen, aber kein schlüssiges Konzept. Die französische Ethnologin Bénédicte Savoy forderte, die außereuropäischen Sammlungen nicht im Humboldt Forum auszustellen, sondern sie den afrikanischen Völkern zurückzugeben. Und der erste Generalintendant Hartmut Dorgerloh hat bis heute kein Konzept präsentiert. Wie steht es aktuell?
Wilhelm v. Boddien: Da rate ich einfach zur Geduld. Es wird nie ein fertiges Humboldt Forum geben, weil es prozessual angelegt ist, sich inhaltlich also immer wieder der sich ständig verändernden Welt anpassen muss. Zunächst wird das Gebäude – wie bei der Hamburger Elbphilharmonie – von den Menschen gestürmt werden. Wenn es dann der Intendanz gelingt, durch gut gemachte, ständig Neues bietende Ausstellungen und Veranstaltungen das Interesse der Besucher auch auf die Inhalte des Humboldt Forums zu lenken, wird es ein großartiger Erfolg sein. Auch die Macher des Humboldt Forums müssen beachten, dass der Erfolg einer Sache im Echo der Besucher liegt.
Können Kurzentschlossene noch für den Wiederaufbau des Schlosses spenden?
Wilhelm von Boddien: Es fehlen immer noch einige wenige Millionen. Für interessierte Spender haben wir zum Beispiel noch wunderschöne Fassadenteile, die wir ihnen je nach Größe der Spende persönlich widmen. Damit gehen sie für jedermann sichtbar in die Annalen des Wiederaufbaus des Schlosses ein. Einfach mal fragen, die Auswahl ist riesig! Telefon: (040) 8980 7511, Frau Vieth.
Was wird aus dem Förderverein Berliner Schloss, wenn das Schloss wiederaufgebaut sein wird?
Wilhelm v. Boddien: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Das habe ich nun seit 30 Jahren immer wieder erlebt. Es gibt noch viel zu tun und natürlich auch noch unerfüllte Wünsche für die Rekonstruktion, denken Sie nur an das historische Schlossumfeld und die Verweigerungshaltung der Berliner Stadtentwicklungspolitik dazu. Da müssen noch dicke Bretter gebohrt werden. Das dauert noch. Aber wir haben bisher nie aufgegeben, sonst würde das Schloss nicht dort stehen. Also stellen wir unsere Arbeit zum Wiederaufbau erst dann ein, wenn wirklich nichts mehr geht und alles Erreichte auch wie versprochen über Spenden bezahlt wurde.
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Das Interview führte René Nehring. Es erschien zuerst bei PREUSSISCHE ALLGEMEINE.
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