Sonntag, 22. Dezember 2024

Die Camouflage der Linkspartei

Wie die Ex-SED versucht, sich in die politische Mitte zu schleichen und dennoch ihrer Geschichte nicht entkommt. Ein Gastbeitrag von Reinhard Mohr

Das gerade zurückliegende Polit-Drama in Thüringen, das die ganze Republik in Wallung brachte, hatte viele Aspekte – einer davon war die nicht zuletzt medial inszenierte Präsentation des alten und neuen linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow als Inkarnation jovialer, wohltemperierter Gutbürgerlichkeit: katholisch, pragmatisch, volksnah. Ein Winfried Kretschmann des Ostens, den auch liberal-konservative Wähler schätzen, obwohl Ramelow die DDR bis heute nicht als „Unrechtsstaat“ bezeichnen will. Doch das ist nur ein kleiner Schönheitsfehler.

Umso unverständlicher schien vielen das Beharren der CDU-Führung auf dem Abgrenzungsbeschluss gegenüber der Linkspartei. Diese sei, so der Tenor eines großen Teils der Öffentlichkeit, doch längst nicht mehr radikal, gar extremistisch. Sie habe mit ihrer Vergangenheit gebrochen und sie aufgearbeitet. Vergleiche mit dem Rechtsextremismus verbitte man sich. In Wahrheit verkörpere Bodo Ramelow die neue, fortschrittliche Mitte, während die FDP, einst Zentrum des bürgerlichen Liberalismus, mit dem reaktionären rechten Rand paktiere.

Träume von „nach der Revolution“

Dass dieses Bild von der brav demokratisch gewordenen Linkspartei so dominant geworden ist, liegt zum einen an der Geschichtsvergessenheit vieler Zeitgenoss*innen (die „gegenderte“ Sprache ist noch ein Markenzeichen der Ex-SED). Zum anderen wird die tagtägliche Realität in dieser Partei systematisch ausgeblendet.

Deshalb war es pures Pech für die glattgeschmirgelte PR der Partei, dass jüngst ein Mitschnitt von der „Zukunftskonferenz“ der Linken auftauchte, in dem eine junge Genossin ein Problem ansprach, das auch nach einer „Revolution“ fortbestehe: „Und auch wenn wir das eine Prozent der Reichen erschossen haben, ist es noch immer so, dass wir heizen wollen.“ Der anwesende Parteichef Riexinger machte es dann noch schlimmer, als er begütigend anmerkte: „Wir erschießen sie nicht, sondern setzen sie schon für nützliche Arbeit ein.“ Revolutionäre Zwangslager für Ausbeuter und Unbelehrbare sind offenbar Teil der sozialistischen Utopie geblieben.

Ältere erinnern sich vielleicht noch an eine ähnliche Prophezeiung des „Kommunistischen Bundes Westdeutschland“ (KBW) aus den 70er Jahren, die damals einen „Volksverräter“ traf. Der deutsch-jüdische Anarchist Daniel Cohn-Bendit, immerhin Held des Pariser Mai-Aufstands von 1968, dennoch für bourgeoise Abweichungen wie Austernschlürfen anfällig, werde „von der Arbeiterklasse eine nützliche Arbeit zugewiesen bekommen, etwa in einer Fischmehlfabrik in Cuxhaven, oder er wird während der Revolution durch die Massen an den nächsten Baum gehängt“, hieß es damals in einem Aufruf. Man sieht: Die Linke bleibt sich treu und steht unerschütterlich in der totalitären Tradition kommunistischer Überwältigungs- und Vernichtungsstrategien, auch wenn sie derzeit noch zu schwach ist, Arbeitslager in Apolda einzurichten.

Begeisterung für Diktatoren

Dafür bewundert sie umso leidenschaftlicher Diktatoren in aller Welt: Nicolás Maduro in Venezuela; die kubanische Kamarilla, die nach Fidel Castros Tod die Macht an sich gerissen hat; Wladimir Putin sowieso. Im Zweifel auch den syrischen Schlächter seines eigenen Volkes, Baschar al-Assad.

Die linken Bundestagsabgeordneten Dieter Dehm, seit Langem unter Stasi-Verdacht, und Sevim Dagdelen, beliebter Talkshowgast, stellten Assad als Opfer einer ausländischen Aggression dar und behaupteten, NATO und USA bereiteten „offen den Krieg gegen die strategisch wichtigen, beziehungsweise rohstoffreichen Länder Syrien und Iran vor, die eine eigenständige Politik verfolgen und sich ihrem Diktat nicht unterordnen“. Kein Wort von den Verbrechen Assads gegen das eigene Volk und kein Wort vom „Islamischen Staat“, dessen Terror seit Jahren die Welt in Atem hielt. Der inzwischen zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag aufgestiegene Andrej Hunko machte Maduro vor Jahresfrist seine Aufwartung und wurde dabei wie ein Staatsgast empfangen. Nur konsequent, dass er auch blitzschnell und solidarisch zur Stelle war, als Putin 2014 mit Hilfe von „grünen Männchen“ die Krim annektierte.

Auf dem Europaparteitag der Linken 2019 erklommen zwei Dutzend Genossen die Bühne, darunter die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion und notorische „Israelkritikerin“, Heike Hänsel, und präsentierten ein Transparent mit der Aufschrift „Hände weg von Venezuela – vorwärts zum Sozialismus“. Klarer kann man nicht zum Ausdruck bringen, welche Art von Sozialismus diesen Genossen und Genossinnen vorschwebt: eine korrupte Militärdiktatur, die eine einst blühende Wirtschaft ruiniert und Millionen Bürger außer Landes treibt. Ein Jahr zuvor, auf dem Parteitag 2018, schaffte es ein Passus in den Leitantrag, in dem es heißt: „Die Oktoberrevolution war die erste siegreiche Revolution mit sozialistischer Orientierung, eine Alternative zum kapitalistischen System.“

Ein junger Genosse versuchte nun, an das große historische Vorbild anzuknüpfen und beschrieb auf der Strategiekonferenz die Aufgabe der Linken mit Worten, die sein intellektuelles Niveau zutreffend charakterisieren: „Staatsknete abgreifen, Informationen aus dem Staatsapparat abgreifen und den außerparlamentarischen Bewegungen zuspielen.“

Auch der Berliner „Mietendeckel“, ein rot-rot-grünes Gemeinschaftswerk, soll dem Klassenkampf auf die Beine helfen: „Die sozialen Kämpfe um die Wohnungsfrage machen die Klassenfrage sichtbar, und mit dem Mietendeckel gelingt es uns, eine Klassenauseinandersetzung von links zu führen und zu popularisieren, ohne dass irgendwo fett Klassenkampf draufsteht.“ So formuliert es die Genossin Katalin Gennburg und weiß sich dabei in der Tradition einer altkommunistischen Strategie, bei der haltlose Intellektuelle und reformistische Sozialdemokraten als „nützliche Idioten“ instrumentalisiert wurden.

Die Wirkung der Metamorphosen

Warum all das und vieles mehr in der großen medialen Öffentlichkeit so gut wie nicht zur Kenntnis genommen wird – auch wenn es zuletzt immerhin eine „Aktuelle Stunde“ zu den linken Erschießungsphantasien im Bundestag gab –, bleibt ein Rätsel. Es könnte womöglich an jenem Verdrängungsprozess liegen, den Alexander Kluge einmal in einem Filmtitel den „Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ genannt hat. Die historischen Verkleidungstricks haben jedenfalls durchschlagend gewirkt.

Das bis heute andauernde Vexierspiel begann im Dezember 1989, wenige Wochen nach dem Fall der Mauer. Die über 40 Jahre diktatorisch herrschende „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ (SED) war politisch und moralisch komplett desavouiert, erledigt und eigentlich am Ende. Doch unter der schlauen Führung des DDR-Rechtsanwalts Gregor Gysi ersann man eine Möglichkeit, die Partei – nicht zuletzt aus finanziellen Erwägungen, Stichwort: Parteivermögen – fortzuführen, ohne jedoch ihre katastrophale Erbschaft wirklich anzutreten und tatsächlich Verantwortung für all die Verbrechen übernehmen zu müssen.

Dieser dialektische Tigersprung in die Zukunft des vereinten Deutschlands gelang durch eine ganze Abfolge von symbolischen, besser: semantischen Metamorphosen. Zunächst benannte man die einstige Staatspartei der DDR in SED-PDS („Partei des demokratischen Sozialismus“) um. Ab dem 4. Februar 1990 wollte man nur noch PDS gerufen werden. Von Juli 2005 an lautete die korrekte Bezeichnung dann „Die Linkspartei. PDS“, bis sie im Juni 2007 mit der westdeutschen, von Oskar Lafontaine dominierten WASG fusionierte und fortan nur noch als „Die Linke“ auftrat.

Dabei trafen linksradikale Aktivisten aus dem Westen auf alte SED- und Stasi-Kader im Osten, dazwischen junge Leute mit gefärbten Kurzhaarfrisuren; in der Anmutung cool, frisch, fast sexy. Gregor Gysi gab den allgegenwärtigen, rhetorisch hochbegabten Robin Hood, der Stimmung gegen den sozial ungerechten Kapitalismus machte und bis ins bürgerliche Lager hinein Sympathien einheimste. Seine Stasi-Vergangenheit war zwar aktenkundig, schadete ihm aber nicht wirklich. Links war plötzlich wieder „in“, und mit gutem Recht konnten die 30-Jährigen sagen, dass sie mit der DDR ja nichts zu tun hatten. Waren zu DDR-Zeiten noch Panzer bei den großen Paraden über die Karl-Marx-Allee gerollt, gab sich die Ex-SED als „Die Linke“ nun radikal pazifistisch, antimilitaristisch, feministisch und ökologisch. In den Fernseh-Talkshows präsentierten sich Vertreter der Partei, an vorderster Front Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht, ehedem Chefin der „Kommunistischen Plattform“, als Sachwalter der kleinen Leute und der „Sozialschwachen“, die von der SPD („Hartz IV“) verraten worden seien.

Vom Rand in die Mitte

So kam es, dass die politischen Erben von Walter Ulbricht, Erich Mielke und Erich Honecker Teile der bürgerlichen Mitte eroberten, die sie zusammen mit den Grünen zugleich nach links verschoben. Während „rechts“ nur noch rechtsextremistisch und neonazistisch konnotiert wird, steht „links“ für das Gute, Wahre, Fortschrittliche. Vor allem die immer weiter schrumpfende CDU bekommt diese Verschiebung des politischen Koordinatensystems zu spüren, dessen Profiteurin die AfD ist. Jene AfD übrigens, zu der viele ehemalige Wähler der Linkspartei übergelaufen sind.

Allen Verwandlungskünsten zum Trotz haben Vertreter der Linkspartei nun gezeigt, dass der antifaschistische Kampf für sie noch lange nicht vorbei ist. Dass dieser Kampf in altkommunistischer Tradition stehen wird, zeigt allein ein Satz im Vorbereitungsband zur „Zukunftskonferenz“, gut 30 Jahre nach dem Mauerfall: „Die Schüsse an der Grenze waren die Antwort auf die Politik der BRD und ihrer Verbündeten, die DDR durch die Abwanderung vieler ihrer Bürger auf die Knie zu zwingen.“

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Zum Autor: Reinhard Mohr war 1996–2004 Redakteur des „Spiegel“ und bis 2010 Autor von „Spiegel Online“. Zu seinen Büchern gehört „Bin ich jetzt reaktionär? Bekenntnisse eines Altlinken“ (Gütersloher Verlagshaus, 2013). Sein oben veröffentlichter Beitrag erschien zuerst bei der „PREUSSISCHE ALLGEMEINE“.

PP-Redaktion
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