Samstag, 27. April 2024

Kunze spricht vom Teufel und wünscht zum Teufel …

Unser Autor hat das neue Buch von Heinz-Rudolf Kunze gelesen und sich die Frage gestellt, ob er es speziell einer konservativen Leserschaft empfehlen kann. Ein Gastbeitrag von Rainer Buck

Der Schriftsteller, Liederschreiber und Popsänger fällt aus dem Rahmen; das tat er schon bei seinem Auftreten Anfang der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts, als seine ersten Alben im Strudel der Neuen Deutschen Welle in die weite Öffentlichkeit gespült wurden. Schnell war klar, dass Kunze mit seinen anspruchsvollen Texten kein NDW-Vertreter war, aber sich mit Brille, modischer Kurzhaarfrisur und Yuppie-Outfit natürlich auch deutlich von Liedermacher-Zauseln alter Schule absetzte.

Im Laufe der 80er wurden seine Platten eingängiger, die Musik ging deutlich in Richtung Rockpop und im erfolgreichsten Jahrzehnt der Deutschrocker war er eine Zeitlang beinahe Mainstream. Heute seufzt er im Wissen, dass er für viele vor allem wegen seines Radio-Evergreens „Dein ist mein ganzes Herz“ ein Begriff ist.

Der „Quoten“-Forderer und „Deutschtümler“

In den 90er Jahren und im neuen Jahrtausend flachte die Erfolgskurve etwas ab. Uncool wirkte, dass er vermeintlich eigennützig durch eine Quote den Anteil deutschen Liedguts im gebührenfinanzierten Funk sichern wollte. Viele hätten sicher gerne davon profitiert, aber wenige wagten, sich dafür öffentlich zum Sprecher zu machen. Kunze wurde musikalisch berechenbarer, seine Songtexte konnten trotz ihrer Eloquenz auch mal seicht wirken; er wagte sich auf den Evangelischen Kirchentag und in volkstümliche Musiksendungen und sogar in die Vorentscheidung des europäischen Song-Contests. Allerdings fuhr er mehrgleisig, veröffentlichte Bücher, machte reine Lesetouren oder gastierte mit einer Mischung aus Liedermachermusik und Kabaretttexten auf kleineren Bühnen.

Kunze politisch wie nie?

2020 nun wurde sein „bisher politischstes“ Pop-Album („Der Wahrheit die Ehre“) angekündigt und gleichzeitig erschien jüngst im evangelisch geprägten ADEO-Verlag das Buch „Wenn man vom Teufel spricht“, das in tagebuchähnlicher Sortierung 200 Texte versammelt, die neugierig machen. Eines vorweg: Kunzes Album und sein Buch sind nicht ganz frei von Texten, die von vielen Autoren und Lesern dieses Blogs wohl unter „Linkspopulismus“ einsortiert werden. Es gibt auch mal explizit eine Breitseite auf AfD oder Trump (siehe die Überschrift meines Beitrags), aber das ist ja nicht schon deshalb verboten, weil es der überwiegende Teil der Medienschaffenden tut, und ein Künstler wie Kunze achtet im Allgemeinen schon darauf, dass er mehr liefert als wohlfeile Parolen. Außerdem wagt er bemerkenswerterweise in einem gedichtartigen Text sogar eine vorsichtige Empfehlung, Sarrazins Bücher zu lesen statt zu verurteilen. Ein Stein des Anstoßes dürfte für AfD-Sympathisanten auf der CD der Text „Mit welchem Recht“ sein, der die Migrationsthematik aufgreift und im Refrain scheinbar populistisch moralisierend rüberkommt, weil er Grenzen in Frage stellt. Andererseits beschäftigt sich Kunze in den Strophen auch mit Heimat, Wurzeln und Identität und den Schwierigkeiten, den eigenen Kulturkreis verlassend unter dem Druck zu stehen, in der Fremde Schutz- und Existenzsicherung zu suchen. Der Text könnte tatsächlich ein Einstieg in eine ehrlichere Debatte zum Thema Migration sein, die Empathie für die von Armut und Kriegsfolgen Betroffenen einschließt.

Im Buch stehen politische Themen weniger im Vordergrund. Kunze schreibt als liberaler Freigeist, der gleichwohl demütig bekennt, in manchen Fragen der Existenz vor einem Rätsel zu stehen. Manchmal scheint sich ein Text wie ein Gebet an Gott zu richten, um dann doch noch ein fettes Fragezeichen hinsichtlich Gottes Existenz verpasst zu bekommen. Weniger in Frage gestellt ist bei Kunze die Existenz des Teufels, dessen Fratze für Kunze hinter vielen von ihm mitunter sarkastisch aufgespießten gesellschaftlichen Zeiterscheinungen grinsend hervorlugt. Kunze schreibt gegen ziemlich viel an, was das selbständige Denken des Menschen behindert und man spürt, dass er als inzwischen über Sechzigjähriger auch keine Hemmungen hat, sich zu einem gewissen Wertkonservativismus zu bekennen, der allerdings mit Leben und Geschmeidigkeit erfüllt sein muss, um Glaubwürdigkeit zu bewahren.

Sammelsurium aus der Feder eines Hochproduktiven

Lyrik, Prosa, Satire und Reflexion, Feingeistiges und Pamphlete wechseln sich ab. Die Qualität der Texte, die jeweils mit einem genauen Entstehungsdatum versehen und chronologisch sortiert sind, ist dabei schwankend. Mal läuft etwas auf eine Pointe zu, mal bleibt der Leser etwas ratlos zurück. Ab und zu kann man sich etwas anstreichen, was man nochmal genauer durchdenken möchte oder worüber man sogar meditieren könnte. „Wer vieles bringt wird manchem etwas bringen“ heißt es in Goethes Faust und der unglaublich produktive Kunze scheint sich dies hin und wieder zur Maxime zu machen. Das Fortschreiten der Zeit und den Umgang mit dem Älterwerden und der eigenen Endlichkeit sind die am auffallendsten wiederkehrenden Motive des Buches und damit greift er ja auch ein elementares Thema auf, das gerade viele traditionelle Buchleser anspricht und beschäftigt.  Daher kann man das Buch als anregendes und mitunter amüsantes Brevier empfehlen, auch zum zwischendurch innehalten, wenn man sich aus dem Netz und den Bildschirmen mit zu viel Geistlosem beschossen sieht.

Heinz Rudolf Kunze – Wenn man vom Teufel spricht: 200 Zeitgeschichten – Gebundene Ausgabe: 320 Seiten, 18,00 € – Verlag: Adeo (2020) – Sprache: Deutsch – ISBN-10: 3863342526 – ISBN-13: 978-3863342524

PP-Redaktion
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