Was sich in den letzten drei Tagen in Deutschland abspielte, war tatsächlich ein Dammbruch. Der schleichende Abbau von Demokratie und Rechtsstaat, der spätestens seit 2015 für alle sichtbar geworden sein könnte, ist in einen Putsch gegen die Demokratie gemündet. Ein Gastbeitrag von Vera Lengsfeld
Man wird in der Geschichte wohl kein Beispiel finden, welches veranschaulicht, wie in einer Demokratie von Politik und Medien so offen ein urdemokratischer Prozess dämonisiert und ein gewählter Ministerpräsident einer solchen Hasskampagne von Politikern und Medien ausgesetzt wurde, dass er und seine Familie sofort unter Polizeischutz gestellt werden mussten. Der Vernichtungswille, den Politik und Medien nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen an den Tag gelegt haben, lässt nicht nur mich schaudern.
An die Spitze der Kampagne hat sich Bundeskanzlerin Merkel gesetzt, die verlangte, das Ergebnis der Wahl müsse „rückgängig“ gemacht werden. Außerdem sei es „unverzeihlich“. Merkel hat damit klar gemacht, was sie vom im Grundgesetz geforderten freien Abgeordneten, der nur seinem Gewissen verpflichtet ist, hält: Nichts. Die Kanzlerin einer Demokratie hat sich damit von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unmissverständlich verabschiedet. Die Medien, die eigentlich die Aufgabe hätten, die Regierung zu kontrollieren, sekundierten Merkel begeistert.
Um die Sache noch unheimlicher zu machen, ist der Takt- und Stichwortgeber der Hasstirade, die in alle Mainstream-Medien schwappte, die umbenannte SED, die nie aufgelöst wurde und heute Linke heißt. Ausgerechnet am Jahrestag der Hinrichtung des 17-jährigen Chris Gueffroi, der sich in den Augen der Machthaber schuldig gemacht hat, weil er den SED-Staat verlassen wollte, setzte die ehemalige Staatspartei mit Hilfe psychologischer Kriegsführung zum Generalangriff auf die Demokratie an.
Kemmerich und Buchenwald
Benjamin Hoff, der Stratege Bodo Ramelows, verstieg sich zu der Behauptung, Thomas Kemmerich wäre von Gnaden derer, die Millionen Menschen in Buchenwald ermordet hätten, in die Thüringer Staatskanzlei gekommen. Damit hat er zum perfidesten Mittel gegriffen, das möglich ist: Die Instrumentalisierung von Naziverbrechen als Kampfmittel gegen politische Mitbewerber. Ex-Ministerpräsident Ramelow folgte seinem Vordenker und twitterte ein Hitlerzitat, das nahe legen sollte, er sei von einer Nazipartei als Ministerpräsident verhindert worden. Binnen Stunden wurde die Naziparole, von Politikern und Medien aufgegriffen. Der Kommentar des ZDF-Chefs Peter Frey zur Thüringenwahl hörte sich an, als sei er von Benjamin Hoff geschrieben worden. Jedenfalls faselte auch Frey davon, mit der Wahl wäre der Weg nach Buchenwald geöffnet worden.
Weder Hoff noch Frey scheint in ihrem ideologischen Furor bewusst gewesen zu sein, dass die einzige Partei, der man vorwerfen könnte, am Morden in Buchenwald beteiligt gewesen zu sein, die SED war, denn nach dem Sieg über die Nazidiktatur wurde aus dem ehemaligen KZ ein Speziallager der Sowjets, in dem Tausende ohne Prozess einsaßen und umkamen. Aber auch Lambsdorf von der FDP und Ziemiak von der CDU, oder Söder von der CSU sprachen von Nazis und übernahmen damit das Stichwort der SED-Linken.
Besonders absurd ist der Nazi-Vorwurf aus dem Munde von CDU-Politikern, denn der größte Teil des AfD-Programms ist aus dem Wahlprogramm der CDU von 2005 übernommen, das Angela Merkel als Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin zu verantworten hat. Dagegen ist das Programm der Linken nach wie vor auf Überwindung der Demokratie ausgerichtet. Sie strebt ausweislich ihres Europawahlprogramms vom letzten Jahr den Sozialismus in Europa an.
Was sich in den letzten drei Tagen in Deutschland abspielte, war tatsächlich ein Dammbruch. Der schleichende Abbau von Demokratie und Rechtsstaat, der spätestens seit 2015 für alle sichtbar geworden sein könnte, ist in einen Putsch gegen die Demokratie gemündet.
Was wurde aus der Forderung nach Neuwahlen?
Gestern war noch in allen Altparteien die Forderung nach Neuwahlen laut. Kaum 24 Stunden später wird von dieser einzig demokratischen Option wieder abgerückt, zugunsten einer Inthronisierung von Ramelow ohne Neuwahlen. Das geht nur, indem die demokratischen Regeln außer Kraft gesetzt werden. Denn selbst, wenn Kemmerich sofort zurücktreten würde, müsste er geschäftsführend im Amt bleiben, bis der Landtag über den von der FDP beabsichtigten Antrag über seine Auflösung beschlossen hat. Der Antrag könnte frühestens am Montag eingebracht werden. Das dauert der Linken zu lange, die sich schon wieder in der Rolle des Bestimmers, um nicht zu sagen Diktators, sieht.
Die notorische Fraktionschefin der Linken Hennig-Wellsow, übrigens Erstunterzeichnerin eines antikapitalistischen Aufrufs einer vom Verfassungsschutz beobachteten linken Gruppierung, drohte bereits, wenn Kemmerich nicht bis Sonntag Abend zurückträte, nehme man “das Heft des Handelns” in die Hand. Neuwahlen seien dabei nicht der erste Weg, sondern in diesem Fall würde man mit der CDU über ein konstruktives Misstrauensvotum verhandeln.
Sie machte auch deutlich, dass die CDU nichts als zu parieren hätte. Sie glaube, dass jetzt auch die CDU verstanden habe, dass das “Geschachere” endlich ein Ende haben müsse. Es müsse Schluss sein “mit aller Spinnerei und Zockerei”. Ziel sei eine stabile Regierung mit einem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow.
So wird der CDU in aller Öffentlichkeit mit deutlich zu spürender Verachtung die Rolle des Erfüllungsgehilfen zugewiesen. Der Generalsekretär der CDU Thüringen hat bereits den hingeworfenen Befehl apportiert und öffentlich versichert, man werde sich der Stimme enthalten und Ramelow durchlassen.
Außerkraftsetzung des Parlaments
Man wünscht sich in diesem Augenblick, dass die AfD geschlossen Ramelow wählen würde, um zu sehen, ob sich der „Ministerpräsident der Herzen“, wie er sich von seiner Partei bezeichnen lässt, seinen eigenen Maßstäben beugt und die Wahl ablehnt.
Es geht inzwischen aber nicht mehr nur um die Ministerpräsidentenwahl. Der psychologische Terror, der von Politik und Medien seit den letzten drei Tagen verübt wird, hat die Außerkraftsetzung des Parlaments zur Folge. Die Nazi-Atombombe, die gezündet wurde, um Kemmerich aus dem Amt zu vertreiben, ist nicht mehr zurückzuholen. In Zukunft darf die bürgerliche Mehrheit nicht mehr geschlossen gegen ein Vorhaben der Minderheitsregierung stimmen, ohne dass CDU und FDP sofort der Kollaboration mit „Nazis“ beschuldigt werden. Damit ist der Thüringer Landtag auf das Niveau der DDR-Volkskammer herabgestuft, wo nur erlaubt war, Regierungsvorlagen abzunicken.
Deutschland ist über Nacht zu einer offenen Gesinnungsdiktatur geworden. Wenn sich die wirklichen Demokraten jetzt nicht wehren, Demokratie und Rechtsstaat entschlossen verteidigen, wird es wieder einmal kalt und dunkel in unserem Land.
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