Wenn sich deutsche Medien in letzter Zeit für Dresden interessierten, dann meistens nur, um schlecht über die sächsische Landeshauptstadt zu berichten. Der Juwelenraub im Grünen Gewölbe vor einigen Wochen hat jedoch schlagartig in Erinnerung gerufen, dass die Stadt an der Elbe vor allem anderen eines der großen kulturellen Zentren Europas ist. Ein Gastbeitrag von Eberhard Straub
Unter den vielen deutschen Residenzstädten galt – neben der Ausnahme der kaiserlichen Hauptstadt Wien – Dresden als die schönste und liebenswürdigste. Herder und Lessing nannten es ein deutsches Florenz, weil nur diesem allumfassenden Kompendium des Kunstschönen in seiner prächtigen Festlichkeit vergleichbar. In beiden Städten war auf einzigartige Weise in Galerien und Bibliotheken, in Kirchen und Palästen, in Gärten und auf Plätzen versammelt, was vom guten Geschmack als sittlicher und herzbezwingender Macht kündete.
Für Dresden bedeutete es ein wahres Glück, dass der Kurfürst Friedrich August, bekannt als August der Starke, sein Glaubensbekenntnis 1697 wechselte, um König in Polen zu werden und seinem Haus allerdings auch die Aussicht zu verschaffen, die Kaiserkrone für sich zu gewinnen, sollten dem Allerhöchsten Kaiserhaus in Wien die männlichen Thronerben ebenso ausgehen, wie der spanischen Linie des Hauses Österreich zum Ausgang des 17. Jahrhunderts.
Ein Abbild göttlicher Schönheit
Dieser großartige Fürst, dem alles Kleinliche widerwärtig war, weil mit dem Hässlichen verbunden, erhob Dresden zur glanzvollsten Residenz, die mit ihrem Prunk, mit ritterlichen Festspielen und allen Formen feierlich-höfischer Repräsentation Europa für einige Jahrzehnte staunen machte. August der Starke hatte zwischen 1687 und 1689 nahezu ganz Europa auf Reisen kennengelernt und war neben Italien vor allem mit Spanien und Portugal vertraut. Als ausgebildeter Architekt und in allen möglichen Kunstfertigkeiten ein geübter Kenner, missfiel ihm adeliger Dilettantismus. Er war immer neugierig auf technische Erfindungen. Das Porzellan und der Eifer, aus diesem bislang unbekannten Material neue und überraschende Kunstwerke zu entwickeln, waren unmittelbar mit seiner Energie und seiner Phantasie verbunden.
Der höfische Prunk hatte jedoch nichts mit Verschwendung und banaler Freude am Luxus zu tun. Gott war die Schönheit und er offenbarte seine Majestät im splendor veritatis, im Glanz, der ihn als die verkörperte Wahrheit, umgab. Deshalb sollten es die Könige von Gottes Gnaden in Rücksicht auf die göttliche Majestät, die sie auf Erden repräsentierten, als ihre besondere Aufgabe erachten, ihren Hof als Sphäre der Schönheit und Anmut in bestem Ansehen zu erhalten. Wenn der König baut, hat der Kärrner zu tun.
Der Ehrgeiz des Kurfürsten und Königs, auch der seines Sohnes Friedrich August III., Dresden zu einer der schönsten Städte Europas aus- und umzubauen, nötigte die einheimischen Künstler und Handwerker dazu, meist von Italienern gebildet, ihren Ehrgeiz darauf zu richten, besser als ihre Lehrer zu werden; nicht einfach nachzuahmen, sondern in aller Freiheit zu eigenen Ausdrucksformen zu gelangen, die im übrigen Europa Aufsehen erregten. Der Dresdner Zwinger, das sächsische Porzellan, der köstliche Zierrat im Grünen Gewölbe veranschaulichen bis heute den besonderen splendor Saxoniae, den sächsischen Glanz, die sächsische Anmut und Würde, von der sich einmal Europa verzaubern ließ.
Dresden war auf immer der Banalität und reizlosen Alltäglichkeit entrückt. Ein Hauch des Südens, vornehmer Gelassenheit und Freude, die Lebenswelt auszuschmücken und aufzuheitern, verlor sich nie mehr.
Dresden lag nicht in Dunkeldeutschland, vielmehr leuchtete es den deutschen Städten voran. Dresden lockte alle, die das Leben und die Kunst in Eintracht miteinander halten wollten, um sich dort in die anschauliche Wissenschaft vom Schönen zu versenken und anschließend in Dresden und anderswo praktisch dafür zu sorgen, dass der ernsthafte Dienst der Musen nicht unter dem Zwang ökonomischer Notwendigkeiten eingeschränkt würde. Die in ihrer Fülle überwältigenden Sammlungen in Dresden, künstlerische und wissenschaftliche, bildeten sämtliche Sinne. Wer sich lange in einer mit ihren Monumenten und Plätzen abwechslungsreichen Stadt aufhielt, die zum Schlendern und Verweilen einlud, konnte sich als Architekt oder Auftraggeber nicht damit begnügen, karge Zweckbauten zu entwerfen.
Eine Stadt als Gesamtkunstwerk
In Dresden ging die Erinnerung an die festliche Vereinigung aller Künste in beziehungsreichen Spielen und Inszenierungen nie verloren. Gottfried Semper schuf vor dem Hintergrund des Zwinger das Gesamtkunstwerk von Galerie und Oper an der Elbe in der Nähe der römisch-barocken Hofkirche und mit Blick hinüber zum Japanischen Palais. Als Gesamtkunstwerk begriff sich stets die italienische Oper, die in Dresden besonders sorgsam gepflegt worden war. Richard Wagners Festspiel, bei dem Wort, Musik, Bild und Geste sich ergänzen und einander steigern, hängt mit den festlichen Dresdner Traditionen zusammen. Ein letzter Ausläufer dieser Dresdner Besonderheit war Heinrich Tessenows ideale Stadt kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Hellerau bei Dresden, in der Garten und Stadt, Arbeit und Kunsthandwerk, Kleidung je nach den Erfordernissen der Tätigkeit oder Erholung, Freizeit mit Tanz und Gesang oder im Schauspiel die verlorene Einheit alles Lebendigen ernst und verspielt wieder ermöglichen sollte.
Übrigens handelte es sich dabei nicht um eine provinzielle Utopie. Der französische Dichter Paul Claudel lieferte 1913 ein Festspiel, Hellerau wurde kurzfristig zu einer europäischen Sensation, die Wolf Dohrn, ein Vetter des Dirigenten Wilhelm Furtwängler, mit seinem Vermögen ankurbelte. Er war in Neapel aufgewachsen, wo sein Vater die meeresbiologische Station leitete, in der europäische Wissenschaftler zusammen kamen und Künstler aus allen Ländern einander begegneten, um Wissenschaft und Kunst, Abstraktion und Einfühlung miteinander zu versöhnen.
Von Dresden ging auch seit der Mitte der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine Verdi-Renaissance aus, die den großen, verkannten Musikdramatiker von mancherlei Vorurteilen und Opernklischees befreite. Musiker aus aller Welt reisten nun nach Dresden. Die Freunde neuer musikalischer Gesamtkunstwerke, wie es „Der Rosenkavalier“ war, brachen regelmäßig nach Dresden auf, um dabei zu sein, wenn Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss ihr neuestes Werk aufführten. Der expressionistische Maler Oskar Kokoschka, Mitglied der Dresdner avantgardistischen Gruppe „Die Bücke“, griff später auf die Tradition der Venezianer und italienischer Freskomaler in Süddeutschland und Österreich zurück, als er die europäischen Städte als sehr persönliche, geistige Gestalten porträtierte. Kurzum, Dresden löste sich nie von seiner Vergangenheit, wurde gerade deshalb aber auch nie provinziell, weil es sich in stets neuen Variationen immer in weiten Zusammenhängen entwickelt hatte.
Die Ignoranz der Ahnungslosen
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Von alldem haben – vor allem – die Westdeutschen von heute keine Ahnung, die Dresden als dumpfes Nest im Tal der Ahnungslosen missverstehen. Immerhin war Dresden die einzige Stadt, um deren Untergang im Zweiten Weltkrieg lange auch in der alten Bundesrepublik getrauert wurde. Die Trauer um Dresden schloss die Trauer um die Zerstörung und Verluste der vielen Städte und Residenzen ein, die einmal anmutig von deutscher Kultur und ihrer Würde redeten.
Das Dresden von heute will tapfer seine stolze und elegante Herkunft nicht verleugnen. Eine funktionstüchtige Infrastruktur, die viele (West-)deutsche mit Urbanität verwechseln, überschätzen die Bewohner der sächsischen Landeshauptstadt nicht. Damit erweisen sie den Musen, die auch einmal in Deutschland eine Heimat hatten, einen freundlichen Dienst. Im deutschen Konsumparadies der Gegenwart ist Dresden der einzige Ort, der daran erinnert, dass die Sonne Homers mit ihren Strahlen einst auch jenseits der Alpen wohltätig zu wirken vermochte.
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Dr. Eberhard Straub ist Historiker und Publizist. Zu seinen Werken gehört u.a. „Der Wiener Kongress. Das große Fest und die Neuordnung Europas“ (Klett-Cotta 2014). Sein Beitrag erschien zuerst bei PREUSSISCHE ALLGEMEINE.
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