Welche Erkenntnis bringt uns nun eigentlich das deutsche Ergebnis der Europawahl? Zunächst einmal die Einsicht, dass im Westen der Bundesrepublik die Grünen sich in bislang nicht denkbare Höhen aufgeschwungen haben und im Osten, dass die AfD hier ein, wenn nicht künftig der zentrale Player für Regierungsbildungen ist. Schauen wir aber genauer hin. Ein Debattenbeitrag von Dr. Dr. Marcus Ermler
Im Westen hat die Greta-Horror-Show obsiegt. Die grüne Klimakirche mit einer grenzenlosen Hysterie, die nicht nur Zehntausende von Kindern und Jugendlichen freitäglich auf die Straße bringt, sondern mit der Panik vor der totalen Klimaapokalypse darüber hinaus sogar bei Wahlen erfolgreich „Endzeit“-Stimmung für sich machen kann. Lisa Badum, die klimapolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion malt uns den Weltuntergang so aus:
„Man muss den Leuten sagen, dass apokalyptische Zustände auf sie zukommen […] Europa wird keine Insel der Seligen bleiben“
Im Osten hingegen hat die German Angst vor einer Flüchtlingsinvasion der Blut-und-Boden-Rhetorik des Höcke-Flügels zum Sieg verholfen. Einem „solidarischen Patriotismus“ als Chiffre für einen völkischen Nationalismus des 21. Jahrhunderts, der jeden aufgeklärten Patriotismus hinter die unkündbare Schicksalsgemeinschaft des kollektiven deutschen Wir zurückdrängt. Einer Vision eines deutschen Deutschlands, der bereits die vermeintliche Kulturfremdheit des Flüchtling als Ausschlusskriterium genügt. Oder mit Jürgen Elsässers Worten gesagt:
„Deutschen Selbsterhaltungstrieb gibt es nur noch östlich der Elbe – dort sogar in wachsendem Maße. Der Westen dagegen ist verloren […] Deutschland kann nur noch im Osten gerettet werden“
Stücke aus dem Tollhaus sozialistischer Gesellschaftsdegeneration
Nichts scheint im kollektiven Gedächtnis der Deutschen so verhaftet zu sein wie die Esoterik der deutschen Volksgemeinschaft. Eine Endzeit-Sekte, die der Apokalypse von Klima beziehungsweise Migration die Eschatologie einer Wiedererweckung des guten Deutschen entgegenstellt. Statt Klimasünde und Volksverrat also Genesung der Welt am deutschen Wesen. Mag also auch noch so viel Entnazifizierung betrieben worden sein, immer noch lockt die ersatzreligiöse Verbrüderung als Gegenwehr zur Weltverschwörung, die den Untergang des eigenen Kollektivs intendiert.
Was in beiden Ausprägungen jeweils für sich wie ein Stück aus dem Tollhaus sozialistischer Gesellschaftsdegeneration klingt. Dem Wahn, ein pseudoreligiöses Heil in den Taten seiner selbstgefassten Volksgemeinschaft zu finden. Dem Primat der uniformierten Masse vor der Individualität des Einzelnen. Hat doch seine typisch deutsche Erklärung. Horkheimer und Adorno geben dieser ekstatischen „Phantasiebefriedigung“, um es mit Hannah Arendt und Eric Voegelin begrifflich zu erfassen, in ihrer Schrift „Elemente des Antisemitismus“ die Deutung einer pseudoreligiösen Scheinordnung, die den kollektiven Wahn in eine einheitliche Form gießt:
„Die [ersatzreligiösen] Glaubenssysteme halten etwas von jener Kollektivität fest, welche die Individuen vor der Erkrankung bewahrt. Diese wird sozialisiert: im Rausch vereinter Ekstase, ja als Gemeinde überhaupt, wird Blindheit zur Beziehung und der paranoische Mechanismus beherrschbar gemacht, ohne die Möglichkeit des Schreckens zu verlieren […] Das normale Mitglied aber löst seine Paranoia durch die Teilnahme an der kollektiven ab und klammert leidenschaftlich sich an die objektivierten, kollektiven, bestätigten Formen des Wahns.“
Grüne Verzichtsdogmatik und blaue Blut-und-Boden-Rhetorik
Aber wie können sich solche im Kern kollektivistischen wie totalitären Welterklärungen solch einer Beliebtheit erfreuen? Die Werbewirksamkeit ihrer Dogmatik lässt sich in ihrem imaginierten wie tatsächlichen Widerspruch zum herrschenden System lesen. Horkheimer und Adorno erklären das in ihren „Widersprüchen“ folgendermaßen:
„Wenn das Denken die herrschenden Vorschriften nicht bloß noch einmal sanktioniert, so muß es noch selbstgewisser, universaler, autoritativer auftreten, als wenn es bloß rechtfertigt, was schon gilt […] Der politische Anarchismus, die kunstgewerbliche Kulturreaktion, das radikale Vegetariertum, abwegige Sekten und Parteien, haben sogenannte Werbekraft. Die Lehre muß nur allgemein sein, selbstgewiß, universal und imperativistisch.“
So interpretiert sich also die Verzichtsdogmatik der Grünen als Widerspruch zum menetekelisierten antiökologischen Kapitalismus, der in seiner Gefräßigkeit Klima, Zukunft und Kinder auf dem Altar von unersättlichen und gierigen Banken wie Konzernen opfert. Wobei im Hintergrund wabernde dunkle Mächte diesen globalen Zerfall absichtsvoll vorantreiben. Was hier klingt wie ein eingeschliffenes antisemitisches Klischee, ist bereits grüne Realpolitik.
Auf der anderen Seite ist auch die totale Opposition des Höcke-Flügels zur merkelschen Migrationspolitik in ihrer Blut-und-Boden-Rhetorik bereits die Implementierung der reinen Lehre vom Widerspruch gegen einen schrankenlosen neoliberalen Kapitalismus, in dem erneut gefräßige Heuschrecken und „lüsterne Bankies“ die Deutschen fest im Griff eines antisemitischen Soros-Narrativs halten. Wobei angemerkt sei, dass nicht Kritik an Soros antisemitisch ist, sondern dessen Reduktion zum „jüdischen Weltverschwörer“ einer „neuen, neoliberalen Weltordnung“.
Die antisemitische Legendenbildung in grün und blau
Die antisemitische Legendenbildung als Bodensatz grüner wie blauer Weltuntergangslitanei erklären Horkheimer und Adorno in ihren „Elementen des Antisemitismus“. Die „Juden“ wirken als „Kolonisatoren des Fortschritts“ und als Träger „kapitalistischer Existenzformen“ und sind so berechtigte Rezipienten des Widerspruchs. Der Gegenwehr also derer, die „unter jenen [den Juden, Anm. des Autors] zu leiden hatten“:
„Darum schreit man: haltet den Dieb! und zeigt auf den Juden. Er ist in der Tat der Sündenbock, nicht bloß für einzelne Manöver und Machinationen [Intrigen, Anm. des Autors], sondern in dem umfassenden Sinn, daß ihm das ökonomische Unrecht der ganzen Klasse aufgebürdet wird […] Die völkischen Phantasien jüdischer Verbrechen […] [wie auch der] internationalen Verschwörung definieren genau den antisemitischen Wunschtraum“
Was also ist die Erkenntnis der deutschen Europawahl? Es ist so der Triumph zweier dystopischer Wahnsysteme, die einzig um Klima beziehungsweise Flüchtlinge kreisen. Es ist die antisemitische Welterklärung, die sich in beiderlei Wahn diffundiert. Es ist der Vorrang des Gefängnisses der deutschen Volksgemeinschaft vor der Freiheit der Einzelnen. Demnach: Klimaapokalypse oder Flüchtlingssintflut? Weder noch!
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Gastbeiträge geben nicht unbedingt die Positionen des Bloginhabers und seiner Mitarbeiter oder anderer Gastautoren wieder. Sie werden hier unter dem Aspekt veröffentlicht, dass sie lesenswert und debattengeeignet sind, aber von den Mainstreammedien ignoriert werden.
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Zum Autor: Dr. Dr. Marcus Ermler (Jg. 1983) ist Mathematiker und Informatiker. Bisher hat er v.a. zu den Themenbereichen Junk Science, die politische Linke sowie religiösen Fundamentalismus bei der „Achse des Guten“, „Tichys Einblick“ und bei „Science Files“ publiziert.
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