Sonntag, 22. Dezember 2024

Quickie-Bildung macht Schule sexy

Ein Gastbeitrag von Josef Hueber

Man ist es gewohnt. Wenn eine neue Schnapsidee die pädagogische Arena betreten und das sensationsgierige Publikum einmal begonnen hat zu klatschen, dann lässt sich die Begeisterung der Masse nicht mehr bremsen. Sollte jemand auf die Idee kommen, die Frage nach der Finanzierbarkeit dieser nachweislich teuren Schnapsidee zu stellen, dann lautet die Antwort ganz einfach: Dafür muss man halt mal etwas mehr Geld in die Hand nehmen!

Zu fragen, woher das Geld kommen soll, ist angesichts der Tatsache, dass Steuern sprudeln, so überflüssig wie die Frage, woher der Strom kommt. Hauptsache, er kommt aus der Steckdose. Dass jeder Euro erst einmal erwirtschaftet sein muss (z.B. von lobbygesteuerten Großunternehmen wie der Autoindustrie), ist blindheitsbedingt ausgeblendet. Denn wer blind ist, der sieht nichts.

„DEPPLETS“, GARANTEN DES VORSPRUNGS

Konkretes Beispiel ist der Hype um die Digitalisierung des Unterrichts  und die Anschaffung von Tablets für alle Schüler. Es ist ein Dauerbrenner pädagogischer Trunkenheit , von „Experten“ ständig mit betörend unsinnigen Argumenten befeuert.

Da sind schon mal ein paar Milliarden Euro fällig, mit denen teure Tablets (sprich: „ Depplets“)  in die Klassenzimmer reinmüssen, damit Deutschland bei den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auf dem Weltmarkt die Flagge überlegener deutscher Wirtschaftskraft und technologischer Innovation zeigen kann, damit uns  nicht China, Südkorea oder Japan davonrennen.

Völlig egal: „Ob der Einsatz von Smartphones, Tablets, Laptops mit entsprechenden Lernprogrammen, elektronischen Tafeln und so weiter pädagogisch tatsächlich sinnvoll ist, darüber wird nicht mehr diskutiert.“ (Quelle) Die nicht gerade als regierungskritische Bertelsmann-Stiftung schätzte bereits  Ende 2017 für einen Zeitraum von 5 Jahren ca. 2,8 Milliarden Euro Gesamtkosten, d.h.  im Schnitt € 230 000 .- pro  Grundschule, € 1,5 Millionen für ein Gymnasium. (Quelle)

AUSGEFLIPPTE PÄDAGOGIK IST NICHTS FÜR FOSSILE PÄDAGOGEN

Eine Sumpfblüte dieser Art hat das bayerische Kultusministerium in seinem Newsletter vom 18. Januar 2019 auf die  Schreibtische hypehöriger Pädagogen gepflanzt: „Das Oskar-Maria-Graf-Gymnasium (OMG) Neufahrn hat den Weg zur digitalen Schule gezielt eingeschlagen.“

Aufgepasst, Ihr Kollegen kurz vor der Pensionierung!  Einen Begriff müsst Ihr schon noch in Euere Steinzeitkonzepte des Unterrichtens einfließen lassen, wenn Ihr nicht wegen „Burn-out“ vorzeitig in den Ruhestand gehen wollt. Denn laut Schulleiter Vogl gilt, „ es spielt natürlich die Bereitschaft der Lehrer, sich für neue Möglichkeiten zu öffnen und diese in ihren Unterricht zu integrieren, eine außerordentlich wichtige Rolle“.

Das zentrale Konzept hinter dem Gesums heißt „flipped classroom“. Nicht bekannt? Schlagt nach bei Wiki . Flip teaching/flipped classroom/ oder inverted teaching  ist so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was ihr im letzten Jahrtausend übers Unterrichten gelernt habt und womit ihr so ziemlich alles an die Wand gefahren habt, was heute als Kompetenz-Output modernen Teachens ( für Altsprachler: Lehren/Unterrichten ) bezeichnet wird. Damit ihr seht, welche Fossilien-Didaktik endlich zu Grabe getragen wird, hier das Konzept: „Die klassische Form des Unterrichts besteht aus lehrergelenkten Phasen in der Schule und darauf aufbauenden Übungen zu Hause. Im „umgedrehten Unterricht“ erstellen die Lehrer Material für die Schüler, [das] „diese meist zu Hause rezipieren. Die Übungen finden dann in der Schule statt.“

DAS KONZEPT – GANZ NAH AN DER REALITÄT

Klingt überzeugend, oder? Die Schüler, da sie zu Hause frei, freiwillig und unbeaufsichtigt  sich das Wichtige anhand von digital eingepacktem Material auf dem Bildschirm erarbeiten, kommen dann mit voller Checkung (= Kapieren) in die Schule und „üben“ ihr selbst angeeignetes Wissen.

„Die Verlagerung der Lehrsequenzen nach Hause führt zu mehr Unterrichtszeit, in der die Lernenden durch die Lehrenden gecoacht werden können.“ (Wikipedia)

SO MACHT SCHULE  KOMPETENTE DEMOKRATEN

Skepsis gegenüber digitalem Lernen ist nicht angebracht, tröstet eine Lehrerin des Gymnasiums in besagtem Newsletter: „Ich habe wirklich eine Leidenschaft für das Arbeiten mit digitalen Medien entwickelt …“ Ein Video, welches die Quantensprung in der Förderung von Schülern zeigt, ist eingebettet.

Schüler lernen, so führt sie uns vor, in der Begegnung mit dem Nibelungenlied per Kreuzworträtsel und dem Ratespiel Multiple Choice ( „Wer ist wer? Was passiert?“) Mit einer Feedback-Liste, die von  Schülern einer anderen Schule bearbeitet wird, können die Schüler dann selbst beurteilen, „wie weit sie da gut waren und nicht so gut.“

Leistungsmessung nicht mehr durch Lehrer, sondern durch andere Schüler. Das ist ein wichtiger, demokratisch orientierter  Schritt auf dem Weg zur Demokratie-Kompetenz bzw. Kompetenz-Demokratie.

AB IN DIE RAMSCHKISTE DER PÄDAGOGIK

Elementare Kulturtechniken, wie das Lesen von komplexen Texten, jenseits spezifischer Schulfächer wie Deutsch, als Voraussetzung für den Erwerb von fachlicher Kompetenz zu postulieren,  gilt als olle Kamelle in den Köpfen von Hinterwäldler-Pädagogen.

Nachhilfe für Flipp-Teaching Opfer gibt es auf schlauen Webseiten. Dort gibt es den intellektuellen Quickie, den Erwerb von Wissen  im Schnellverfahren. Die kenntnisreiche, schülerfreundliche Internet Seite www.schnell-durchblicken.de  hilft  dabei. Die Seite hält, was sie verspricht.

Gehen wir aus von der Ratlosigkeit eines Schülers, der mit einer in der Schule gestellten Aufgabe nicht zurecht kommt. Er, oder sie, oder ein Es, traut sich nicht an seinen Lehrer zu wenden. Als geht er* zu www.gutefrage.net.

Seine Gutefrage offenbart den typischen Lehrer nebst innovativer, digitaler Hilfe. Es/Sie/Es schreibt: „Hey, wir schreiben bald eine Klassenarbeit über dieses Thema, doch ich verstehe das net. Und ja meine Lehrerin ist zu doof es mir zu erklären wie genau so etwas aufgebaut ist. Da wollte ich fragen ob mir dabei jemand helfen kann und mir vielleicht möglicherweise sogar jemand ein Beispiel zeigen kann.“

TURBO-BILDUNG FÜR WENIG GELD

Klar weiß jemand sofort den rettenden Link: www.schnell-durchblicken.de. Ein Blick auf den versprochenen „schnellen Durchblick“ zum Thema „Aufklärung“ lässt unter der Überschrift „Schnell wissen? So schnell geht Durchblick!“ wissen: „Im Geschichtsunterricht geht es gerade um die Aufklärung – und man weiß weder, warum man den behandeln soll, noch, was eigentlich die wichtigsten Aspekte sind. Vor allem würde einen auch noch interessieren, worüber man diskutieren könnte.“

Das Versprechen der Durchblick-Profis beendet damit endlich die Diskriminierung von Schülern gegenüber Lehrern: „Hier hilft ein E-Book, aus dem wir einen Auszug präsentieren. Das Schöne daran: Wer ihn gelesen hat, dürfte mit seinem Lehrer „auf Augenhöhe“ sein  und wirklich mitdiskutieren können.“

Na dann mal los!

AUFKLÄRUNG LEICHT VERDAULICH

Aber vorher nur diese paar Zeilen lesen, was dem  zukünftigen Durchblicker- Schüler nicht allzu große Mühe bereiten dürfte: „So macht Geschichte Spaß – und bringt auch was. Wer noch mehr will, kann sich einfach für ganz wenig Geld das E-Book herunterladen – und hat es dann immer dabei – zum Beispiel auf dem Handy. Taucht eine Frage auf – einfach nachschlagen – und beim Lehrer punkten.“

Auf Augenhöhe sein, mitdiskutieren können und beim Lehrer punkten. Wer möchte das nicht gerne?

Der Auszug aus dem angebotenen E-book macht es deutlich, wie man dem Schüler besser als der „ doofe Lehrer“ auf die Schnelle ein Verständnis von Aufklärung vermitteln kann:

„Die Aufklärung als Fortsetzung von Humanismus und Renaissance“

Nachdem schon zu Beginn der Neuzeit – in der Epoche des Humanismus und der Renaissance – die Menschen begannen, sich aus den Fesseln des Vorgegebenen und Althergebrachten zu lösen, brachte das 18. Jahrhundert einen weiteren Schub in dieser Richtung.“

Kann man  einem Schüler, der keine Voraussetzungen mitbringt, verständlicher erklären, was Aufklärung ist? Er  darf sich laut digitalem Nachhilfelehrer  sicher sein: Wenn er dies auswendig gelernt hat, dann kann er mit seinem Lehrer „auf Augenhöhe“ diskutieren und „Punkte sammeln.“

ZUKUNFT? WIR SCHAFFEN DAS!

Wo stünde der Schüler von morgen ohne das digitale Lernen?

Es stimmt schon: Dafür muss man „einfach mal mehr Geld in die Hand nehmen!“

P.S. Bitte  nicht vergessen: die Kosten für die geplanten Drittes-Geschlecht-Toiletten  an den Schulen beim Kauf von Depplets sind in die Gesamtkosten einer nachhaltigen Bildung zu berücksichtigen!

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