(Gastbeitrag) Bei den Gewalttaten gegen Asylunterkünfte ist einem Bericht der Osnabrücker Zeitung zufolge ein Rückgang um 70 Prozent zu verzeichnen, im Vergleich zum Jahr 2016 sogar um ca. 90%. Während im ersten Halbjahr 2016 deutschlandweit über 700 Anschläge auf Asylunterkünfte verübt wurden, waren es im ersten Halbjahr 2017 noch rund 170 Angriffe.
Diese Zahlen hat die Osnabrücker Zeitung am 5. Juli veröffentlicht. Sie haben nichts davon gehört? Das erstaunt doch. Solche Zahlen müssten doch die verschiedenen Organisationen, die im Kampf gegen Rechts von der Regierung mit vielen Millionen ausgestattet werden, doch eigentlich freuen.
Sie hätten sicher Grund ihren Erfolg zu feiern. Oder Online-Medien wie youwatch, die gerne unter den Verdacht gestellt werden, Tatsachen im Zusammenhang mit Flüchtlingen oder Migranten auszunutzen, hätten sicher Grund gehabt, ausführlich darüber zu berichten, um ihre „rechte Sprachmacht in der Migrationsdebatte“ 1) zu nutzen.
Großes Schweigen bei den Medien über erfreuliche Veränderung
Tatsächlich passiert ist fast nichts und wahrscheinlich haben sie als Leser diese doch sehr erfreuliche Entwicklung nicht registriert – weil sie im großen Online- und Offline-Blätterwald nur sehr unterdurchschnittlich stattgefunden hat.
Wir haben zwei Wochen gewartet, ob nicht doch noch dieser Erfolg irgendwie gefeiert wird. Dies war nicht der Fall. Warum nicht?
Die First Lady der USA hat die falsche Jacke getragen? Vielleicht haben sie den Artikel gelesen, zumindest aber die Überschrift gesehen. Diese überaus wichtige Nachrichtenlage hat sich offenbar auf mindestens 140 Nachrichtenseiten vor vier Wochen im Laufe von 24 Stunden verbreitet. Man kann dies bei Google gut nachsehen. 2)
Die dpa berichtet lieber über die Jacke der First Lady der USA
Die Deutsche Presseagentur hat zu einem guten Zeitpunkt einen Artikel mit einer Fülle an Information an die Redaktionen verteilt. Man griff gerne zu. Trumps Pressesprecherin konnte den Presserummel nicht verstehen und informierte „es sei nur eine Jacke“. 3)
Wenn die Anschläge in Deutschland auf Asyslunterkünfte um 90 % in zwei Jahren zurückgehen, ist dies doch mindestens ebenso wichtig. – möchte man jedenfalls meinen. Die dpa hat diese Meldung nun mitten in der Nacht gegen drei Uhr unter die Leute gebracht. Eher eine Saure Gurken-Zeit für Meldungen. Die Anzahl der Treffer dazu kann man sich an zwei Händen abzählen.
Tatsächlich ist in einigen Onlinemagazinen die Nachricht auch erschienen. Bis sich morgens die User sich in den Portalen tummelten, war dies natürlich schon wieder von der Startseite gerutscht und wurde durch andere Meldungen verdrängt. In einer Zeitung blättern die Leser mit höherer Wahrscheinlichkeit noch auf die Seite – vor oder zurück -, aber online tut dies niemand. Die Meldung versinkt im Dunst.
Der genaue Nachweis ist natürlich schwer zu erbringen, da Google nur noch eine Form der Zusammenstellung liefert und nicht wie früher detaillierte Informationen. Zudem ist die genaue Uhrzeit des Erscheinens eines Onlineartikels bei den meisten Redaktionen nicht mehr zu sehen. Häufig ist nur die letzte Zeit der Aktualisierung zu sehen.
Nachträgliche Veränderungen der Online-Artikel
Für die Aktualisierungen wurde nun in die narrative Trickkiste gegriffen. Die Überschriften und Einführungstexte wurden bei den wenigen wo der Artikel vielleicht aus Versehen erschienen war, angepasst und inhaltlich passend ergänzt.
Der FAZ kann man zugute halten, dass die Überschrift wirklich die Information enthält „Deutlicher Rückgang rechtsextremer Gewalttaten“ 4)
Die Osnabrücker Zeitung, auf die sich die Meldung der DPA bezieht, verändert nach eigenen Angaben um 5:05 Uhr die Überschrift – mehr lesen viele Leser oft nicht. Hier heißt es auf einmal: „Jeden zweiten Tag ein Anschlag auf Asylbewerberheim“ 5).
Diese Überschrift übernehmen dann eine Handvoll Redaktionen. Die negative Aussage der eigentlich positiven Meldung passt offenbar besser in das Weltbild unsere Redaktionen. Wie es dann funktioniert, dass genau diese Überschrift nachfolgend auch auf weiteren verschiedenen Onlineseiten auftaucht, ist nicht wirklich klar. Denn die ursprüngliche Überschrift der in der Nacht verteilten dpa-Meldung lautete zu jenem Zeitpunkt immer noch „Deutlicher Rückgang rechtsextremer Gewalttaten 2017“.
Auch die Neuen Osnabrücker Zeitung bezieht sich weiterhin auf diese Meldung, obwohl ihr neuer Titel in eine ganz andere Richtung weist. Wer hier eigentlich vom wem kopiert, bleibt offen und undurchsichtig.
Die Welt gibt sich auch sichtlich Mühe, den Twist der Überschrift neu zu erfinden. Dort lautet die Überschrift dann: „Behörden warnen vor rechtsextremem „Gefährdungspotenzial“ 6) – keinerlei Hinweis auf einen Rückgang. Das wird dann schon niemand lesen. Steigendes Gefährdungspotential – daran ist jeder, der schon länger hier lebt, längst gewöhnt.
Spiegel-Online verzichtet ganz auf die Nachricht
Offenbar wurde mit dem Herumdoktern an dem dpa-Text doch recht erfolgreich dazu beigetragen, dass eine solch positive Meldung mit wichtigem Inhalt die Deutschen nicht zu umfangreich „verunsichert“.
Im Spiegel Online lässt sich bis heute kein Hinweis auf diese Nachricht finden – dort steht man wahrscheinlich erst später auf.
Die Mitteilung der Stuttgarter Nachrichten, dass in Baden Württemberg im gleichen ersten Halbjahr 2018 nun gar 0 Anschläge auf Asylunterkünfte zu verzeichnen wären 7) erreichte nun wiederum niemanden – außer die Lesern dieser Zeitung. Sie wurde überhaupt nicht woanders regional aufgegriffen.
Warum solche erfreulichen Meldungen so selten und wenn dann nur in extrem entstellter Form das Tageslicht der Öffentlichkeit erblicken, kann der Leser selbst entscheiden. Welche dabei die Deutschen Presse Agentur spielt, werden wir an anderer Stelle noch einmal beleuchten.
Doch noch ein erleuchtender Einblick bei Zeit-Online?
Übrigens stellt Zeit Online zur besten Lesezeit morgen um 5:01 Uhr fest, dass der beschriebene Rückgang rechtsextremer Straftaten an der „konsequenten Verurteilungspraxis vieler Gerichte bei entsprechenden Gewalttaten mit teils hohen Haftstrafen für die Täter“ 8) hängt.
Dem geneigten Leser könnte dabei der Gedanke kommen, dass diese Praxis vielleicht auch auf nicht rechtsextrem motivierte Taten ausgedehnt werden sollte.
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3) https://www.sz-online.de/nachrichten/jacke-des-anstosses-3961293.html