Die sowjetische „Diktatur des Proletariats“ unter der brutalen Führung Stalins. Ein Gastbeitrag von Herwig Schafberg (Teil 2) (Hier geht es zu Teil 1)
„Auch bei uns können andere Parteien existieren. Aber das Grundprinzip, das uns vom Westen unterscheidet, ist folgendes. Man kann sich die Situation so vorstellen: Eine Partei regiert, alle anderen sind im Gefängnis“ (M.P. Tomski, Vorsitzender der sowjetischen Gewerkschaften, in einem Interview der Zeitung Trud am 13.11.1927)
Man liest oft, das kommunistische Regime wäre erst unter der Führung Josef Stalins zum Terrorregime geworden. Doch das ist ein Mythos; denn schon mit dem „Roten Terror“ im Bürgerkrieg gehörte Terror zur Staatsräson, wie im ersten Teil dieses Gastbeitrags deutlich werden sollte.
Lenin hatte Rußland in die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) umgestaltet, die Macht im Staate aber nicht den Räten (Sowjets) überlassen, die sich während der Revolution gebildet hatten, sondern einen straff geführten Staatsapparat geschaffen, der nicht bloß die „Diktatur des Proletariats“ sichern, sondern auch für die Entwicklung der Produktivkräfte verantwortlich sein sollte. Da Rußland industriell relativ wenig entwickelt und die Industrieproduktion auf ein Zehntel ihres Wertes vor dem 1. Weltkrieg (1913) gesunken war, die kommunistische Staatsführung die Entwicklung jedoch nicht – wie von Marx gedacht – der Bourgeoisie und somit den Kapitalisten überlassen wollte, trieb nun also der Staat die Industrialisierung in Rußland voran. Er unternahm zweifellos große Anstrengungen zur wirtschaftlichen Entwicklung des weitgehend unerschlossenen Landes – einschließlich der Verkehrs-, Bau- und Bildungsinfrastruktur – und feierte die Errungenschaften als Erfolge des Sozialismus.
„Die Beseitigung des Analphabetentums und die Verwandlung eines Agrarlandes in ein industrielles Land sind zwar Riesentaten, aber diese Riesentaten konnten nicht als spezifisch sozialistische Taten ausgegeben werden, denn sie wurden in gleicher Weise und oft besser auch von …kapitalistischen Regierungen durchgeführt,“ wandte Wilhem Reich ein: „Es ist ein typischer Grundirrtum der Sozialisten und Kommunisten gewesen, einen Wohnbau, die Anlage einer Stadtbahn oder die Einrichtung einer Schule als ´sozialistisch` zu bezeichnen. Wohnhäuser, Stadtbahnen und Schulen hängen mit der technischen Entwicklung zusammen, sagen aber nichts darüber aus, ob die betreffenden Menschen Untertanen oder freie Arbeitende“ sind. (1)
Im Teil 1 war davon die Rede, daß Bauern riskierten, erschossen zu werden, wenn sie nicht weisungsgemäß Eisenbahnschienen vom Schnee frei räumten oder sich gegen die Beschlagnahmung sträubten, und Arbeiter das gleiche Los traf, wenn sie die Arbeit verweigerten und damit die Produktion beeinträchtigten. Solch ein Schicksal drohte auch anderen Werktätigen wie etwa Ingenieuren, die in Verdacht gerieten, die ökonomische Entwicklung zu sabotieren und die Sowjetmacht zu schwächen.
Dazu gehörte beispielsweise ein Mitarbeiter im Volkskommissariat für Verkehrswesen, der erschossen wurde. Ihm war zum Verhängnis geworden, daß er vorgeschlagen hatte, die Güterzüge zu verlängern und die Waggons voller zu beladen. Andere hingegen hatten gewarnt, daß es dadurch zu einer Abnutzung von Gleisen, Wagen sowie Lokomotiven kommen könnte und zu befürchten wäre, daß die Sowjetunion im Falle einer militärischen Intervention von außen ohne Eisenbahn dastände. Doch als ein neuer Volkskommissar sein Amt antrat und genau das anordnete, was der Erschossene vorgeschlagen hatte, waren es nun die anderen, die wegen ihrer Warnungen erschossen wurden.
Waren es in diesen wie in weiteren Fällen einzelne, die wegen „Untergrabung“ der Industrie, des Transports und des Handels oder konterrevolutionärer Aktivitäten zur Schwächung der Sowjetmacht strafrechtlich verfolgt wurden, waren es in anderen Fällen ganze Gruppen, die betroffen waren.
Zu den ersten Opfern derartiger Verfolgungen hatten die Kosaken gehört, von deren genozidartiger Ausrottung in Teil 1 die Rede war. Und die erscheint im Rückblick wie ein Probelauf zur Verfolgung der Großbauern (Kulaken) im Zusammenhang mit der Kollektivierung der Landwirtschaft Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts.
Als Kulaken begriff man im Russischen habgierige Menschen, die andere für sich arbeiten ließen und sich auf deren Kosten bereicherten. In der kommunistischen Propaganda wurde der Begriff auf Großbauern angewandt, die Lohnarbeiter beschäftigten, und die Losung ausgegeben: „Die Kulaken als Klasse auslöschen!“
Mit diesem „Klassenkampf“ gegen die Kulaken hing auch die Hungersnot 1932/1933 in der Ukraine zusammen, die von der sowjetischen Führung ausgenutzt wurde, um den Widerstand gegen die Kollektivierung zu brechen, indem man kein Saatgut ausgab. Infolgedessen starben in wenigen Monaten schätzungsweise sechs Millionen Menschen. Andere, die sich gegen die angeordnete Enteignung ihres Besitzes und die Kollektivierung der Landwirtschaft sperrten, wurden erschossen oder gemeinsam mit Frau und Kindern zur Zwangsarbeit in den Norden des Landes oder den Osten – nach Sibirien – deportiert, wo Hunderttausende unter den harten Arbeits- und Klimabedingungen zu Tode kamen.
Wenn neue Projekte für den Aufbau des Sozialismus anstanden, erhöhte der Geheimdienst manches Mal die Verhaftungszahl; denn er konnte die Menschen sowohl verhaften als auch zur Zwangsarbeit einsetzen und war allein Stalin verantwortlich, der nach Lenins Tod allmählich alle Konkurrenten in der Parteiführung ausgeschaltet und sich ein Machtmonopol in der Partei und insofern auch im Staat gesichert hatte.
Ende der zwanziger Jahre ließ Stalin sogar ein Quotensystem einführen, nach dem in jeder Region und jedem Bezirk ein bestimmter Prozentsatz von Personen, die „feindlichen“ Bevölkerungsgruppen angehörten, verhaftet und entweder erschlossen oder in die Arbeitslager deportiert werden sollte.
„Die Organe verfügten meist über keine fundierte Motivierung für die Auswahl der zu Verhaftenden,“ erzählte Solschenyzin, „sie hatten ja einzig und allein die Sollziffer zu erreichen. Die Erzielung der vorgegebenen Zahl konnte nach bestimmten Richtlinien erfolgen, ein andermal aber auch völlig zufällig sein. Im Jahre 1937 kam eine Frau ins Empfangsbüro der Nowotscherkassker NKWD (Hauptverwaltung für Staatssicherheit), um sich zu erkundigen, was mit dem hungrigen Säugling ihrer verhafteten Nachbarin geschehen solle. ´Nehmen Sie bitte Platz,` sagte man ihr, ´wir werden uns erkundigen.` Sie wartete zwei Stunden – dann führte man sie aus dem Empfangsraum in eine Zelle: Die Zahl mußte raschest ´aufgefüllt` werden, an einsatzbereiten Mitarbeitern mangelte es – wozu in der Stadt suchen, wenn diese da schon hier war!“ (2)
War nach Einschätzung Reichs „1929 die Stimmung der durchschnittlichen Sowjetrussen noch erfüllt von heroischem Einsatz für den 5-Jahres-Plan und …Hoffnungen auf das Gelingen der Revolution, so spürte man um 1935 in Gesprächen mit Sowjetrussen… Enttäuschung“ 1). Mit der Abschaffung der Lebensmittelkarten sowie jener Läden, in denen Ausländer gegen Gold und Devisen alles kaufen konnten, was für normale Sowjetbürger unerschwinglich war, schien sich manche Hoffnung noch zu erfüllen (1935). Doch zur Enttäuschung trug die Steigerung der Arbeitsnormen sowie der Arbeitsdisziplin bei, nachdem Stalin die Wirtschaftsfunktionäre Anfang der dreißiger Jahre angewiesen hatte, den Rückstand der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes im Vergleich zu den kapitalistischen Ländern aufzuholen und das Tempo beim Aufbau des Sozialismus zu erhöhen.
Zur Enttäuschung kam die Angst vor Repressalien, die man riskierte, wenn man als Werktätiger oder als Funktionär nicht den Anforderungen gerecht wurde. Und es fehlte jeder Mut zur Opposition innerhalb sowie außerhalb der Parteiführung, deren Machtanspruch sich nicht bloß gegen politische Gegner, sondern in Verbindung mit dem Anspruch auf ideologische Hegemonie auch gegen Verbündete sowie Parteigenossen richtete, wenn sie in den leicht zu findenden Verdacht „konterrevolutionärer“ Bestrebungen gerieten.
„Und es naht langsam, aber sicher… die Gefängnisstunde für die Mitglieder der regierenden Partei! Vorläufig sind es die Arbeiteropposition oder die Trotzkisten,“ wie bei Solschenyzin zu lesen ist: „Bald wird die nicht existente ´rechte` Opposition in den Sog geraten. Solcherart Glied vom Schwanz her verschmausend, arbeitet sich der Drachen bis zum eigenen Haupt empor.“ (2) Man schätzt, daß 20 Jahre nach der Oktoberrevolution 97 Prozent der alten kommunistischen Führungsclique ausgeschaltet – erschossen oder deportiert – war.
„Die Verhaftungen wollten und wollten kein Ende nehmen,“ schrieb Wolfgang Leonhard, der als junger Kommunist in Moskau aufwuchs und dessen Mutter ebenfalls verhaftet wurde, über die „große Säuberung“, der Parteigenossen, Offiziere sowie andere zu Hunderttausenden zum Opfer fielen:
„Im Herbst 1937 wurde alles bisher Dagewesene übertroffen. Es war für mich nichts Außergewöhnliches mehr, wenn ich beim Besuch eines Bekannten die versiegelte Tür oder eine andere Familie vorfand, die inzwischen in das Zimmer des Verhafteten eingewiesen worden war. Der Begriff ´Verhaftung`, noch vor wenigen Jahren ein schrecklicher Ausnahmefall, wurde zur alltäglichen Erscheinung. Auf dem kurzen Weg zur Schule konnte ich fast täglich die grünen Wagen sehen, mit denen die Verhafteten abtransportiert wurden.“ (3)
Dort, wo man die Verhafteten hinbrachte, wußte man, wie man diese zwingen konnte, fast alles zu gestehen, was man ihnen unterstellte. Hatten zaristische Untersuchungsrichter sich im allgemeinen an Höflichkeitsregeln im Umgang mit Häftlingen gehalten, gehörte Foltern zu den vielfältigen Behandlungsmethoden in der sowjetischen Untersuchungshaft: Beispielsweise Verhaftete mit Füßen zu treten, mit Knüppeln zu verprügeln, ihren Schädel mit Eisenringen zu quetschen, sie über Tage schlaflos stramm stehen zu lassen, mit Salzwasser voll zu pumpen und dann tagelang dursten zu lassen, in ein Verließ voller Wanzen zu sperren oder wie Säcke – einen über dem anderen – in einer Zelle übereinander zu schichten. Die Zeiten und Verhältnisse hatten sich radikal geändert, seitdem Zar Alexander II. sich in der Zelle eines Untersuchungsgefängnisses stundenlang einsperren lassen hatte, um persönlich zu erfahren, inwieweit Haftbedingungen unter seiner Herrschaft menschenwürdig waren.
Wie es in Haftanstalten und Arbeitslagern zuging, sprach sich mit der Zeit herum – und „man merkte den Lehrern in der Schule, den Pädagogen im Heim, ja sogar den Referenten der Komintern (Kommunistische Internationale) bei ihren Besuchen die ständige Angst an, in der sie lebten,“ schrieb Leonhard und erzählte, wie verstört er sowie einige seiner Mitschüler mit der Situation umgingen: „Immer wieder versuchten wir, die Säuberung zu rechtfertigen, um uns unser Ideal, unseren Glauben an die Sowjetunion als das erste Land des Sozialismus, zu erhalten. Vielleicht, so sagten wir uns, ist es aus bestimmten, uns nicht bekannten Gründen unbedingt notwendig, diese Prozesse und Massenverhaftungen durchzuführen. Vielleicht sind die Angeklagten zwar ´subjektiv` keine Verräter und keine Spione, hemmen jedoch ´objektiv` die Entwicklung des Sozialismus.“(3)
Zu den Verhafteten gehörte Joseph Berger, der eine Leidensgenossin zitierte, die selbst nach ihrer Rückkehr aus dem Arbeitslager noch Mitglied der Kommunistischen Partei blieb und wie Leonhard meinte: „Die Kommunisten meiner Generation akzeptierten Stalins Autorität. Sie billigten seine Verbrechen. Dies gilt nicht nur für die sowjetischen Kommunisten, sondern für die der ganzen Welt. Von diesem Schandfleck sind wir gezeichnet, als einzelne und als Gruppe. Wie können wir ihn wegwischen, es sei denn, wir tun alles dafür, daß so etwas nie wieder passiert… Hatten wir den Verstand verloren, oder verraten wir jetzt den Kommunismus? Die Wahrheit ist, daß alle – auch die, die Stalin am nächsten waren – die Verbrechen ins Gegenteil verkehrten. Wir sahen sie als Beiträge zum Sieg des Sozialismus an. Wir glaubten, daß alles, was die politische Macht der Kommunistischen Partei in der Sowjetunion und in der Welt stärkte, ein Sieg für den Sozialismus sei…“(4)
Da die Macht der Kommunisten von Stalin verkörpert wurde, konzentrierten sich auch die Siegeserwartungen auf ihn. „Er hatte sich in einen allmächtigen und geheimnisvollen Gott verwandelt,“ schrieb Ilja Ehrenburg in seinen Memoiren und erzählte: „Wenn wir mit Freunden über ihn sprachen, nannten wir ihn ´Chosjain` (Herr)…“ (5)
Der Personenkult um Stalin als dem „genialen und weisen Führer“ trieb derartig merkwürdige Blüten, daß auf Parteikonferenzen regelmäßig Treuebekenntnisse für ihn abgegeben wurden und die Anwesenden jedes Mal, wenn sein Name fiel, aufsprangen und klatschten. Es konnte10 bis 20 Minute dauern, bis ein Parteifunktionär den Mut hatte, mit Klatschen aufzuhören und sich wieder zu setzen – den anderen insofern ein Beispiel gebend. Ja, dazu gehörte Mut; denn wer als erster aufhörte, konnte in Verdacht geraten, dem „genialen Stalin“, dem „Vater der Völker“, nicht treu genug ergeben zu sein, und riskierte, ins Arbeitslager zu kommen.
Kam ein dazu verurteilter Funktionär, der vielleicht kurz zuvor selber noch für die Verhaftung eines anderen Menschen gesorgt hatte, im Arbeitslager an, mußte er sich genau wie alle anderen Häftlinge „nackt untersuchen und am Zustand des Hinterns die Arbeitsfähigkeit ermitteln“ lassen, wie Solschenyzin erzählte, und sich auch von seiner Kleidung trennen: Einerlei, ob es Parteifunktionäre, Zeitungsredakteure, Hochschuldozenten, Betriebs- oder Verwaltungsleiter waren, die „eine gute Garderobe schon zu Beginn der dreißiger Jahre zu schätzen gelernt“ hatten, lästerte Solschenyzin, bekamen sie dort „schwarze Baumwollhosen und –blusen, Wattejacken ohne Taschen, Schuhe aus Schweinsleder… ´Wo sind unsere Sachen?!` stöhnen sie auf.“ Und ein Wachmann brüllt zurück: „Im Lager habt ihr nichts Eigenes. Bei uns im Lager herrscht Kommunismus!“ (2)
Erst mit Stalins Tod und der Verhaftung des Geheimdienstchefs Berija 1953 „endete der Terror,“ meinte der Historiker und Osteuropaexperte Jan C. Behrends in einem Zeitungsinterview. (6)
Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow rechnete am 24.2.1956 in einer „Geheimrede“ auf dem XX. Parteitag der Kommunisten mit dem Stalinismus ab. Er wollte allerdings die begangenen Verbrechen allein Stalin anlasten, als ob der nicht eine Menge williger Vollstrecker gehabt hätte. Zu denen hatte auch Chruschtschow gehört, der dafür aber keine Verantwortung übernehmen und im Prinzip das herrschende System, in dem die Kommunisten sich als ausschließlich führende Kraft verstanden, einschließlich Geheimdienst bewahren wollte.
Dieses „Selbstverständnis, das auf der Geschichte der sowjetischen Geheimpolizei seit 1917 gründete, bestand“ nach Jan C. Behrends Einschätzung also „fort und wurde sogar in die Staaten des Ostblocks exportiert,“ (6) in denen der Sozialismus und mit ihm der Staatsapparat nach dem Vorbild der Sowjetunion aufgebaut wurde.
Was bei den Experimenten herauskam, die dem Aufbau des Sozialismus in den Ostblockstaaten dienen sollten, wissen wir spätestens seit dem Kollaps des Ostblocks in den Jahren 1989 bis 1991.
Dennoch glauben viele Menschen heute noch, daß es sich bei den Fehlentwicklungen gewissermaßen um Betriebsunfälle beim Aufbau des Sozialismus gehandelt hätte, die lediglich auf Fehler der Führungscliquen zurückzuführen wären, aber keine systemimmanenten Ursachen hätten. Doch das im Ostblock herrschende System war eine Erfindung von Menschen, die eine bestimmte Linie der Entwicklung zum Sozialismus festgelegt hatten, die bei den meisten Kommunisten Zustimmung fand und von willigen Helfern – sei es aus Überzeugung oder Opportunismus – konsequent verfolgt wurde.
Zu diesem System gehörte von Grund auf die „Diktatur des Proletariats“, die Karl Marx als Zwischenlösung beim revolutionären Übergang von der bürgerlichen Klassenherrschaft zur klassenlosen Gesellschaft erfunden hatte. Doch Marx war Theoretiker und hatte kaum praktische Handlungsanleitungen für diese Diktatur vorgegeben. Lenin war es, der als Stratege der Revolution Marx` Theorie in die Praxis umsetzte und demgemäß praktische Anleitungen zum Klassenkampf sowie zum Aufbau des Sozialismus gab, den Marx wissenschaftlich begründet hatte. Lenin entwickelte also Ideen von Marx, der sich selbst nicht als Marxisten sehen wollte, zur Ideologie des Marxismus-Leninismus weiter, die in der Sowjetunion und darüber hinaus in anderen Ländern Osteuropas sowie Ostasiens zur Staatsdoktrin wurde. Und die ließ es zu, daß es zu ideologisch bedingten Versäumnissen beim Aufbau des Sozialismus sowie ideologisch begründeten Verbrechen der „Diktatur des Proletariats“ kam.
Die Ideologie! Sie ist es, die der bösen Tat die gesuchte Rechtfertigung und dem Bösewicht die nötige Härte gibt,“ heißt es bei Solschenyzin. „So stärkten sich die Inquisitoren am Christentum, …die Kolonisatoren an der Zivilisation, die Nationalsozialisten an der Rasse, die Jakobiner (die früheren und die späteren) an der Gleichheit, an der Brüderlichkeit und am Glück der künftigen Generationen“ (2) und – wie ich hinzufüge – die Dschihadisten am Islam sowie an den Freuden im Paradies, die der ihnen in Aussicht stellt.
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Zitate: (1) Wilhelm Reich: Die Massenpsychologie des Faschismus
(2) Alexander Solschenyzin: Der Archipel Gulag
(3) Wolfgang Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder
(4) Joseph Berger: Le Naufrage d` une generation, Denoel, Lettres nouvelles, in: Schwarzbuch des Kommunismus
(5) Ilja Ehrenburg: Menschen, Jahre, Leben
(6) Jan C. Behrends: Interview in der Welt 20.12.2017
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