Gastbeitrag von Prof. Dr. Armin Geus, Marburg an der Lahn
Zur Proklamation des jenseits aller Überprüfbarkeit angesiedelten postfaktischen Denkens ist, wie schon so oft in der Geschichte, wieder einmal alter Wein in neuen Schläuchen auf den Tisch gekommen.
Die Aktivisten des Aufbruchs berauschen sich an gefühlten Überzeugungen; zugleich feiern sie, den Unterschied von Realität und Fiktion aufgehoben zu haben.
Empirische Befunde können, so wird behauptet, ohnehin erst durch ideologische Subsumtion richtig verstanden werden. Während ihre theoretischen Implikationen an kühne Spekulationen der romantischen Naturphilosophen erinnern, wird gesichertes Wissen weitgehend ignoriert und durch demokratisch ermittelte Entscheidungen ersetzt.
Der in Deutschland und USA tätige Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera hat in einer materialreichen und gründlich recherchierten Monographie über das sogenannte Gender-Paradoxon den ganzen Widersinn einer Entwicklung dokumentiert, die gegen Ende des letzten Jahrhunderts als Gender-Mainstreaming durch die Gazetten zu geistern begann.
Im Gegensatz zu der landläufigen Ansicht, es handele es sich dabei um Debatten über die Präsenz von Frauen in Arbeit und Beruf bzw. Fragen der rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau erklärt der Verfasser, dass sich dahinter vielmehr ein „radikal-feministisches“ Umerziehungsprogramm verbirgt, das auf dem irrigen Glauben beruht, dass das Geschlecht des Menschen nicht primär biologisch bestimmt sei, sondern sozial konstruiert, d. h. entsprechend form- und wandelbar ist.
Die theologisch anmutende Begründung ist durchaus mit den eschatologischen Visionen der nationalsozialistischen Rassenbiologie vergleichbar; ebenso ist die gedankliche Nähe zur kreationistischen Propaganda bibeltreuer Christen und anderer religiöser Fanatiker kaum zu übersehen.
Die Aktivisten des weltweit vernetzten Genderismus haben es gar nicht gern, wenn sie mit den historischen Wurzeln ihrer Bewegung konfrontiert werden, zumal der Verfasser den Beweis dafür liefert, dass sie nach wie vor vertreten, was der amerikanische Psychologe John Money (1921–2006) als Forschungsergebnis verkündete. Das bekannteste Opfer sein unheilvollen Doktrin von der geschlechtsneutralen Geburt des Menschen, der durch erzieherische Maßnahmen erst im Laufe der Zeit männlich oder weiblich geprägt werden soll, ist der als eineiiger Zwilling geborene Bruce (David) Reimer (1965–2004) gewesen. Das Kastrationsexperiment endete im Jahr 2004 mit dem Suizid des Patienten.
Autor Prof. Kutschera erlebt derzeit, dass es offenbar nicht einmal möglich ist, sachlich über diesen Scharlatan zu berichten, ohne von aggressiven Kampf-Emanzen juristisch verfolgt zu werden.
Im Vorwort seiner kürzlich in 2. Auflage erschienen Gender-Paradoxons erinnert er daran, dass Klaus F. Gärditz, Professor für Öffentliches Recht an der Uni Bonn, diesbezüglich schrieb:
„Ein Forschungsergebnis mag richtig, falsch oder umstritten sein; es ist aber nicht rechtswidrig oder rechtmäßig.“
Bedauerlicher Weise wurde die Etablierung der Gender-Ideologie hierzulande weit mehr als anderen Orts von den politischen Alt-Parteien begünstigt. Abgesehen von den gesellschaftlichen Zwängen der Political Correctness setzte schon im Jahr 2000 die von einer Koalition von Sozialdemokraten und Grünen geführte Bundesregierung die gesetzliche Förderung der „Geschlechterperspektive“ in allen Lebensbereichen sowie eine radikal-paritätische Quotenregelung durch.
Die „Gender-Agenda ist eine deutsche Erfolgsgeschichte ohne Beispiel“,
…schreibt Verfasser Kutschera in seinem Fachbuch.
Im März 2015 waren an den Universitäten Deutschlands bereits 146 Gender-Professoren (bzw. Dozenten) beschäftigt und 50 weitere Personalstellen an Fachhochschulen; dies entspricht in etwa den 191 Professuren für Pharmazie im gesamten Bundesgebiet. Aus der Tatsache, dass die Stellen zu 95 % von Frauen besetzt sind, bundesweit zudem über 2000 Gleichstellungsbeauftragte sowie kostspielige Informationsveranstaltungen finanziert werden müssen, ist ersichtlich, dass es hierbei
„primär um den Abzug staatlicher Gelder im Rahmen eines politischen Umerziehungsprogramm geht.“
Das Gender-Paradoxon 2018 ist ein zuverlässiges, quellengestütztes Handbuch, auf das niemand verzichten sollte, der sich ernsthaft an der Debatte beteiligen möchte. Kompetent, sachlich und unbestechlich im Urteil werden es Biologen aller Fachrichtungen ebenso gern benutzten, wie Juristen, Sozialwissenschaftler und Theologen, die ohnehin auf solide Argumentationshilfen angewiesen sind.
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U. Kutschera (2018) Das Gender-Paradoxon. Mann und Frau als evolvierte Menschentypen. 2. Auflage. LIT Verlag, Berlin, 446 S., 75 Abb., Br., ISBN 978-3-643-13297-0, Preis: 24,90 € Link zum Verlag: http://www.lit-verlag.de/ isbn/3-643-13297-0
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Der Autor, Prof. Armin Geus, ist Biologe und Wissenschaftshistoriker.