Freitag, 26. April 2024

Damnatio memoriae

Generell gilt: Kritiker sollten nicht das, was sie bei anderen kritisieren, selbst tun, sobald sie die Möglichkeit dazu haben. Wer just dies doch tut, der verspielt jegliche Glaubwürdigkeit und seine Seriosität. Ein Gastbeitrag von Jürgen Fritz

Tamara Wernli hat vor wenigen Tagen, am 17.05.2018, einen, wie ich finde, exzellenten Video-Beitrag erstellt und auf YouTube hochgeladen, siehe unten. Ein Tag später, am 18.05.2018, wurde der gesprochene Text fast wortwörtlich so auf Tichys Einblick (TE) abgedruckt respektive auf diesem Blog in schriftlicher Form veröffentlicht. In dem Video und dem Text geht es um das mimosenhafte und zutiefst demokratiefeindliche Verhalten von Jan Böhmermann.

Tamara Wernli arbeitet in ihrem Video wunderbar heraus, dass Böhmermann – der wohl nur ein extremes Beispiel einer Geisteshaltung darstellt, welche unsere Gesellschaft immer mehr ergreift beziehungsweise schon ergriffen hat – in seinem Agieren genau dem totalitären Gedankengutentspricht, das er eigentlich zu bekämpfen glaubt oder vielleicht besser: vorgibt zu bekämpfen, dass ihm und vielen anderen eben nur die Geisteskraft fehle, das zu bemerken.

Weil diese, möchte ich ergänzen, blind für sich selbst sind und blind für die strukturelle Gewalt, die sie ausüben, blind für das formale Prinzip, welches sie von den Faschisten übernehmen, nur eben inhaltlich anders füllen. Sprich sie machen im Grunde das Gleiche wie die Faschisten nur mit anderem Vorzeichen. Insofern könnte man von inversem Faschismus sprechen oder allgemein von totalitären Mustern. Das Video von Wernli ist in jeder Hinsicht, inhaltlich wie der Form nach, erstklassig gemacht und sehr sehenswert. Nun aber zu meinem eigentlichen Thema.

Wieso ist denn David Berger plötzlich völlig verschwunden?

Ich habe das Video laufen lassen und gleichzeitig den Text gelesen, habe also den gesprochenen Text von Tamara Wernli gehört und gleichzeitig gelesen, mithin multimedial rezipiert. Doch plötzlich mittendrin fiel mir etwas auf, was doch sehr seltsam anmutet. Ab Minute 0:56 spricht Wernli im Video folgenden Text:

„Weil im aktuellen Deutschland ja jeder, der politisch irgendwie eher rechts, konservativ und kritisch ist, auf derselben Stufe steht wie ein Total-Nazi, stehen auf Böhmis Blockliste nebst echten rechtsextremen Trollen auch unzählige Twitter-Konten von kritischen Zeitgenossen wie etwa dem Philosophen Dushan Wegner, Verleger Roland Tichy oder dem Theologen David Berger.“

Daraus wird dann auf Tichys Einblick:

„Weil im aktuellen Deutschland ja jeder, der politisch irgendwie eher rechts oder konservativ oder liberal-konservativ ist, auf derselben Stufe steht wie ein Total-Nazi, finden sich auf Böhmis Liste nebst echten rechtsextremen Trollen auch unzählige Twitter-Konten von kritischen Zeitgenossen wie etwa dem Philosophen Dushan Wegner oder Verleger Roland Tichy.“

Dass aus „kritisch“ nun im Text „liberal-konservativ“ wird, geschenkt, wenngleich ich jetzt das Merkmal kritisch sogar besonders wichtig fände, viel wichtiger als „liberal-konservativ“ nochmal hinter „konservativ“ dran gehängt. Noch viel mehr fällt aber etwas anderes auf: Wieso ist denn David Berger jetzt völlig verschwunden?

Bei Tichys Einblick scheint nachts eine Geisterhand umzugehen und Namen einfach so verschwinden zu lassen

Im Video wird Berger (im Foto links zusammen mit Tichy (c) Privat) sogar mit Bild eingeblendet ab Minute 1:17. War vielleicht die Aufzählung der Namen zu ausführlich für den Text? Bei sechs, sieben, acht oder zehn Namen könnte man in der Tat vermuten, die Aufzählung sei einfach zu lang gewesen, daher habe man gekürzt. Aber hier waren es ja nur drei Namen. Da muss man doch nicht einen wegstreichen. Was soll das? Zumal jeder mit Grundkenntnissen der Rhetorik und im Texte verfassen weiß, dass drei Beispiele oder Namen immer deutlich besser wirken als zwei. Warum ließ man den Namen David Berger also verschwinden? (Das ist übrigens nicht das erste Mal, dass mir dies bei Tichys Einblick auffällt. Auch bei einem Text von Alexander Wallasch in der Tellkamp-Affäre wurden Namen gezielt weggelassen.) Weshalb macht TE so etwas?

Könnte es vielleicht damit zusammenhängen, dass David Berger, der früher selbst für TE schrieb, Roland Tichy einmal öffentlich heftig kritisierte, nachdem dieser einen Artikel von mir, der bereits veröffentlicht und etliche zigtausendmal gelesen war, – ohne jede Rücksprache mit mir, weder davor noch danach – persönlich löschte, weil ihm der Druck von außen auf seine Person zu groß wurde?

Anschließend verschwand wie von Wunderhand der Name David Berger nahezu überall auf Tichys Einblick. Seine veröffentlichten Artikel waren noch da, aber es stand nicht mehr dabei, dass sie von ihm waren. Von mir selbst verschwand kurze Zeit später sogar ein anderer Artikel auf TE, der dort Monate zuvor veröffentlicht worden war und mit dem anderen überhaupt nichts zu tun hatte. Die Geisterhand scheint irgendwie regelmäßig unterwegs zu sein auf TE. Bestimmt immer nachts, wenn alle schlafen.

Reinlichkeit ist etwas sehr, sehr Wichtiges!

Das Ganze hat etwas von Säuberungsaktionen. Wer Tichy irgendwie Schwierigkeiten macht oder ihn kritisiert, der muss ganz von TE verschwinden. Dessen Name darf nirgends mehr auftauchen. Und wenn der Name doch irgendwo auftaucht, dann muss er weggemacht werden, wie Schmutz den man wegwischt. Nur leider im Video von Tamara Wernli kriegt man den Namen von Berger – und auch noch das Bild dazu! – so schlecht raus. So ein Mist aber auch. Vielleicht könnte man ja, das Video einfach komplett weglassen auf Tichys Einblick. Dann wäre auch dieses Problem gelöst.

Woran mich das Ganze erinnert? An den islamischen Kulturkreis. Auch dort verschwindet alles, was nicht in die Weltanschauung passt, was nicht genehm ist. Fragen Sie mal zehn Muslime, was sie von Rhazes (Abū Bakr Muḥammad ibn Zakaryā ar-Rāzī, 865-925) wissen, dem weltweit größten Mediziner seiner Zeit, dem ersten Denker im islamischen Kulturkreis, der ohne Einschränkung für die Autonomie der Philosophie eintrat und der bereits vor 1100 Jahren zu der Erkenntnis oder sehr gut durchdachten und wohlbegründeten Auffassung kam, dass es so etwas wie Propheten, die ein exklusives, nicht überprüfbares Offenbarungswissen für sich proklamieren, gar nicht geben könne, dass Moses, Jesus und Mohammed Betrüger gewesen seien. Wollen wir wetten, dass mindestens neun von zehn Muslimen den Namen noch niemals gehört haben, wahrscheinlich sogar alle zehn, obschon Rhazes einer der wichtigsten Gelehrten und Denker der gesamten Geschichte im islamischen Kulturkreis war? Warum wohl kennt den so gut wie kein einziger Muslim? Vielleicht weil man ihn als Ketzer brandmarkte und seine Schriften zum Großteil verschwinden ließ? Weil er anschließend kaum noch irgendwo erwähnt wurde?

Sie wird dieses immer gleiche Prozedere vielleicht an ARD und ZDF erinnern, an all die politischen Talkshows, in denen seltsamerweise so selten AfD-Politiker und fast nie echte Intellektuelle wie Sloterdijk, Safranski, Heinsohn oder Flaig – Uih, das waren jetzt sogar vier Namen, aber ich glaube, meine Leser verkraften das – zu sehen sind. Man muss den Laden ja auch dort sauber halten. Reinlichkeit ist etwas sehr, sehr Wichtiges!

Immer das gleiche Muster

Ja und natürlich erinnert Tichys Einblick selbst wiederum – und damit schließt sich dann der Kreis – an einen der größten Helden der westlichen Welt unserer Zeit. Tichys Einblick erinnert an den einzigartigen, an Mut, Courage und Format kaum noch zu überbietenden Jan, den Großen, der sich immer nur mit noch Größeren und noch Mächtigeren anlegt, niemals mit denen, die gerade von anderen zusammengetreten werden, und denen er, wenn die Gelegenheit gerade so schön ist, wie der widerliche kleine Rotzer auf dem Pausenhof früher, der immer Ausschau hielt, wo gerade jemand fertig gemacht wird, um sich dann schnell anzuschließen, nochmals einen Tritt verpasst und die anderen anfeuert, noch mehr zuzutreten. Unser aller Jan, der nicht nur Namen und Leute verschwinden lassen kann, sondern auch andere dazu anzuleiten vermag, wie man das machen kann, dass sie nirgends mehr auftauchen. Erkennen Sie das immer gleiche Muster?

Kritiker sollten nicht das, was sie bei anderen kritisieren, selbst tun, sobald sie die Möglichkeit dazu haben. Wer just dies doch tut, der verspielt jegliche Glaubwürdigkeit und seine Seriosität.

Update 24.05.18, 11.08 h: „Tamara Wernli hat mir mitgeteilt, dass die Streichung des Namens von David Berger im Text gegenüber dem Video nicht von der TE-Redaktion, sondern von ihr selbst vorgenommen worden sei.

Je nachdem, in welcher Zeitung sie den Text veröffentliche, könne es kleine Abweichungen zum Video geben. Warum ausgerechnet der Name von David Berger verschwunden ist, liebe Leser, überlasse ich Ihrem Urteil.

Sollte Sie das an Mainstreamjournalisten erinnern, die ständig beteuern, keine Anweisungen zu erhalten, so ist das Ihre freie Assoziation. Was ich antworten würde, wenn Sie mich fragten, ob ich das glaube?

Natürlich glaube ich das. Es braucht keine Anweisungen. Menschen verfügen über die Fähigkeit zu erahnen, was andere gerne hören wollen und was sie gerne lesen. Das gilt auch in Bezug auf Vorgesetzte, Auftraggeber und Geschäftspartner.“ (Jürgen Fritz)

***
Zum Autor: Jürgen Fritz studierte in Heidelberg Philosophie, Erziehungswissenschaft, Mathematik, Physik und Geschichte für das Lehramt. Nach dem zweiten Staatsexamen absolvierte er eine zusätzliche Ausbildung zum Financial Consultant unter anderem an der heutigen MLP Corporate University. Er arbeitete etliche Jahre als unabhängiger Finanzspezialist.
Außerdem ist er seit Jahren als freier Autor tätig. 2007 erschien seine preisgekrönte philosophische Abhandlung „Das Kartenhaus der Erkenntnis – Warum wir Gründe brauchen und weshalb wir glauben müssen“ als Buch, 2012 in zweiter Auflage. Seit 2017 betreibt er schwerpunktmäßig seinen Blog JÜRGEN FRITZ. Hier erschien der hier veröffentlichte Beitrag zuerst.
David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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