Samstag, 27. April 2024

Die Römische Inquisition: Beginn der modernen Strafjustiz und wichtigste Gegnerin des nordischen Hexenwahns

(David Berger) Nachdem vor mehr als 10 Jahren eines der bestgehütetsten Archive der Welt, jenes der Römischen Inquisition, der wissenschaftlichen Forschung weitgehend geöffnet wurde und nun auch erste Arbeiten dazu vorliegen, die bereits einen großen Teil des antikatholischen Mythos der Inquisition als einer grausamen, unmenschlichen Institution destruiert haben, konnte das ZDF als erster Fernsehsender der Welt in diesem Archiv Dreharbeiten durchführen.

Der erste Teil des Doku-Dramas, das die Regisseure Jan Peter und Yury Winterberg daraus gemacht haben, ist nun auch bei Youtube abrufbar

Die Voraussetzungen für die TV-Produktion waren nicht nur aufgrund der Möglichkeit der Dreharbeiten im neben der Peterskirche gelegenen Palazzo San’Uffizio, wo heute die Nachfolgerin der Inquisition, die Glaubenskongregation, damals geleitet von Kardinal Ratzinger, zuhause ist, exzellent. Auch dass die Verantwortlichen der Filmreihe Peter Godmans Buch „Die geheime Inquisition“, dessen Titel auch der Dokumentation den Namen gab, zur Grundlage des Drehbuchs machten, wird der Fachkundige nur begrüßen können.

Fußen die Untersuchungen des Historikers und erklärten Atheisten doch auf jenen Forschungen, die dieser als einer der ersten im genannten Archiv durchführen konnte und sind sie es, die breitenwirksam und in scharfsinniger Weise mit zahlreichen alten Vorurteilen aufgeräumt haben.

Mit dem Vorsatz, die Wahrheit hinter der „schwarzen Legende“ endlich sichtbar zu machen, wurde dann auch die Trilogie eröffnet. Und Godmans neuer Ansatz, von der bislang dominierenden Betrachtung der Opfer nun auch ergänzend zur historischen Rekonstruktion des Vorgehens und der Motive der „Täter“ überzugehen, war deutlich in der ersten Folge der Dokumentation zu erkennen: Im Mittelpunkt stand der langjährige Großinquisitor Giulio Antonio Santoro (1532-1605) und dessen Aufzeichnungen in seinen Tagebüchern.

Doch gelingt es der Doku, die „schwarze Legende“, wie angekündigt, zu zerstören, den nahezu revolutionären Wechsel, den die Forschung in den letzten Jahren bezüglich der Einschätzung der Römischen Inquisition vollzogen hat, einzufangen?

In manchen Punkten sicher, etwa dort, wo die zahlreichen Legenden im Zusammenhang mit dem Prozess und der Verurteilung von Giordano Bruno richtig gestellt und die Nähe von Klägern und Angeklagten analysiert wurde,

…die beide keinen Augenblick daran zweifelten, dass Gewalt das richtige Mittel ist, die Wahrheit zu verteidigen bzw. durchzusetzen, und das Martyrium sie zu bezeugen.

Aber letztlich scheiterten die Macher der Sendung doch an der Tatsache, dass – wie Godman schön beschrieben hat –

…das dunkelste Geheimnis der Römischen Inquisition darin besteht, dass sie gar keines hatte.

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All das, was den Stoff für ein reißerisches Doku-Drama bieten könnte, ein finsterer Plan zur Machtergreifung etwa, ein gewaltiges Repressionsprogramm oder sadistische Folteranleitungen sucht man weithin vergebens.

Und so gewann man die ganze Sendung über den Eindruck, dass man es denn doch mit der Ankündigung der Legendenzerstörung nicht so Ernst nahm und lieber auf Altbewährtes zurückgriff.

In an die Verfilmung von Umberto Eccos Roman „Der Name der Rose“ erinnernden Szenen sah man Scheiterhaufen rauchen, Folter, Prügelstrafen und feierliche Ketzerverbrennungen wurden begleitet vom Gesang lateinischer Choräle genau beschrieben.

Die Gegenreformation wurde kurzerhand als „fanatische Bewegung“ definiert, um dann zu dem Schluss zu kommen, deren wichtigstes Instrument sei die Inquisition gewesen. Der legendenumwobene Vatikanische Geheimdienst wurde zu einem Teil der Inquisition erklärt und aus der Unleserlichkeit der Handschrift eines Inquisitors schlussgefolgert, dieser sei kein Gebildeter, sondern eher ein Bürokrat gewesen.

Vielleicht war es bei den Machern der Sendung ja einfach die beliebte Vorstellung, um im Fernsehen erfolgreich zu sein, müsse man die Vorurteile seiner Adressaten einfach immer wieder neu bestätigen. Wenn nicht, dann hätte ihnen doch auffallen müssen, dass Kardinal Ratzinger innerhalb ihrer eigenen Dokumentation in einem kurzen Statement zu der Fragwürdigkeit des Einsatzes der Folter durch die Inquisition den einzigen Weg aufgezeigt hat, wie der Gesamtkomplex historisch verantwortlich verstehbar gemacht werden kann.

Der Kardinal sprach nämlich im Hinblick auf die Tatsache, dass auch große Heilige, wie Papst Pius V. und Bellarmin, die Folter gebilligt haben, davon, dass der historische Kontext bzw. die Zeitgeistverfangenheit offensichtlich dazu führen kann, dass Teile des Gewissens erblinden.

Mit dem Verweis auf die Betrachtung des historischen Kontexts hat der Kardinal genau den wunden Punkt der Sendung getroffen. Die Inquisition kann richtig nur gemessen an den Wertmaßstäben ihrer Zeit und verglichen mit anderen juristischen Institutionen verstanden und dann beurteilt werden:

Wer heute im kirchengeschichtlichen Gespräch noch Ernst genommen werden will, der muss etwa zur Kenntnis nehmen,

…dass sich die Römische Inquisition wie sonst keine andere Gerichtsbarkeit ihrer Zeit durch juristische Kompetenz und faire Unparteilichkeit auszeichnete oder sehr oft gegen den vor allem in Nordeuropa stark verbreiteten Hexenwahn aktiv wurde.

Warum spricht die Sendung etwa von den komplizierten Einzelfällen, in denen Priester Dinge an die Inquisition weitergaben, die sie unter dem Beichtsiegel erfahren hatten, aber verschweigt, das im Kirchenstaat keine einzige Hexe verbrannt wurde, weil die Inquisition eine eigene Prozessordnung erlassen hatte, die Todesfälle in dieser Sache praktisch ausschloss?

Warum wird bei der Darstellung des Prozesses der Inquisition gegen den jungen Santoro, der schließlich zu dessen Freispruch führt, nicht dargestellt, dass es sich hier keineswegs um einen Einzelfall handelte, sondern die Prozesse der Inquisition bereits damals und fast einzigartig für Europa in formalrechtlicher Hinsicht großenteils modernen Anforderungen der Kriminaljustiz genügten und zudem Umkehr wichtiger als Strafe war?

Ob so die „schwarze Legende“ zerstört werden kann, erscheint höchst zweifelhaft. Aber vielleicht ist das auch gar nicht gewollt.

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David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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