I
Ich freute mich darauf, endlich Kleider für meine Mädchen zu kaufen. Mir war klar, dass sie zu Hause deswegen mitfiebern würden, denn ich hatte ihnen geschrieben, heute wäre der Tag. Allein der Gedanke an ihre Vorfreude, ließ mein Herz höher schlagen. Vermutlich nannte man das Liebe. Wir waren noch nie länger, als drei oder vier Tage getrennt gewesen. Am Telefon gaben sich die beiden stets tapfer. Doch ich wusste, dass sie mich vermissten. Ich wollte ihnen für diese Tapferkeit etwas zurückgeben, sie entschädigen und beschenken. Sie sollten die herrlichsten Kleider bekommen, die ich finden konnte. Sie sollten aussehen, wie Prinzessinnen. Oder wie die schönen Nowosibirskerinnen. Sie sollten darin herum laufen, sich drehen, die Arme ausbreiten und allen sagen, diese Kleider hat uns unser Papa aus Russland mitgebracht. Meine Mädchen, die besten Mädchen der Welt. Und mein Junge, der gerade erst anderthalb Jahre alt war. Würde er mich überhaupt noch kennen? Ich schluckte. Schnell an etwas anderes denken.
Unser Schlachtplan, den wir beim Frühstück, nach dem obligatorischen Morgenschwimmen im Ob, aufgestellt hatten, sah so aus: zuerst zu Victors Tankstelle. Rubel aus der Barkasse zu Tauschen holen. Das Tablet mitnehmen, damit ich noch einmal ins Internet könnte, ein paar Mails schreiben. Denn wer wusste, wann und ob überhaupt das im Altai möglich wäre. Danach weiter zum Großbasar, den Victor mir zeigen wollte; Kleider kaufen. Außerdem schien sich der Besitzer des alten Lada nun doch für das Geschäft mit Victor entschieden zu haben. Also stand auch hier heute noch Treffen an. Soweit, so gut. Doch es sollte alles anders kommen.
Gegen Zehn – wir schickten uns gerade an, aufzubrechen – klingelte Victors Handy. Der Anruf versetzte Victor augenblicklich in eine aufgekratzte, extrem gute Stimmung. „Wir fahren heute nicht in Stadt“, frohlockte er. „Ich habe gerade Angebot bekommen, mit Schiff auf Ob zu fahren. Sergej, dem das Haus gehört, wo du schläfst, hat uns eingeladen. Machen eine Ausfahrt. Ich habe schon zugesagt.“
Er schien zu erwarten, dass ich seine Freude teilen würde. Tat ich aber nicht. „Und was ist mit den Kleidern?“, fragte ich. „Wir wollten doch heute Kleider kaufen. Für meine Mädchen.“
„Kleider laufen nicht weg“, winkte er ab. „Kannst du auch kaufen, wenn du bist aus Altai zurück. Fahren auf Ob ist einmalig. Will ich dir zeigen. Wird herrlich!“
„Und dein Testlada?“, versuchte ich einen letzten Einwand?
Victor winkte ab. „Egal! Kann ich auch nächste Woche kaufen.“
Zum ersten Mal ärgerte ich mich über ihn. Weil er einfach alles umgeworfen hatte. Bei dem Gedanken, dass die Mädchen sich daheim ausmalten, wie ich ihnen heute Kleider kaufen würde, während ich stattdessen etwas ganz anderes tat, fühlte ich mich, als würde ich sie verraten. Würde ich mich aber dem Ausflug verweigern, würde ich Victor enttäuschen, ja brüskieren. Meine Laune sank in den Keller. Wie ein Baum, der von einer einzigen Sturmbö entlaubt wurde, verlor ich schlagartig jegliches Vorstellungsvermögen, wie nun aus diesem Tag noch ein schöner werden sollte. Doch weil Victor bisher so gut zu mir gewesen war, versuchte ich, mir meinen Mißmut nicht anmerken zu lassen. Was natürlich nicht gelang. Er sah sofort, wie ich seine „wunderbare Nachricht“ aufgenommen hatte und meinte: „Ist noch nicht hundertprazent sicher, ob es klappt. Sergej hat gesagt, er ruft noch einmal an. Weil muss erst seine Frau fragen. Die beiden haben eine Feier. Weiß er noch nicht, ob andere Gäste einfach dazu kommen kann. Wenn nicht anruft bis halb zwölf, wir fahren in Stadt, okay?“
Die folgende Stunde warteten Victor und ich in hibbeliger Ungeduld. Er hoffte, dass Sergej anrufen und das erlösende aye-aye! durchgeben würde. Ich erflehte insgeheim genau das Gegenteil. Bei der Hütte hielt ich es nicht aus und stromerte auf eigene Faust durch die Umgebung. Musste mir die Nervosität herauslaufen. Wieder durch die Büsche und das kleine Wäldchen, zum alten Hafen, mit den vor sich hinrostenden Binnenfrachtern. Rückzu ein unentdeckter Weg. Brennesseln. Eine alte Schranke. Als ich wieder eintraf, hatte Victor noch keine Nachricht. Es war halb zwölf. Er schien geknickt. Sollte es gut ausgehen? Meine Stimmung begann sich wieder zu heben. Da klingelte das Telefon. Victor triumphierte: „Auf geht’s, sie sind da! Aber sie haben zu weit oben angelegt. Sie nicht genau wissen, wo ich wohne. Oder schon etwas betrunken. Sie vielleicht nicht so lange wartet auf uns. Los!“ Er stürmte im Humpelschritt voran, den Sandweg flussaufwärts, am Ufer entlang. Ich malte mir aus, auf ein Boot voller hemmungslos besoffener Russen zu kommen, die wer-weiß-was an Bord treiben und mich eventuell zum Mitmachen nötigen würden – und meine Laune wurde noch schlechter. Dann stellte ich mir vor, dass ein derart schlechter gelaunter Mensch per se schon ein Affront für fröhliche Menschen sein, ich also zwangsläufig allen die Stimmung verderben musste – und meine Laune näherte sich dem Nullpunkt. Ich fühlte mich außerstande, lustigen, ausgelassenen Menschen zu begegnen und sah einen katastrophalen Nachmittag vor mir liegen, eine Demütigung, den finstersten Tag in Russland, eventuell sogar Streit mit Victor. Und morgen dann ein deprimierter Aufbruch Richtung Altai. Wie sinnlos das alles war. Dazu noch das Versagen an meinen Kindern, das gebrochene Versprechen. . . Heute kam es knüppeldick. Nun galt es, stark zu sein und sich dem Furchtbaren zu stellen.
II
Das Schiff war ein etwa 25 Meter langer, alter Vergnügungsdampfer mit Sonnen-, Mittel- und Unterdeck. In einem kleinen Boot wurden wir vom Ufer abgeholt und zum Bug gebracht. Von oben an der Reeling schauten einige Leute zu uns herunter. Victor begrüßte sie schon vom Boot aus lauthals und begann, sich ganz närrisch aufzuführen. Ich sah mich in der Rolle der Spaßbremse hier so fehl am Platze, wie eine saure Gurke im Kakao. Einfach gute Miene zum bösen Spiel machen, sagte ich mir, kletterte hinter dem stürmischen Victor die kleine Leiter hinauf und grüßte artig, aber sehr schüchtern, die beiden Gastgeber: Victors Freund Sergej und seine Frau. Victor stellte mich vor. „Ah, Marco Polo!“ freute man sich. Da war es wieder, was den Leuten zu meinem Namen einfiel. Es gab Schlimmeres. Wir mussten die Schuhe ausziehen und sie zu den vielen anderen Paaren im Bug stellen. Alle gingen barfuß. Die Situation war mir immer noch sehr unangenehm. Allerdings konnte ich mich mit meinen 1,90 Meter schwerlich unsichtbar machen. Natürlich ragte ich heraus und natürlich zog ich Blicke auf mich. Außerdem gab es eine Kleiderordnung. Die Männer hatten ein blau-weiß geringeltes Matrosenunterhemd an und weiße Kapitänsmützen auf. Auch Victor und mir wurde umgehend beides gereicht. Wir schlüpften hinein und kämpften uns anschließend durch einen schmalen Gang zum Hauptraum im Mitteldeck, wo die gesamte Mannschaft um einen Büffettisch versammelt saß. Mützen und Hüte standen mir schon immer gut. Ich fürchtete, mit der Kapitänsmütze würde ich noch mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Das Schlimmste aber, was passieren konnte, wäre, dass Victor den Einfall bekäme, mich vor allen zum Gitarre spielen und singen aufzufordern. Indes beruhigte mich ein wenig, was ich sah: hier fand keine Zügellosigkeit statt. Alle schienen sich im Griff zu haben. Wieder wurde ich vorgestellt, wieder hieß es, „Marco Polo! Dawai, komm, setzt dich.“ Am Tisch schob man uns gleich auf der Bank an der Fensterreihe durch, bis wir rechts und links von anderen eingekeilt mitten im Gedränge saßen. Victor war laut. Für mich zunächst unverständlich laut: er brüllte herum. Als könne er nur so alle davon überzeugen, dass seine Laune gigantisch gut sei. Dann lachte er fordernd in die Runde: kommt, lacht mit, es ist doch ein schönes Leben, oder? Alle anderen fielen in sein Lachen ein. Ich lächelte auch ein wenig: ja, ja der Victor. Ist schon eine Stimmungskanone… Neben Victor gab es einen sehr hochgewachsenen, dürren alten Mann, mit nur noch einem Zahn im Mund, der ebenfalls sehr laut war und Witze erzählte. Vielleicht war er auch extra dazu eingeladen worden. Wenn er einen Witz vortrug, stand er auf und unterstrich die Handlung mit extrovertierter Mimik und Gestik. „Babuschka i Deduschka…“ begann er wie ein Märchenerzähler für Kinder. Dann übernahm er mit gekünstelten Stimmen abwechselnd die Rollen von Großmutter und Großvater. Dazu zitterte sein Unterkiefer, Spucke spritzte, er machte das wirklich sehr lustig. Auch wenn ich kaum ein Wort verstand, begriff ich doch, dass der Witz wohl nicht ganz jugendfrei war. Nach der Pointe, die er so lässig setzte, wie John Wayne einen Schuss aus der Hüfte, tobten die Leute los. Der Alte war eine Wucht. Auch ich konnte nicht anders, als mitzulachen. Victor beugte sich zu mir und meinte, der Mann wäre früher Stadionsprecher von Nowosibirsk gewesen und hätte schon damals immer die Massen zum Toben gebracht.
Nun stand Victor auf und gab einen Witz zum Besten. Etwas kürzer, als der Alte, etwas hektischer. Aber auch der saß. Alles lachte. Victor schien unendlich glücklich. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Es folgte eine kurze Ansprache der Gastgeber. Sie begrüßten jeden, nannten noch einmal den Grund für die Ausfahrt und eröffneten das Essen. Dazu wurde erst einmal eine Runde Sekt ausgeteilt. Dann Wodka und auch Wein. Victor übersetzte mir: die beiden – Sergej und seine Frau – hatten heute ihren 29. Hochzeitstag. Da nächstes Jahr der 30. sein würde, wollten sie für dieses große Fest mit ihren Freunden schon mal ein wenig „trainieren“.
Bereits beim Betreten des Mitteldecks war mir eine junge Frau – sie mochte vielleicht Dreißig sein – mit dunklen, langen Haaren, dunkelroten Lippen und üppiger, weiblicher Figur aufgefallen. Victor muss meinen Blick mit dem Auge eines Falken in Sekundenbruchteilen erspäht haben, denn er tat nun alles dafür, dass ich genau neben dieser Frau zu sitzen kam. Gespielt beiläufig – aber ich durchschaute ihn – stand er auf, ging weg und setzte sich wo anders wieder hin. Einmal schob er das rassige Weib direkt neben mich auf die Bank und befahl, plötzlich ins Englische verfallend, „talk!, talk!“ – also: los, unterhaltet euch! Als er dann schon etwas getrunken hatte, was an diesem Tag recht schnell ging, nahm er sogar einmal ihre Hand und quetschte sie in meine. Nun saßen wir also händchenhaltend da, sahen uns an und … ihr war es peinlich, mir irgendwie auch. Der Alte stand auf und erzählte wieder einen Witz. Das Lachen und der Applaus am Ende gaben mir Gelegenheit, wieder Herr über meine Hände zu werden.
Auf dem Tisch standen kalte Speisen – Hühnchen, Salate, Teigtaschen, Fleisch – reichlichst von allem. Und natürlich Getränke en masse. Ich nahm ein Glas Wein, dazu einen Wodka, und merkte, dass ich mich langsam etwas enspannte. Dann wurden Fotos gemacht. Alle Männer zusammen für die Frauen. Dabei gelang mir wohl eine witzige Geste, denn die Frauen lachten. Danach hatte ich das Gefühl, das Eis – welches ich wohl selbst gewesen war – würde allmählich schmelzen. Als nächstes verschwanden die Frauen. Nach einer kurzen Weile kamen sie zurück, alle in einheitlichen dunkelblauen Blumenkleidern mit geflochtenen Blumenkränzen im Haar. Sie drapierten sich oben, ganz vorn auf dem Sonnendeck, zu einer Gruppe aus liegenden, halb sitzenden und stehenden Frauen und lächelten zu uns Männern herab. So durften wir sie fotografieren. Die Dunkelhaarige schien ein Kind zu haben, das immer wieder mal um sie herumschwänzelte. Aber offenbar hatte sie – im Gegensatz zu allen anderen Frauen, die mit ihren Gatten hier waren – keinen Mann. Man spürt das irgendwie gleich. Was für eine Situation: die schönste Frau an Board war die einzige ohne Partner.
Nun unterhielten sich Sergej und seine Frau kurz mit mir. Unglaublich nett, die Leute. Und ganz ohne Allüren, was ich nicht erwartet hatte, da Sergej laut Victor ja ein richtiger Oligarch sein sollte. (Später wollte Victor mir immer noch einmal Sergejs eigentliches Wohnhaus auf der anderen Seite des Ob zeigen, das sehr beeindruckend sein sollte; doch dazu kam es nicht). Dies also war jener Sergej, in dessen „Hütte“ ich schlief, dessen Geschäft darin bestand, mit einem flachen Schüttgut-Frachter, der aussah wie ein großes Floß aus Stahl, tagein, tagaus die unzähligen Bauprojekte der Stadt von einer flussabwärts gelegenen Sandgrube mit Sand zu versorgen. Sergej machte zig Millionen – viel mehr, als Victor mit der Tankstelle. Deshalb wunderte es mich, dass er mich wie Seinesgleichen behandelte. Er war nicht sehr groß – höchstens 1,75 Meter – athletisch für sein Alter und hatte offene, strahlend blaue Augen. Vom Aussehen her jemand, dem man bedenkenlos sein Leben anvertrauen würde. Wenn ich mich recht entsinne, waren Victor und er Schulkameraden gewesen.
A propos Victor… Der hatte anscheinend beschlossen, mich „glücklich“ zu machen und buxierte gerade die Dunkelhaarige wieder in meine Nähe. Ich entschuldigte mich zur Toilette, ging jedoch zum Heck und schaute ein wenig auf’s Wasser. Da kam jemand, klopfte mir auf die Schulter und rief „Dawai! Banja!“ Er hatte nur noch eine Badehose an. Victor kam ebenfalls nach achtern und meinte, ich solle ruhig in die Sauna gehen – alle Männer würden jetzt in die Sauna gehen. Das sei außerdem gut gegen den Alkohol. Danach wären wir wieder fit. Eigentlich hatte ich dazu keine Lust. Aber egal – heute ging es nicht um mich und nicht um das, was ich wollte oder nicht wollte. Soviel hatte ich schon kapiert. Ich hatte als Gast eine bestimmte Rolle zu erfüllen, nämlich all das Gute, das mir hier geboten wurde, zu genießen und damit zur allgemeinen Zufriedenheit beizutragen.
Also legte ich Hemd, Hose und Mütze zu einem großen Haufen anderer Hemden, Hosen und Mützen. Die Frauen hielten sich derweil ganz sittsam im vorderen Teil des Schiffes auf. In der Unterhose öffnete eine kleine Kabinentür im Unterdeck, und . . . Mein Gott, was für eine unbeschreibliche Hitze! Drei oder vier Männer saßen da und schwitzten, als hätte es nichts besonderes. Ein Thermometer an der Wand zeigte die Nadel knapp jenseits der 120 Grad. Ich nahm Platz und ließ mich brüten. Da es ein ständiges Kommen und Gehen war, wartete ich nur ab, bis es aus allen Poren tropfte. Keiner nahm mir übel, dass ich nicht allzu lange blieb. Doch wo würden wir uns abkühlen? Abkühlung musste sein! „Nu wot? Dawai! Jump!“, klopfte mir jemand unbeschwert auf die Schulter. Dann kletterte er über die Reeling und machte vom Heck aus einen Kopfsprung in den Fluss. Ich tat es ihm gleich – ein wenig stolz darauf, mich vor den Russen nicht als jemand, der sich das nicht traute, zu blamieren. Allerdings war es nicht ganz einfach, gegen das Kielwasser anzuschwimmen und das Schiff wieder zu erreichen. Ich brauchte alle Kräfte, tat aber gleichzeitig, als würde es mich nicht die geringste Anstrengung kosten. Als ich über ein paar Stahlsprossen endlich wieder an Board kletterte, wurden meine Glieder von einer scheinbar zehnfachen Gravitation nach unten gezogen; ich fühlte mich, als wäre ich komplett aus Blei. Doch keine Zeit zu verschnaufen – Victor stand bereits wieder neben mir. „Komm, Sauna!“, rief er. „Ich war schon mal drin“, erwiderte ich, wusste aber, dass das nicht zählte. Einmal war keinmal. „Hast du gesehen?“, fragte ich ihm folgend, „über 120 Grad!“
„Manche Russen gehen bis 140 Grad“, entgegnete Victor, frei nach dem Motto: Mach dir keine Sorgen – 120 ist noch ganz narmal. Nach dem zweiten Durchgang hatte ich meine Pflicht erfüllt. Alle waren zufrieden, alle hatten mich irgendwie an allen Stationen gesehen, ich hatte alles „genossen“, war etabliert, keinen kümmerte, was ich nun machte. Ich zog mich an und kehrte – trotz allem – recht erfrischt aufs Mitteldeck zurück. Man, also die dort sitzenden Blumenfrauen und ein „Kapitän“, nahmen mich sogleich in ihre Mitte und stellten Fragen, nickten, lächelten. Wie freundlich ich aufgenommen wurde, wie angenehm es doch war.
III
Dann kam Sergejs Überraschungs-Coup. Ziel der Fahrt war seine Datsche, etwa fünf Kilometer flussabwärts. Dort verbrachte Sergejs Sohn mit einigen Kumpels das Wochenende. Die Eltern hatten ihm gesagt, sie wären weg und er hätte sturmfreie Bude. Nun würden seine Alten mit einer ganzen Ausflugsmannschaft vorbeikommen und „nach dem Rechten“ schauen. Alle waren gespannt, ob der 16-jährige es mit Humor nehmen würde. Vor dem Anlegen am Steg wurde zweimal ordentlich laut die Schiffshupe gezogen. Das Ufer war hier sehr steil und hoch. Kurz darauf erschien der Jüngling oben am Gartenzaun und erkannte sogleich, was das Stündlein geschlagen hatte. Es gab ein großes Hallo, die Ausgelassenheit setzte sich nahtlos an Land fort. Anscheinend kam der Sohn ganz nach dem Vater und nahm derartige „Scherze“ gelassen.
Sergej zeigt uns Männern seine „Datsche“: ein zweistöckiges Einfamilienhaus, in topmoderner Vollausstattung, jedoch nicht übertrieben protzig. Das Grundstück hatte auch einen Garten mit Obstbäumen. Unter einem langen offenen Carport standen die Männer beisammen und – ganz was Neues – tranken Schnaps. Auch ich bekam ein Glas, an dem ich lange herumnippte. Dann wurden wieder Fotos gemacht. Irgendjemand wollte mich mit der Dunkelhaarigen zusammen fotografieren. Die Folge war, dass wir hernach wieder zu zweit herum standen. Victor schien sich diebisch zu freuen. Irgendwie musste ein Gespräch her. Sie fragte mich in radebrechenem Englisch, was ich mache. Mein „Journalist“ löste eine Art Begeisterung, gepaart mit Ehrfurcht aus. Ähnlich, als würde man in Deutschland sagen, man sei Arzt und habe kürzlich eine neue, lebensrettende Behandlungsmethode entdeckt. Seltsam. War doch meine Meinung von Journalisten nicht die beste. Sie selbst arbeitete irgendwo in Nowosibirsk als Sekretärin. Einen Mann hatte sie keinen mehr. Nur die Tochter war ihr von ihm geblieben. Ich sagte ihr vorsichtshalber mal, dass ich drei Kinder hätte. Keine enttäuschte Reaktion, im Gegenteil. Auch gut.
Allzu lange hielt sich die Mannschaft nicht auf; unten tutete es zur Rückfahrt. Der Sohnemann und seine Kumpels wurden wieder sich selbst überlassen. Alle kletterten die Treppe zum Steg herunter und die kleine Leiter ins Schiff hoch. Alle Frauen wurden oben von einem einzigen Gentleman empfangen und sicher und wohlbehalten an Bord geleitet: von unserem zukünftigen Jachtbesitzer. Auf dem Schiff servierte man nun Kaffee und Kuchen. Victor, der jetzt schon ziemlich angetrunken war, drängte die Dunkelhaarige und mich erneut dazu, uns allein zu unterhalten. Er schob uns beide von der Kaffetafel raus aufs offene Bugdeck. Dabei raunte er mir zu, er wolle nur, dass es mir gut gehe. Als er uns nicht mehr durch die Fenster beobachtete, entschuldigte ich mich und verzog ich mich nach oben auf das Sonnendeck. Dort war ich allein. Ich legte mich ganz vorne auf den Bauch, stützte den Kopf in die Hände und schaute auf den Ob wie Huckleberry Finn von seinem Floß auf den Mississippi. Der Wind blies, die Sonne brannte, der Fluss zog majestätisch langsam vorbei – herrlich. Und wie üppig grün hier alles am Ufer war. Ich befand mich tatsächlich auf einem der großen sibirischen Ströme, auf einem Schiff, mitten im tiefsten Russland, unter fröhlichen, freundlichen, gutmütigen Menschen. War mir bewusst, dass ich nicht träumte? Ich versuchte, alles auf mich wirken zu lassen, diesen Moment, diese Welt, diese Freiheit. Versuchte, „es“ zu begreifen.
Da hörte ich vorsichtige Schritte. Ich wusste, wer kam und sah mich gar nicht erst um. Die Dunkelhaarige setzte sich neben mich und hielt mir einen Teller mit einem Stückchen Erdbeertorte hin. Vermutlich hatte Victor sie damit zu mir herauf geschickt. Ich sagte „spassiba“. Sie lobte meine Aussprache. Das klänge wirklich Russisch. Woher ich denn so gut Russisch könne. Ich erwiderte, tatsächlich nur sehr wenig zu wissen, nur ein paar Worte. Sie sagte (halb englisch, halb russisch; und ich verstand auch nur die eine Hälfte, die andere reimte ich mir zusammen), das sei egal; Hauptsache wäre, dass man sich irgendwie unterhalten könne. Eine Weile schwiegen wir beide und schauten auf den Ob. Dann spürte ich ihre Hände an meinem Kopf: sie band mir ihr Tuch um, denn der Wind war frisch und zerzauste meine Haare. Ich hatte mir selbst schon Gedanken gemacht, ob es nicht vielleicht zu kühl sein könnte. Erkälten wollte ich mich nicht. Fragend blickte ich sie an. Sie sagte ein Wort, dass ich nicht verstand, machte aber eine entsprechende Geste dazu, so dass klar wurde, sie hätte das getan, um mich vor dem Wind zu schützen. Dann stützte sie sich nach hinten ab und blickte unverwandt in die Ferne. Ich lag neben ihr und betrachtete sie von unten. Ihr ernstes Gesicht. Der Blumenkranz im Haar. Der volle Körper, das dunkle Kleid. Wie eine Großaufnahme vor der vorbeiziehenden Landschaft. Ich vibrierte. Sie sah wunderschön aus… Konnte man das sagen? Oder wäre das bereits mehr, als ein Kompliment? Ich dachte an zu Hause. Dann sagte ich „…tyj jehst krassiwuyj…“ Sie sank kaum merklich zusammen, seufzte kurz aus, lächelte schüchtern zur Seite und sagte leise: „Spassiba“.
Als wir uns wieder zu den Anderen gesellten, fing Victor meinen Blick auf. Aber er war nicht mehr in der Lage, subtil zu reagieren. „Hast du was zu trinken?“, rief er. „Wo ist dein Glas? Los, mach mal ein Glas voll für meinen Freund!“ Sergej, der auch nicht mehr der Fitteste, aber weit besser beieinander war, als Victor, reichte mir den Schnaps. Männerzeit war angesagt. Die Dunkelhaarige setzte sich zu den Frauen. Wir Herren der Schöpfung stellten uns an die Reeling. Es musste angestoßen werden. Glas leer? Sofort nachgeschenkt. Mir tat schon wieder der Kopf weh. Ich wollte mich nicht betrinken. Bei der nächsten Runde nippte ich nur ein bisschen und kippte dann den Rest unbemerkt hinter meinem Rücken über Bord. Der Ob wollte auch was haben. So ging das eine ganze Weile. Man war sehr zufrieden mit mir. Und ich war es auch. Drinnen wurde Musik aufgelegt. Wir gingen wieder rein. Einige Paare tanzten. Sergej und seine Frau mussten einen Hochzeitstag-Walzer hinlegen. Was sie auch ganz gut machten. Der alte Stadionsprecher erzählte wieder einen Witz. Danach schnappte sich ein ziemlich betrunkener Mann eine Luftgitarre und spielte breitbeinig bis fast zum Spagat zu einem Rock-’n-Roll-Titel. In oskarverdächtiger Emphase. Wir lagen vor Lachen auf den Bänken und an unseres Nachbarn Schulter. Es war so ganz anders, als ich erwartet hatte: Je betrunkener die Leute wurden, desto gutmütiger und lustiger wurden sie. Als würde sie das befreien. Keiner vergaß sich. Keiner schlug im Schlechten über die Stränge, keiner ließ die Manieren gänzlich fahren, keiner wurde aggressiv. Einfach nur da sein und ausgelassen lachen. Darum ging es. Und weniger war es am Ende auch nicht.
Das Schiff legte nahe unserer morgendlichen Schwimmstelle an. Beim Verabschieden gab ich Sergejs Frau meine Mailadresse. Denn dummerweise hatte ich meine Kamera nicht dabei gehabt. Sie versprach, mir Fotos zu schicken. (Was sie ungefähr zwei Monate später tatsächlich tat. Leider ließ sich der Link nicht öffnen.) Das Matrosenhemd sollte ich behalten – ein Geschenk. Es hängt heute in meinem Zimmer und ziert einen zur Garderobe umfunktionierten Mikrofonständer. Die Dunkelhaarige bedankte sich für den schönen Nachmittag. Artig gaben wir uns die Hand. Na gut, eine kleine Umarmung musste schon sein. Victor hingegen war überschwänglich. Aus dem Verlassen des Schiffes machte er eine Show, wie man sie in ganz Eurasien noch nicht gesehen hatte. Zwei Mal kletterte er wieder an Board. Die Leute lachten und winkten ihm zu. Er winkte zurück, drückte beide Hände aufs Herz und spielte den traurigen Matrosen, der von den liebsten Menschen auf der Welt für immer Abschied nehmen musste. Ich stand schon längst am Ufer und wartete, da kletterte er zum dritten Mal aus dem kleinen Boot, das uns ans Ufer brachte. Diesmal lief mit Klamotten zurück ins Wasser. Erst bis zu den Oberschenkeln. Dabei rief er wieder einzelnen und dann allen etwas zu. Er winkte, verteilte Handküsse, verbeute sich, schwenkte die Mütze. Oben schüttelten sich die Leute und riefen (meinem Eindruck nach) „Los Victor, komm, mach’s gut! Ciao! Auf Wiedersehen. Ist gut jetzt!“ Manche konnten nicht mehr vor Lachen. Da setzte Victor zum großen Finale an. Er wurde ernst, schmiss den Arm zum militärischen Gruß an die Mütze und marschierte geradewegs in den Fluss. Bei jedem Schritt nahm er den Arm zackig herunter und drehte den Kopf dazu ruckartig nach links. Dann schmiss er den Arm wieder an die Mütze und warf den Kopf gleichzeitig geradeaus. Hin und her, rauf und runter, als würde er am Staatsratsvorsitzenden vorbei exerzieren. In Jeans und Matrosenhemd. Schon war er bis zur Hüfte im Wasser. Dann bis zum Oberkörper. Zack-zack, zack-zack, Arm zum Gruße, Kopf!-nach!-links!-ge!-ra!-de!-aus! Victor verschwand immer tiefer im Wasser. Auf dem Schiff die Leute konnten sich nicht mehr halten. Auch ich brach erneut in hilfloses Gelächter aus (dabei tat mir längst schon das Gesicht vom Lachen weh). Ich dachte, so ein verrückter Hund! Victor stierte mit todernster Miene ins Nichts. Jetzt schaute nur noch sein Kopf heraus. Er zog das Ding voll durch. Als wäre dies ein Film: „EIN MANN GEHT INS WASSER“. Militärischer Blick. Und Schritt. Und Gruß – bis kein Victor mehr zu sehen war und sein Kapitänsmützchen langsam auf dem stillen Ob davon trieb. Dann stob er aus dem Wasser, prustete, lachte, schnappte sich das Mützchen, winkte allen noch einmal zu, und noch einmal, und noch einmal mit beiden Armen. Und dann, was keiner mehr für möglich gehalten hatte, war es tatsächlich vollbracht und wir konnten endlich nach Hause gehen.
Sergej tutete extra kräftig zum Abschied.
IIII
„Mal sehen, ob Sascha hat den Schlüssel gefunden“, meinte Victor, als wir an der Hütte waren. Der junge Mann von der Tankstelle hatte in unserer Abwesenheit Victors Tablet und das Bargeld vorbeibringen sollen. Auf dem Tisch lag nichts. Schon dachten wir, Sascha hätte es vergessen, da sahen wir einen Plastikbeutel am oberen Fensterrahmen hängen. Darinnen der Computer und das Bargeld. Der Junge hatte den Beutel durch das einen Spalt weit geöffnete Fenster hereingehängt, dieses dann nach außen gezogen und mit einer Falte des Beutels festgeklemmt, so dass es verschlossen aussaß. „Ha! Sascha ist einfach wahnsinnig intelligent! Ich mag den Jungen“, freute sich Victor. Er schien bereits wieder nüchtern zu sein. Der Junge hatte alles Bargeld reingelegt, dass er in der Tankstelle zusammenkratzen konnte. Leider war es am Samstag nicht soviel wie unter der Woche: insgesamt nur 22.500 Rubel. Victor tauschte sie mir für 350 Euro, zum Kurs von knapp über 1:64 – zwei Rubel besser, als auf der Bank. Dann schnappte ich mir das Tablet, ging ins andere Haus, las Nachrichten und schrieb ein paar Mails.
Am frühen Abend trafen wir uns wieder. Aus der Stadt wölbte sich ein Regenbogen in den dunklen, graublauen Himmel. In unserem Gebiet aber schien die Sonne. Silbern glänzende Maschinen im Landeanflug auf den Nowosibirsker Flughafen flogen über uns hinweg. Ich hatte sie schon oft beobachtet. Victor stand auf der Wiese und war dabei, umzusetzen, was er sich vorgenommen hatte: nämlich für mich Ucha zu kochen – die russische Fischsuppe. Ihr Geheimnis sei, mindestens 3 Sorten (besser 4) ganz frischen Fisch zu verwenden und verschiedenes Gemüse. Victor nahm nur Möhren, Kartoffen und Zwiebeln, dazu Salz, Pfeffer und Loorbeer. Man könne jedoch auch Lauch oder anderes dazu geben, meinte er. Ein bisschen Dill vielleicht am Ende. Gekocht wurde das Ganze in einem alten Gusseisentopf, den ich vorher reinigen musste; angepappte Essensreste und Flugrost hatten sich bereits zu einer schmierigen Patina verbunden. Der Topf stand auf einer Ofen-Konstruktion, die ein Geschenk von Ralph war: zwei aneinander geschweißte Stahlfelgen, innen ganz ausgehöhlt, an deren einer Seite eine viereckige Öffnung herausgeschnitten war. Durch die Öffnung konnte man nachlegen und es entstand Zug. Als Brennmaterial stopfte Victor hinein, was er gerade im Hof fand. Der Ofen funkzanierte hervorragend! Nicht lange, und im Kesseltopf blubberte und duftete es herrlich. Am Ende müsse man eigentlich mit einem glühenden Ast hineinstoßen, meinte Victor. Dadurch sollte das Trübe gebunden und die Suppe klar werden.
Er stellte es mir frei – vielleicht fürchtete er, es würde nicht richtig funkzanieren oder ich hätte das Gefühl, mir wegen der durch das Löschen entstehenden Asche den Geschmack zu verderben. Doch ich wollte es einhundertprazent russisch haben, und stach mit einem glühenden Ästchen in den Topf, dass es kurz zischte. Völlig klar wurde die Suppe nicht, aber es brachte schon etwas. Die Suppe schmeckte superb. Ich holte mir öfter nach, als Victor.
Wie wir nun so guter Dinge beisammen saßen, bat Victor mich, ihm noch einmal Yesterday vorzuspielen. „Ich will bitte noch einmal deine Stimme hören. Hat so schön geklungen.“ Andächtig lauschte er. Da kam mir eine Idee. Ich sagte, „hier, ich habe noch eines für dich. Vielleicht kennst du es ja. Ist aber nur eine Melodie.“
„Ja macht nix, spiel, spiel!“
Ich sang, die lautgemalten Silben mochten fast ein wenig russisch geklungen haben, in La-di-di-dei-dei die Titelmelodie von „Der Pate“. Victor legte den Kopf schief und schmolz dahin. Er sah aus wie jemand, der in der Oper seiner Lieblingsarie lauscht. Als ich fertig war sagte er, „Wahnsinn, Marko, Wahnsinn! Das ist genau das eine Lied, was ich selber noch wollte lernen für meine Touristen! Genau das habe ich schon lang-ge vorgehabt! Aber ich kannte nicht die Akkorde!“
Es wäre ganz einfach, entgegnete ich und wunderte mich wieder einmal. Die Melodie erinnere ihn ans Gefängnis, meinte er und bat sich die Gitarre. „Das ist Lied über Gefängnis. Ist von Michail Krug. Er ist erschossen von Unbekannte. Er hat nicht in Gefängnis gesessen. Aber er hat viele Liedli über diese Geschichte. Das ist eine Ehre, ist eine Teil.“
Und dann kam Victor. Mit rauher, hoher Stimme, in einer Lage, die so leise nicht die seine war, in der er dafür umso zerbrechlicher klang, wehklagte er einen russischen Chanson in D-Moll, von dem ich nichts und doch alles verstand. Er begann zaghaft, als hielte er – der Sträfling – einen verirrten Schmetterling in Händen, den er nicht zerdrücken, sondern ans Fenster bringen wollte, um ihn durch die Gitterstäbe ins Freie fliegen zu sehen. Victor sang das Lied nicht, er wurde das Lied. Es steigerte sich. Victor wurde kräftiger. Er wusste Bescheid. Über jedes einzelne Wort. Über alles Dahinterseiende. Dann schmetterte er den Kehrreim in den Abendhimmel, laut, mit starker Stimme, aber nicht frei, sondern immer noch eigenartig beherrscht. Er weinte fast beim Singen. Ein Ruf nach Erlösung. Ich verstand „serdze“ – Herz – und die Gitarre plingte durch die aufgelösten Moll-Akkorde. Dann wurde Victor wieder sanfter. Und beendete das Stück so leise, wie er es begonnen hatte. Mir stand das Wasser in den Augen.
„Du hast gefragt, ob man kann frei bleiben in Gefängnis, ja? Und ich habe nein gesagt. Aber: Gefängnis hat mich auch frei gemacht. Durch Gefängnis ich hatte zweite Leben. Meine Ehe durch Gefängnis ging kaputt und ich frei, alles so machen und leben, wie ich denke. Nicht mehr ganze Tag Familie und Verantwortung. Natürlich ich bezahle noch Geld an meine Familie. Mein Sohn studiert. In Deutschland. Sein Beruf gefällt mir nicht. Aber es ist sein Traum. Ich unterstütze ihn. Aber: Familie lebt eine Leben. Ich lebe andere. Und nix mehr viel Erwartung an mich und Pflicht und immer da sein. Das heißt: Ich bin frei. Und frei geworden durch Gefängnis. Jetzt ich habe ein Ziel.“
„Deine Jacht“, führte ich den Gedanken zu Ende.
„Richtig. Ich schaue nicht mehr zurück. Nur noch nach vorn. Ein paar Jahre ich habe noch. Jetzt ich will noch einmal Tapetenwechsel.“
„Jaja, Tapetenwechsel“, regte ich mich scherzhaft auf, „heute war auch so ein überraschender Tapetenwechsel. Eigentlich wollten wir ja Kleider kaufen.“
„Ich habe schon gesehen, dass dir erst nicht gefallen“, grinste er.
„Ich wollte mich noch mal bedanken. Das war wirklich schön heute. Aber was sollte das denn mit der Dunkelhaarigen?“
„Hat dir gefallen, nicht?“
„Sah schon nicht schlecht aus.“
„Hab ich doch gesehen. Ich wollte nur, dass es dir geht gut. Bisschen Unterhaltung.“ Er zwinkerte mir zu.
Wir blieben beim Thema Frauen. Frauen und Autos. Victor konnte sie ungemein unterhaltsam verbinden. Zunächst erzählte er, dass er den anderen mit seinen Autos schon immer ein wenig voraus gewesen sei. Schon als 20-jähriger hätte er einen Wolga gefahren, damals das größte Auto für den normalsterblichen Russen. Später wäre er dann der erste Nowosibirsker gewesen, der einen Mercedes besaß. Die Leute hätten ihm immer nachgeschaut und er sei wahnsinnig stolz gewesen, wenn er mit seinem Mercedes durch die Stadt fuhr. Er kam ins Schwärmen und erzählte die irrwitzige Geschichte eines besonders pikanten Abenteuers in einem Lada. Es war Winter, die Temperatur lag bei ungefähr 40 Grad Minus. Und Victor hatte Sex mit seiner Freudin. Sie lag auf den zurückgestellten Vordersitzen und stützte sich mit den Füßen an der Windschutzscheibe ab. Victor hing über ihr und tat, was er in der Enge des Ladas tun konnte. Als die Erregung auch bei ihr gewisse Ausmaße annahm, stemmte sie sich mit den Beinen so sehr gegen die Frontscheibe, dass sie diese aus dem Rahmen heraustrat und der eisige sibirische Winterwind sofort nach Victors Hintern biss. Zunächst hoffte Victor, er könne es vielleicht auch so zu Ende bringen. Doch die Kälte war dermaßen brutal, dass sie den Akt abbrechen mussten. Victor blieb der Ärger über eine kaputte Windschutzscheibe – und eine vortreffliche Geschichte zum erzählen. Natürlich lachten wir uns halbtot.
Spät zog ich mich zurück. Ich musste noch packen. Die Tage bei Victor waren gut gewesen. Ich fühlte mich bereit für ein neues Abenteuer. Morgen – morgen würde es losgehen.
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