Ein Betrag von Stephan Gröne, der ursprünglich auf dessen Blog erschienen ist, aber den ich dann auch bei PP rebloggt habe, hat zu einer teilweise erhitzten Debatte geführt. Dabei verloren die meisten das eigentliche Anliegen des Beitrags, der sich um die Zensurpolitik von Facebook & Co drehte, schnell aus den Augen.
Was freilich nicht schlimm ist. Denn dadurch könnte von PP, das bei seiner Autoren- und Leserschaft den Spagat zwischen Atheisten und Katholiken, zwischen Trans- und Homosexuellen und Menschen, die große Schwierigkeiten mit dem öffentlichen Agieren von Teilen dieser Subkultur große Probleme haben, zwischen Linen und Rechten usw. wagt, zu einem neuen Ausgangsort für eine dringend öffentliche Debatte werde:
Die Entgegensetzung zwischen Genderkritikern auf der einen und Trans-. Homosexuellen sowie Travestiekünstlern auf der anderen Seite, ist viel zu pauschal und auch ungerecht. Sie ist von den Gender-Ideolgen aber bewusst so gewollt, um ihre Kritiker möglichst auseinander zu dividieren. Das sollten wir nicht zulassen! Daher veröffentliche ich hier den offenen Brief einer Gastautorin, deren Name, Anschrift etc. mir aber bekannt sind (David Berger).
Update: Inzwischen hat Stephan Gröne unserer Autorin geantwortet: „Warum wir Ice-Age-Familien brauchen- und Heterosexualität die Norm sein muss“.
Lieber Herr Gröne,
ich vermute mit Hass können Sie als Christ sowieso nichts anfangen, das ist Ihnen als Christ verboten. Aber wie wäre es mit „Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen“ oder „Du sollst nicht die Unwahrheit sagen“?
Um Ihre rethorische Frage zuzuspitzen, nämlich ob Sie ein Hassbotschafter sind, stellen Sie ausgerechnet ihre etwas antiquierten Ansichten zu Thema Geschlechtsidentität heraus: Ich persönlich verstehe die Obsession mancher, die sich als christlich verstehen, mit der Frage der Geschlechtsidentität überhaupt nicht.
Wovor fürchten Sie sich? Und warum sprechen Sie über etwas, wovon Sie ganz offensichtlich nicht den Hauch einer Ahnung haben? Um es gleich vorweg zu nehmen: es ist kein Hass, den Sie da verbreiten, es ist nur mindergebildet, auf dem Stand der Wissenschaft, wie er in den 50ern war. Sie können natürlich auch das heliozentrische Weltbild in Frage stellen, auch das ist kein Hass, aber es fällt natürlich auf Sie zurück, was Sie da so von sich geben.
Wäre es nicht besser, wenn Sie bereit wären Gottes Schöpfung so zu sehen, wie Sie ist, nicht wie ein paar Ideologen sie gerne hätten?
Für diesen Fall erlaube ich mir, Ihnen -und sie stehen mit ihrer Position, Gott sei es geklagt, ja nicht alleine da- einen kurzen Grundkurs in Sachen „Geschlechtsidentität“ zu geben. Zwangsläufig musste ich als transsexuelle Frau mich damit etwas intensiver befassen auf meinem Lebensweg.
Sie wollen „Mann oder Frau … – eindeutig an den primären Geschlechtsmerkmalen erkennen“. Na dann mal viel Spaß. Dafür müssen Sie nämlich ganz schön intim werden.
Vagina und Penis, Vulva und Hodensack – das geht ja noch, aber mit der Gebärmutter wird es ein bisschen schwierig, fürchte ich.
Und was machen Sie mit den Menschen, bei denen diese primären Geschlechtsmerkmale nicht ausgebildet werden? Googeln Sie doch bitte mal Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom.
Wieso sprechen Sie über etwas, von dem Sie so offensichtlich keine Ahnung haben?
Genetisch betrachtet gibt es tatsächlich viele Geschlechter. Ich will Ihnen heraushelfen.Sie stellen nämlich eigentlich nicht auf die sichtbaren Merkmale ab, sondern auf die Genetik. Unser Geschlecht, dachten wir, wird durch die Gene bestimmt. XX und XY entscheiden, ob wir Mann oder Frau werden. Das ist so auch richtig, aber nur in den Bereichen des Körpers, die von den Genen bestimmt werden.
Das genetische Geschlecht legt Vieles fest.
Ob wir eine Gebärmutter oder einen Hoden aus den gleichen Grundelementen ausbilden, ob unser Becken oder unsere Schultern breiter werden, ob unsere Beine im Verhältnis zum Rumpf kürzer oder länger werden. Aber wenn Sie glauben, das sei DAS Kriterium um das Geschlecht erkennen zu können, dann haben Sie ein Problem.
Das Sie das mit der katholischen Kirche gemeinsam haben, so viel sei Ihnen zum Trost gesagt. Wenn Sie an die Genetik als entscheidend für Geschlechtsidentität ansehen, dann gibt es nämlich tatsächlich sehr viele Geschlechter. Man bezeichnet das heute als Intersexualtität. Es sind Varianzen der Geschlechtschromosomen.
XXX, die Triple X Frau und der Klinefeltertyp XXY sind schon seit Jahrzehnten bekannt. Heute kennt man sehr viele weitere Varianten. Und die sind, nach Ihrer, jedoch nicht nach meiner, Definition unterschiedliche Geschlechter. Was Sie behaupten ist also inkonsequent.
Und wenn Sie es mit dem üblichen Versuch abwenden wollen, in dem Sie behaupten, das seien ja nur Mißbildungen, krasse Ausnahmen, dann sei Ihnen gesagt, dass das falsch ist und zudem kein gültiges Argument ist. Diese chromosomalen Geschlechtstypen existieren nachweislich und sind mit 1 von 1.000 Geburten auch gar nicht so selten. Das können Sie natürlich alles leugnen, wie jedes andere, wissenschaftlich beweisbare, Phänomen auch. Ich würde das nicht als Hass empfinden, aber schmeichelhaft wäre mein Urteil über Sie trotzdem nicht. Tut mir leid.
Geschlechtsidentität aus der Genetik?
Was sehr interessant ist: Sie stellen ausschliesslich auf die Genetik ab, wie es auch die kath. Kirche tut. Mit der grausamen Folge, dass uns transsexuellen Frauen und Männern bis in den Tod unsere Geschlechtsidentität verweigert wird. Selbst nach erfolgter Namens- und Personenstandsänderung begräbt uns die kath. Kirche, in einem Akt von Unbarmherzigkeit, unter unserem Geburtsnamen.
Selbst wenn wir schon Jahrzehnte ein gelungenes Leben unter unserem richtigen Namen geführt haben. Was können Menschen anderen Menschen nur alles antun?
Nur wer weiß, welchen langen und steinigen Weg wir bei unserer Selbstfindung zurücklegen, wie viele Schmerzen, Demütigungen und Krisen wir überwinden, um unsere Geschlechtsidentität zu finden, kann ermessen, welche Menschenverachtung in so einem Akt liegt.
Ich empfinde es zudem als höchst befremdlich, wenn eine Kirche, welche die Seele in den Mittelpunkt stellt und durchaus eine gewisse Nachrangigkeit in Punkto Körper an den Tag legt, hier so auf den Körper abstellt und die Seele eines Menschen negiert.
Das Gehirngeschlecht ist manchmal entgegengesetzt zum genetischen Geschlecht
Dabei könnte das Wahrnehmen der Schöpfung, wie sie ist, nicht wie manche sie gerne hätten, Sie aus diesem Dilemma befreien.
Die moderne Gehirnforschung, auch gerade bei Transsexualität, würde Ihre Fragen nämlich beantworten. Das männliche und weibliche Gehirne unterschiedlich arbeiten um gleiche Aufgaben zu erfüllen, weiß man auf vielen Bereichen. Es gibt aber noch mehr Erkenntnisse.
Die Gehirnstruktur wird nicht direkt aus der Genetik heraus bestimmt, sondern über die Hormonsituation in der Schwangerschaft.
Nun weiß man, dass die Ausdifferenzierung der Genitalien in den ersten zwei Schwangerschaftsmonaten stattfindet. Die Ausbildung des sog. Gehirngeschlechts aber erst in der zweiten Schwangerschaftshälfte.
Und somit wird klar, warum es transsexuelle Menschen gibt. Es ist, wenn Sie so wollen, eine Fehlentwicklung. Wenn Sie so wollen, können Sie das auch gerne als Behinderung ansehen, das macht es vielleicht leichter es zu verstehen. Aber leugnen Sie es nicht.
Das wird sowieso nichts helfen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in dieser Frage werden immer dichter und gegen das Bild von Gehirnaktivitätsmustern kommen Sie mit Bauchgefühl und unmenschlichen Dogmen auf Dauer nicht an. Denken Sie an Galilei.
Genderideologie und Genderkritiker vereint?
Dogmatiker (im weiteren, nicht theologischen Sinne) verhindern auch eine zügige Erforschung dieser Phänomene. Und diese Dogmatiker mögen Sie sicherlich nicht und das dürfte die erste Gemeinsamkeit zwischen uns beiden sein.
Es handelt sich nämlich um Genderideologen. Diese Gruppe hat, ähnlich wie Sie, das Problem, das transexuelle Frauen und Männer nicht in ihr Dogma der beliebigen Veränderlichkeit der Geschlechtsidentität passen.
Man hat uns als Gruppe auch schon zu Feinden erklärt, weil wir genaugenommen der Beweis sind, dass Geschlechtsidentität eben nicht veränderlich ist.
Wenn Geschlechtsidentität nicht zwischen den Beinen, sondern zwischen den Ohren entsteht und eine feste biologische Basis hat, dann ist sie eben nicht beliebig veränderbar. Uns war das schon lange klar.
Ob Penis oder Vagina, ob Testosteronhaushalt oder Östrogenhaushalt, nichts hat einen Einfluß auf unsere Geschlechtsidentität. Auch unsere Sozialisation kann das nicht ändern. Umerziehung, wie sie oft und mit grausamen Methoden versucht wurde, hat in keinem einzigen Fall die Geschlechtsidentität verändern können. Oder glauben Sie, man könne Ihnen Ihr Mannsein mit Elektroschocks aberziehen?
Lebensrecht transexueller Frauen und Männer
Hier in Deutschland leben wir nicht in idealen, aber in den besten Bedingungen, die wir transexuelle Menschen je hatten. Wir sind gesetzlich geschützt und die allermeisten Menschen unserer offenen deutschen und europäischen Gesellschaft begegnen uns mit Dingen, die konträr zu ihrem Standpunkt sind: mit Freundlichkeit, Offenheit und man könnte durchaus sagen mit Nächstenliebe. Hätten wir jetzt noch eine vernünftige medizinische Versorgung, möglichst aus einer Umwidmung von Haushaltsmitteln der Genderideologie und einige kleinere rechtliche Erleichterungen für unsere lange und schwierige Transitionsphase, dann wäre es ein Traum. Insobesondere vor der furchtbaren Situation unserer Brüder und Schwestern in vielen anderen Ländern dieser Welt.
Aber nochmal zurück zu Ihrer Frage. Nein, ich halte Sie nicht für hasserfüllt. Aber ist es wirklich erstrebenswert, Menschen abzuwerten, nur um die eigene Dogmatik nicht aufgeben zu müssen?
Ist es akzeptabel andere Menschen in ihrem tiefsten Innern, in ihrer Seele zu verletzen um den Preis einer sachlich unhaltbaren Behauptung? Ich habe es mir nicht ausgesucht eine transsexuelle Frau zu sein, so wie Sie es sich nicht ausgesucht haben ein Mann zu sein oder eine bestimmte Augenfarbe zu haben. Aber, wie die Meisten von uns: ich wäre lieber tot, als dazu gezwungen zu sein, etwas zu leben, das ich nicht bin.
Ja, ich habe einen genetisch bestimmten männlichen Körper, aber ich weiß seit der Teilnahme an einer Studie an einer Uniklinik auch, dass mein Gehirn tatsächlich weiblich ist. Unter einem CT sind bei mir die gleichen Regionen aktiv, wie bei jeder anderen Frau und komplett unterschiedliche Regionen zu Männern. Und solche Studien wird es immer mehr geben.
Nicht nur Hass tötet, auch Vorurteile
Abschließend möchte ich, da Sie vom katholischen Standpunkt aus argumentieren, noch erwähnen, was der Blogmacher von PP schreibt:
„Die Größe des von der aristotelisch-thomistischen Philosophie geprägten Katholizismus besteht gerade darin, dass er fides und ratio unter Wahrung ihrer Eigenheiten zur Urteilsfindung heranzieht, der immer gültige Glaube in einem steten Dialog mit den Profanwissenschaften seine ganze Schlagkraft entfalten kann und stets lebendig bleibt“ – An der Frage der Transsexualität könnte man dies schön durchexerzieren!
Aber neben der rein biologischen, wissenschaftlichen Argumentation will ich eigentlich auf etwas ganz Anderes hinaus. Wenn Sie auch nur einen Funken Mitmenschlichkeit verspüren, dann akzeptieren sie die Tatsache, dass wir ein normales, biologische begründetes Phänomen sind und nehmen uns nicht noch mehr unserer Menschenwürde.
Wir wurden in der Vergangenheit als Monster, als psychisch krank und Vieles mehr eingestuft. Von Menschen, denen Wissen und Barmherzigkeit fehlten. Damit muss endlich Schluss sein. Zumindest das Wissen ist heutzutage vorhanden. Die Barmherzigkeit ist eine Entscheidung jedes einzelnen Menschen, wie er oder sie uns begegnet.
Wir haben mit der Diskrepanz unserer Körper zu unserem Denken und Fühlen einen Lebensweg, der wahrlich schwer genug ist. Sich damit auszusöhnen, ist ein langer und schwieriger Prozeß. Vielleicht ähnlich wie bei Menschen, die sich nach einem Unfall oder einem Schlaganfall mit ihrer Behinderung aussöhnen müssen.
Auch bei einer Behinderung trifft das Denken und Fühlen den Menschen auf einen Körper, der das nicht (mehr) kann. Das Letzte was wir brauchen, sind Menschen, die sich ohne jede Kenntnis herabsetzend über uns äußern und dadurch alte Vorurteile am Leben erhalten. Denn nicht nur Hass ist ein Problem, auch ein Mangel an Mitmenschlichkeit ist es.
Und abschließend noch eine kleine Randbemerkung, die noch einmal auf den Kern Ihres Beitrags zurückkommt und um nicht missverstanden zu werden:
Obwohl ich ihre Position falsch bzw. wissenschaftlich widerlegt und für den gesellschaftlichen Frieden problematisch finde, kämpfe ich – wie David Berger, der den Artikel mit genau diesem Motivationshintergrund rebloggt hat, auch – dafür, dass sie diese Meinung in unserer Demokratie vertreten können müssen.