Sonntag, 24. November 2024

Beispielloser Niedergang: Verdientes Ende der einstigen Volkspartei SPD

Ein Gastbeitrag von Peter Helmes

Die SPD hat bei der gestrigen Bundestagswahl mit 20,6 % ihr schlechtestes Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt eingefahren: Wechselnde Kanzlerkandidaten, kein klar erkennbares politisches Konzept, schwindende Mitglieder- und Wählerzahlen: Die SPD macht seit Jahren nahezu alles falsch. Keine Frage: Die SPD hat ihre Orientierung verloren, weil sie ihre Wurzeln („Arbeiterklasse“) verloren hat.

Die Stammwähler sind der SPD schon in der Vergangenheit in großen Scharen abhandengekommen. Zwischen 1998 und 2009 hat sie fast elf Millionen Stammwähler, also Wähler verloren. Und die zurückzuholen, ist ungemein schwierig – wie auch das heutige Ergebnis zeigt.

Die SPD hat nichts aus den Koalitionen 2005 und 2009 gelernt, als sie keine gute Rolle als Juniorpartner in einer Großen Koalition spielen konnte. Sie hat auch diesmal kein Reformkonzept vorgelegt, das langfristig Aussagen über die Politik der SPD möglich gemacht hätte. Und sie hat außerdem keine realistische Machtperspektive gehabt. Sie müßte sich erst einmal darüber klar werden, wozu die Partei noch gebraucht wird, erst recht, wenn sie Koalitionen eingehen will/muß.

Der beispiellose Niedergang der SPD

Kein Zweifel, die SPD befindet sich in einer (selbstverschuldeten!) schweren Krise und ist längst zu einer kleinen und mittelmäßigen Partei geschrumpft: Die Sozialdemokraten können nicht einmal mehr bei ihren traditionellen Themen wie soziale Gerechtigkeit, Arbeitsmarktpolitik oder Immigration punkten. Die Grundlage ihrer Basiswähler scheint zu erodieren.

Es gibt einen strukturellen Vorteil für die Unionsparteien, für die Parteien der Mitte und rechts von der Mitte. Die SPD hat es nur 1972, 1998 und 2002 geschafft, stärkste Partei zu werden, 2002 schon mit erheblicher Mühe und Anstrengung – längst vergangene Zeiten, wo man auch von einer echten Großen Koalition von ungefähr zwei gleich großen Parteien reden konnte.

Aber wir können seit 2013 eigentlich nur von einer schwarz-roten Koalition reden, weil die Unterschiede – das sind 15, 16 Prozent gewesen – tatsächlich signalisieren, es gibt nicht zwei große gleichmäßige. Das soll nicht heißen, daß sich die Verhältnisse nicht ändern können. Mittelfristig betrachtet ist der (Ab-)Weg der Union so gut wie vorgezeichnet. (m rechten Rand ihres Wählerpotentials erlebt sie das bereits.

Als Korrektur hat die SPD versucht, sich mehr an die Mittelschicht anzunähern. Der kurzfristige Erfolg damit ändert aber nichts an den tatsächlichen Problemen und führt zusätzlich noch zur Spaltung der Partei. Der linke Flügel muß seinen Einfluß zum Teil an die ultralinke Partei, die Linke, abgeben.

Das Image als Kämpfer gegen die rechtsradikalen und rechtspopulistischen Kräfte – eh schon immer ein schwaches Etikett – greift nicht so recht und wurde durch die Linke und vor allem die Antifa unterlaufen.

Damit ist heute für die SPPD kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Hängenblieb – siehe Hamburg – daß der SPD Mitverantwortung für die linksextremistischen Ausschreitungen angelastet werden darf, ein böser Vorwurf, der an der Partei nagt.

Martin Schulz – der Kandidat, bei dem viele Wähler alsbald an der Kanzlertauglichkeit zweifelten – und ein wirrer Themenmix führten aller Wahrscheinlichkeit nach zu diesem Ergebnis. Hinzu kam, daß Pleiten, Pech und Pannen seinen Wahlkampf von Beginn an begleiteten.

Es hat sich als Nachteil herausgestellt, daß er (Schulz) sich in der Innenpolitik nicht so gut auskannte, daß er den Amtsbonus von Merkel überhaupt nicht ausgleichen konnte, daß er nicht ausreichend Solidarität in der Partei gefunden hat. Wenn die Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ihm bedeuteten, er möge doch bitte ihre Wahlkämpfe nicht stören, sie wüßten schon selbst, was gut ist – na ja, sie haben ja auch die entsprechenden Ernten eingefahren –, dann spricht das Bände über den Umgang in dieser einst „solidarischen“ Partei und über ihre (Miß-)Achtung des Kanzlerkandidaten.

Es hätte mit einem überzeugenderen Kandidaten und einem eigenständigen Programm in früher Abgrenzung von der Amtsinhaberin auch anders ausgehen können. Aber soweit sind die Sozis noch nicht. Ihnen fehlt(e) auch der richtige Hunger nach der Macht. Man hat sich halt in den Minister- und Staatssekretärs-Sesseln bequem gemacht. Schulz fehlte nicht nur Fortune, sondern auch der Wille, aus seiner europapolitischen Erfahrung Kapital zu schlagen.

„Gerechtigkeit“ – ein absolut verfehltes SPD-Thema

Ausgerechnet beim Thema „Gerechtigkeit“ – ein thematisch ausgelutschter Sozi-Hut, aber dennoch von Schulz reanimiert – hat heute die SPD ein Glaubwürdigkeitsproblem von nicht geringer Bedeutung. Natürlich gibt es Ungerechtigkeiten in Deutschland zuhauf, aber viele, vor allem im Sozialbereich, werden der SPD zugeschoben, die das Copyright – und damit die Verantwortung – für die „Agenda 2010“ (Hartz IV) trägt, die nach landläufiger Auffassung für alle Ungerechtigkeiten verantwortlich ist.

Verstärkt wird dieses Phänomen – aber nicht nur in der SPD – durch den Eindruck, für Flüchtlinge sei jede Menge Geld da, für die Zurückgebliebenen jedoch nicht.

Und da die SPD zudem auch noch in dem Geruch steht, wäre sie an der Macht, würde sie noch mehr Flüchtlinge aufnehmen, verstärkt sich die öffentliche Wahrnehmung bis in die Tiefen der Arbeiterschaft von der „ungerechten SPD“.

Außerdem haben die Sozialdemokraten im Vorfeld des Wahlkampfes nicht mal versucht (oder es versäumt) zu erklären, was „Gerechtigkeit“ bedeuten soll. Klingt ja gut: „soziale Gerechtigkeit“. Und täglich grüßt das Murmeltier St. Martin – ohne allerdings schlüssig zu erklären, was denn „Gerechtigkeit“ bedeutet. Sehr bald spürte die SPD, daß ihnen „die Wählerinnen und Wähler“ auf diesem Feld nicht folgen (konnten).

Wie kann man einem gut verdienenden Facharbeiter erklären, daß er wegen einer (angeblichen) Schieflage der sozialen Gerechtigkeit sein Einkommen schmälern und etwas an – ebenso undefinierte – „Bedürftige“ abtreten solle, geängstigt von dem Urtraum der SPD von einer „Umverteilung der Vermögen“. Sobald jemand etwas mehr verdient als der Durchschnitt, wollen die gutmenschlichen Sozis ihm einreden, sein Einkommen sei ungerechtfertigt hoch. Platt ausgedrückt: „Wir sind alle gleich und treffen uns beim Sozialamt…“

Was die SPD nicht kapiert – und zu falschen Schlüssen verleitet: „Ungerechtigkeit“ ist die andere Seite der Medaille namens Fleiß, Erfolg Ausdauer und Bildungsbereitschaft. Wer mit Fleiß mehr erreicht als andere, gehört nicht an den Pranger, sondern gelobt! Und außerdem: Eliten gehören zum unverzichtbaren Wesen einer Marktwirtschaft – offensichtlich eine für Sozialdemokraten schmerzliche Erkenntnis.

Die SPD hat die Orientierung verloren

Die SPD muß nach mehr als 150 Jahren um ihr Image, ja ihr Überleben als Volkspartei bangen. Der Abstand zu den Kleinparteien ist wieder einmal geschrumpft, wurde gegen früher gar halbiert. Ihr neuer, begeistert empfangener Vorsitzenden Schulz desorientierte seine Partei durch sprunghafte Wechsel der Themen – Motto: „Haben Sie ein Problem? Wir lösen das!“ – „Als Kanzler werde ich…“ – und wieder jagt ein Versprechen das andere. Das ist einer seriösen Partei unwürdig. Und das ist gewiß nicht der Ton, der dem früheren Stammwähler der SPD zusagt.

Schulz erklärte in seiner jüngsten Rede beim DIW, „Migration“ sei „ein selbstverständlicher Begleiter unserer Geschichte“, und Deutschland sei ein „Land der Vielfalt“. An seiner Seite steht als Stellvertreterin im Parteivorstand eine türkischstämmige Dame, die – ohne jeden Widerspruch von Schulz – den Deutschen eine eigene Kultur abspricht. Das nährt den alten Vorwurf: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“

Sozial geht nicht mit „offenen Grenzen“ für jedermann. Man kann entweder offene Grenzen oder einen Sozialstaat haben. Alles andere ist sozialistische Träumerei – von Bessermenschen für ein Paradies auf Erden für jeden.

Eine echte Arbeiterpartei hätte die Brisanz dieses Themas erkennen müssen und der Freizügigkeit klare Grenzen gesetzt. Globalisierung ist nicht der Freund des kleinen Mannes.

Die Arbeiterklasse ist derweil abgehauen zur AfD.

Nun aber – wie verblendet! – versuchen etliche SPD-Führungskader, der CDU allein die Schuld zuzuschieben. Das zeigt zweierlei: Ihre eigene Vergessenheit und ihre Feigheit, sich zu bekennen. Die Wähler fühlen sich genasführt, wenn eine gestandene Partei sie wie Kinder behandelt. Denn gerade die SPD trägt Mitschuld an dem Flüchtlingsdebakel. Die Sozis trugen damals nicht nur die Grenzöffnung ohne Widerspruch mit. Sie gaben Merkel sogar Rückendeckung gegen Angriffe von CSU und aus Teilen der CDU. Nicht nur das! Bürgern (und Politikern), die vor den Problemen der Flüchtlingspolitik nicht die Augen verschlossen, traten sie ans Schienbein und verunglimpften sie sogar. Da fühlen sich alte Sozialdemokraten nicht mehr wohl.

„Wer also ist schuld an dem Desaster? Schulz jedenfalls nicht, der kann es nicht besser, wie wir gesehen haben. Also die SPD? Kann man auch nicht sagen. Im Grunde war im Willy-Brandt-Haus allen klar, dass man die Merkel diesmal sowieso noch nicht wegbekommt. Der Form halber musste aber irgendein armer Tropf her, der die rote Schießbudenfigur macht und mit der Verantwortung für die Niederlage nach Hause geht, damit die eigentlichen SPD-Parteigranden auch nach dem unvermeidlichen Fiasko am Wahltag kratzerlos weiterglänzen können.

In so eine Falle tappt natürlich bloß jemand, der nicht nur keinen Schimmer vom wirklichen politischen Gemetzel hat. Er muss zudem dermaßen von sich überzeugt sein, dass er glaubt, alles zu können. Martin Schulz erfüllte auch die zweite Anforderung bis aufs I-Tüpfelchen…“

(Der Wochenrückblick mit Hans Heckel, PAZ, 09.09.17)

„Martin Schulz war nach der Saarland-Wahl mehrere Wochen bundespolitisch verschwunden, anstatt Merkel mit Forderungen und Vorschlägen vor sich her zu treiben. Er folgte dabei dem Rat von Hannelore Kraft, was ein schlechter Rat war. Dadurch wurde der Abwärtstrend beschleunigt. Hinzu kamen die Wahlniederlagen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Ein weiterer Fehler von Schulz war, dass er die Macron-Euphorie nicht ausgenutzt hat für eine eigene, überzeugende Europa-Kampagne. Er hätte an der Spitze der deutschen Europa-Demonstrationen stehen müssen.“

Zur Unzeit kam für die Sozialdemokraten auch noch die Debatte um die Kreml-Kontakte von Gerhard Schröder hinzu. Zwar hat sich die Parteispitze von ihrem Altkanzler distanziert. Aber für die SPD dennoch ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Für die SPD gilt der alte Fußballer-Spruch: „Erst hatte man kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu.“ Schröder verhagelte den eh schon verkorksten SPD-Wahlkampf zusätzlich. Diese Unterwerfung Schröders unter Putins wirtschaftliche und politische Interessen schadete der SPD im Wahlkampf noch mehr, als befürchtet. Die halbherzige Distanzierung durch Martin Schulz reichte da nicht aus.

Ein weiteres: Merkel ist eine Meisterin der Camouflage. Sie versteht es – besonders in Wahlkämpfen, Konflikten auszuweichen, und versucht stets, nicht die Wähler der Gegenseite zu mobilisieren („asymmetrischer Demobilisierung“). Das heißt, es geht weniger darum, die eigenen Wähler zu mobilisieren, als vielmehr darum, die Gegenseite zu demobilisieren. Diese Strategie behielt sie erst recht bei diesem Bundestagswahlkampf bei. Frau Merkel zu stellen, ist wie der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Da lief der Schulze immer wieder gegen eine Gummiwand.

Der Wahlkampf – insbesondere der der SPD – war zu sehr auf die Gegenwart bezogen. Die SPD führt mit ihrem Thema soziale Gerechtigkeit einen Status-Quo-Wahlkampf – den obendrein kaum jemand verstand.

Sie will die Lage von Unterprivilegierten verbessern. Nichts dagegen, das ist aber eben kein Zukunftswahlkampf. Wir leben in einer Welt mit riesigen Umwälzungen. Keiner weiß, ob Jobs zukünftig noch sicher sind, ob uns die Computer bald überrollen. All die Fragen, die den Menschen auch Angst machen, spielten im Wahlkampf überhaupt keine Rolle. Es wurde nicht über die Zukunft Deutschlands gestritten. Wo soll Deutschland im Jahr 2030 stehen? Was ist der Plan für die Zukunft? Was sind Chancen und Risiken für junge Leute? Bei der SPD (wie bei der CDU) Fehlanzeige!

Es gelingt insbesondere der SPD seit Jahren ganz offensichtlich nicht, Unzufriedenen und sozial Benachteiligten, von denen es genügend gibt, eine Alternative anzubieten und sie „einzufangen“ – trotz Gerechtigkeitskampagne, die damit ins Leere läuft.

Was die SPD nicht verstanden hat (und wohl auch nicht versteht): Soziale Gerechtigkeitsfragen spielen zwar eine Rolle, aber hinzu kommen eben auch soziale Sicherheitsfragen, bei denen eher bei der Union Kompetenz vermutet wird. Zudem hat es die SPD bislang nicht geschafft hat, auch für soziale Aufsteiger etwas Attraktives anzubieten und insbesondere ein Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln – also ein Thema zu haben, mit dem man glaubt, auf jeden Fall mit der SPD nach der Wahl besser bedient zu werden. Das ist aber nicht wirklich erkennbar.

Insbesondere mit dem neuen „Heilsbringer“ Schulz wurden (viel zu viele) Hoffnungen verbunden.

Man war neugierig auf die Person. Aber weder Schulz selbst noch seine Partei haben ein Alleinstellungsmerkmal gefunden, für das sie identifizierbar stehen könnten. Es waren lediglich Reparaturarbeiten am Wohlfahrtsstaat, die die Große Koalition unter Beteiligung bzw. auf Anregung der SPD vorgenommen hat, die aber nicht wirklich der SPD zugeschrieben wurden. Auch da ließ Merkel keinen Spielraum.

Fazit: Die SPD kann es einfach nicht. Der einzige, der es vielleicht konnte, hieß Gerhard Schröder. Aber der war Sozi nur in seinem Lebenslauf. Im Herzen ist er ein Kapitalist – und ein Opportunist.

Der Kandidat Schulz war (und ist) ein Blender – wie so oft in der Politik, verdeckt seine (gute) Rhetorik seine Schwächen. Die SPD kann jetzt wohl mit der Planung für 2021 beginnen – aber nach einem gründlichen programmatischen „Kassensturz“ und mit einem seriösen Kandidaten. Die notwendige Erneuerung der Programmpartei SPD wird sehr schwer zu bewältigen sein und eine charismatische Führungsperson benötigen, da sie traditionell in der Gefahr steht, sich in ideologischen Debatten zu verzetteln (oder zu zerfleischen).

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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