Merkel wird gar nicht so schnell gucken können, wie Lindner koalieren will. Ein Gastbeitrag von Jaklin Chatschadorian
In der letzten Legislaturperiode hatte die FDP viele Fehler gemacht, die ihm der Wähler mit dem Auszug aus dem Deutschen Bundestag 2013 dankte. Seitdem erfindet sich die Partei der Freien Demokraten jeden Tag neu – und so wundert es nicht, dass man für die kommende Bundestagswahl in wenigen Wochen auch die Bundesrepublik „Neu Denken“ will.
Was bedeutet „neu“? Ist der FDP die Sanierung so gut gelungen, als dass diese nun auch Deutschland „neu denken“ kann? Oder ist sie in einer neuen Startposition und eröffnet dem Wähler neue Kombinationsmöglichkeiten bei der Koalitionsfindung?
Hauptmotiv: GroKo verhindern
„Die Wahl der FDP ist die Möglichkeit des Wählers die allseits unbeliebte Große Koalition und damit die Fortsetzung der aktuellen Politik zu verhindern.“
Dabei wird übersehen, dass die Verhinderung einer großen Koalition allein nicht reichen kann. Den Ist-Zustand haben wir schließlich der führenden CDU zu verdanken. Die Mär, dass bestimmte Entscheidungen mit der SPD nicht zu machen waren, darf nicht hingenommen werden.
Die CDU-Vorsitzende präsentiert eine sozialdemokratische, zuweilen grüne Politik und höhlt konservative Inhalte der eigenen Partei aus. Wer hier für eine Richtungsänderung sorgen will, darf nicht nur die „GroKo“ verhindern, er muss mutigen Schrittes für eine starke Opposition sorgen.
Die Verhinderung der großen Koalition bedeutet zwar, die SPD in die Opposition schicken. Aber welchen Widerstand wogegen dürften wir von der SPD erwarten?
Welche Positionen der FDP unterscheiden sich von aktuellen schwarzroten Überzeugungen?
Der Wille, Steuern zu senken, wird bei der FDP seit jeher groß geschrieben. Gleichwohl betont man gern, dass es gerade die Wunschpartnerin CDU ist, die sich hier am ehesten querstellt. Neue Argumentationen, wie man die wohlfeile Forderung nach Steuerentlastung und Steuervereinfachung verwirklichen will, oder wie man die CDU zu überzeugen will, sind nicht ersichtlich.
Hat die FDP eigentlich neue, eigene Antworten auf die größten Herausforderungen unserer Zeit?
Stichwort Flüchtlinge / Migration
In der Flüchtlingspolitik ist sie für den Familiennachzug syrischer Flüchtlinge, die bereits hier sind. Gleichzeitig ist sie für den nur vorübergehenden humanitären Schutz von Flüchtlingen. Syrer sind Kriegsflüchtlinge. Will man wirklich den vielen jungen Männern aus Syrien ihrer Familien vorübergehend hierherholen? Hat die FDP mitbekommen, dass große Teile Syriens bereits befriedet sind? Ist also dieser Standpunkt neu oder nur widersprüchlich, um jedem Wähler das passende zu liefern?
Die FDP will ein modernes Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Ein neues Einwanderungsgesetz kann aber nicht neben dem alten Asylgrundrecht existieren. Qualifizierte Einwanderung in die Bundesrepublik ist bereits mit der „Blue Card“ möglich. Mit der Öffnung einer neuen Tür kann man die Zuwanderung nicht reduzieren. Mehr noch: Sie fordert ausdrücklich „Keine Obergrenzen für Flüchtlinge“.
Wie will man die beim Wähler populäre Forderung, EU-Außengrenzen zu schützen, verwirklichen, wenn man gleichzeitig alle, die Asyl rufen, erstmal durchlässt? Ist es dann wirklich noch von Bedeutung, ob Frontex oder die Türkei die EU-Außengrenzen bedient?
Steht die FDP wenigstens für eine gute innereuropäische Nachbarschaft? Wie will sie an dieser Stelle mit den Zuwanderern, denen die deutsche Kanzlerin Einlass gegeben hat, umgehen? Sie will ebenso wie die SPD „Solidarität“ erzwingen. Länder, die sich der Aufnahme von Asylantragsstellern mit Bleibeperspektive verweigern, sollen in einen Fonds einzahlen müssen. Der Fonds soll wiederum Aufnahme- und Grenzstaaten außerhalb der EU bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise finanziell unterstützen.
Das würde bedeuten, dass wenn Ungarn oder Polen sich weigern, junge Männer aus Afghanistan, Syrien oder dem Maghreb aufzunehmen, obwohl gerade hier in der Bundesrepublik und in Frankreich diese Gruppen besonders destruktiv auffallen, die unter dieser Destruktivität leidenden zwei G7-Staaten von den wirtschaftlich schwächeren Freunden in Europa Unterstützung erhalten.
Wäre es nicht besser, wir kontrollierten unsere EU-Außengrenzen wirksam und ließen jene, die nun keiner, also auch nicht wir selbst, haben will, einfach nicht rein? Solidarität, die zur Selbststörung auffordert, ist keine. Es ist die Missachtung der Souveränität eines Staates.
Stichwort Türkei
Die FDP will die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beenden, die SPD auch und die CDU ist gegen Beitrittsgespräche mit der Türkei. Alle drei Parteien unterschlagen dem Wähler, dass sich vorerst in der Beziehung Türkei – EU nichts ändern wird und dass ein deutscher Standpunkt in der EU nicht über die Notwendigkeit einer einstimmigen EU-Entscheidung hinweghilft.
Zudem erwartet die estnische EU-Ratspräsidentschaft jedenfalls in diesem Jahr keine Entscheidung mehr über die Zukunft der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Dies sagte Estlands Außenminister Sven Mikser, dessen Land noch bis Jahresende die Arbeit auf EU-Ebene organisiert vor wenigen Tagen in Tallinn.
Stichwort Integration
Wie sieht es bei der FDP mit der Integration der sich in Deutschland befindlichen Bestandsmigranten und neu eingereisten Flüchtlinge aus? Vor einiger Zeit hatten man zu diesem Thema nur Spott zu bieten: „Wir meinen, dass es eine nette Geste wäre, in Paris nach Croissants statt nach Schrippen zu fragen.“ (Wahlplakat 2012, FDP Berlin).
Zur aktuellen Integrationspolitik und den bereits vorhandenen Problemen mit der Bestandsmigrantschaft hört man von der neuen FDP aber auch nichts. Hingegen wollen die Freien Demokraten, dass die doppelte Staatsangehörigkeit grundsätzlich ohne Entlassung aus der alten Staatsbürgerschaft möglich ist. Auch soll die Einbürgerung nicht nur Ziel, sondern auch Motivation zur Integration sein. Die doppelte Staatsbürgerschaft soll damit, wie bisher auch durch Geburt in Deutschland (im Vorfeld eines Integrationsprozesses) erworben werden können. Neu ist in diesem Programmpunkt also nicht unbedingt gut.
Integration durch Sport taucht zwar im Programm der FDP auf, aber dass Sport die Lösung unserer Probleme im Bereich Integrationsverweigerung bieten soll, wäre tatsächlich neu. Mit anderen Worten:
Die FDP hängt hinterher, wenn sie Integration nur positiv formuliert ohne gleichzeitig den Kräften, die sich aktiv gegen eine Integration positionieren, den Kampf anzusagen.
Es reicht nicht, AfD-Positionen marketinggerechter umzuformulieren, ohne Gefahren und Gefährder konkret zu benennen. Über den „Zentralrat der Muslime“ sagte Lindner (2016), dieser dürfe nicht nur der Anwalt der muslimischen Gläubigen sein, sondern solle auch stärker Anwalt unserer gemeinsamen Gesellschaft werden. Wusste Lindner nicht, von wem er diese Anwaltschaft verlangt oder unterschlägt er sein Wissen, um nicht in unpopuläre, „populistische“ Positionen einzunehmen?
Der „Zentralrat der Muslime“ vertritt die „Islamische Gemeinschaft Deutschland“ e.V., welche als verlängerter Arm der Muslimbrüderschaft gilt und er vertritt die ATIB – die „Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa“ e.V, den Herd der türkisch-rechtsextremen Grauen Wölfe.
Kann man also von Islamisten und Nationalislamisten (türkisch-nationalistische Islamisten), die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, ernsthaft verlangen, gemeinsamer Anwalt einer integrativen, freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zu sein? Allein diese – bis heute nicht revidierte, nicht kritisch betrachtete – Stellungnahme entnimmt jeder, durchaus wohlklingenden Ansage der FDP gegen Islamismus und Terrorismus ihre Glaubhaftigkeit.
Zudem spricht man sich bei der FDP für eine Gleichbehandlung aller Religionen aus. Was so weltmännisch klingt, bedeutet in der Umsetzung Gefahr, etwa wenn es um die Anerkennung bestimmter islamischer Verbände (Zentralrat der Muslime, DITIB, IGMG, VIKZ) als Körperschaft des öffentlichen Rechts samt Privilegienbündel geht.
Ähnlich ist es beim Thema innere Sicherheit. Effizientere Kontrolle der Sicherheitsbehörden, keine Vorratsdatenspeicherung, keine anlasslose Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Daten als Forderungen im Wahlprogramm und gleichzeitig Plakate, die nach besserer Beleuchtung in Parks rufen. Wird hier der Wähler nicht hinters Licht geführt?
To cut a long story short: Eine Partei, die sich nur auf populäre Schlagzeilen beschränkt und bei näherem Hinsehen Widerspruch offenbart, muss das Neue noch zu Ende denken.
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Zur Autorin: PP-Artikel
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