Donnerstag, 21. November 2024

Der 9. November im Wechsel der Epochen

Zum Kampf um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Einheit von der Französischen Revolution bis zur Öffnung der Berliner Mauer. Ein Essay von Herwig Schafberg 

„Man kann die Geschichte einer europäischen Nation… nicht erzählen,ohne zugleich das ganze Europa im Auge zu haben; man kann die Geschichte Europas nicht erzählen, ohne die Einheit des Gegenstandes in nationale Vielheit zerfallen zu lassen und aus ihr wieder zur Einheit zu sammeln“ (Golo Mann)

1789 begann die Französische Revolution, die das ancien régime in Frankreich stürzte und darüber hinaus die politische Landkarte in ganz Europa veränderte. Als der dritte Stand, der das Bürgertum repräsentierte, sich zur Nationalversammlung erklärte, begann sie und ging weiter mit dem Sturm des Pariser Lumpenproletariats auf die Bastille, dem Bauernaufstände in weiten Teilen des Landes folgten.

Zu den propagierten Idealen der Revolution gehörten Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die weit über die Grenzen Frankreichs hinaus in Europa Anklang fanden.

Man hätte das Wort „Brüderlichkeit“ allerdings auch gut durch „Männlichkeit“ ersetzen können; denn die Frauen blieben im Laufe der revolutionären Fortschritte auf der Strecke und wurden übergangen bei der Einnahme der Positionen, die der Bürger im Ringen mit dem ancien régime des Adels erfolgreich für sich in Anspruch nahm.

declaration_of_the_rights_of_man_and_of_the_citizen_in_1789In dem Männlichkeitskonzept, das sich seit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Frankreich, von dort aus in ganz Europa durchsetzte und den militarisierten Mann zum Schutze von Frau und Familie, Volk und Vaterland vorsah, war für Frauen ebenso wenig Platz wie für homosexuelle Männer. Waren Letztere bis dahin nach christlichem Verständnis „Sünder“ gewesen, denen man immerhin bußfertige Abkehr zutraute, wurden sie im 19. Jahrhundert von Pseudowissenschaftlern zu einem dritten Geschlecht erklärt und so „entmannt“.

Nach der Beseitigung der alten Ständeordnung in Frankreich sowie in anderen Ländern Europas gehörte dieser Sexismus ebenso zur Neuorientierung sowie Identitätsfindung in der bürgerlichen Gesellschaft wie Nationalismus und Rassismus, die es Juden, Schwarzen oder sonstigen ethnokulturellen Gruppen schwer oder gar unmöglich machten, bei dem einen oder anderen „Volk von Brüdern“ Aufnahme zu finden. Waren die Juden Jahrhunderte lang kollektiv als „Mörder Christi“ verfolgt worden und von der christlichen Ständeordnung ausgeschlossen gewesen, wurden sie nun zwar vor dem Gesetz mit Nichtjuden gleichgestellt (1790), aber ähnlich wie Schwarze und andere Minderheiten unter nationalen oder sogar rassischen Gesichtspunkten als Fremde angesehen.

In sexueller und ethnokultureller Hinsicht konnte also von Gleichheit sowie Brüderlichkeit nicht ohne Vorbehalt die Rede sein.

In sozialer Hinsicht mangelte es ebenso an Gleichheit. Gewinner der Französischen Revolution waren Bauern und mit ihnen die große Mehrheit der Volkes, allen voran das sozial arrivierende sowie politisch dominierende Bürgertum, das sich von den Fesseln der alten Ständeordnung befreit hatte, zu reichlich Besitz gekommen war und seine Besitzrechte sichern wollte – nicht so sehr gegen den Landadel, der längst entmachtet war, sondern viel mehr gegen das städtische Proletariat, das bei der Verteilung der Beute übergangen worden, demgemäß recht unzufrieden war und von den Besitzenden als bedrohlich empfunden wurde.

Deshalb wurden gewerkschaftliche Zusammenschlüsse verboten (1792) – noch bevor das im vergleichsweise hoch industrialisierten England geschah (1799) – und das Aufbegehren der verarmten Proletarier schließlich mit Waffengewalt unterdrückt (1795). Dabei tat sich der junge Artilleriegeneral Napoleon Bonaparte hervor, der sich so für die französische Bourgeoisie unentbehrlich machte. Dieses aufsteigende Bürgertum dachte voller Grausen an den Terror, der zeitweise von der Straße ausgegangen war, und an das

Schreckensregiment der Jakobiner, die sich als Anwälte des unruhigen „Straßenpöbels“ verstanden hatten. Und diese Bourgeoisie sehnte sich nach einem starken Mann, der ihr die Ruhe und Ordnung garantierte, die sie zur Wahrung sowie Vermehrung ihres Besitzes brauchte; denn das war ihr letzten Endes wichtiger als hehre Ideale von Gleichheit und Brüderlichkeit, aber auch von Freiheit, gegen deren Einschränkung sie nichts hatte, solange sie dafür Sicherheit erhielt.

Es war am 9. November 1799, als Napoleon Bonaparte die Macht in Frankreich ergriff, um die neue Ordnung zu stabilisieren, die im Laufe der Französischen Revolution entstanden war.

In der Tat erfüllte Napoleon Bonaparte als 1. Konsul und dann als Kaiser die Erwartungen, die in ihn gesetzt worden waren. Er garantierte Ruhe und Ordnung im Innern und trug mit seinen Kriegszügen in Deutschland, Italien und Spanien nicht bloß die Ideale der Revolution über die bisherigen Grenzen Frankreichs, sondern erschloss dort auch Absatzmärkte für französische Waren.

napoleon_-_2Doch er war keineswegs Nationalist, sondern dachte über nationale Beschränkung hinaus an ein Europa mit einer einheitlichen Währung, Gesetzgebung sowie Rechtsprechung. Und die Verbreitung des Code Civil, eines bürgerlichen Gesetzbuches, fand ebenso grenzüberschreitend Sympathie wie zuvor die Erklärung der Menschen- sowie Bürgerrechte. Napoleon hätte mit der Schaffung einer Zone des Friedens und des Wohlstands in großen Teilen Europas, vielleicht auch des Orients ein neuer Caesar werden können, wenn es den Fürsten der alten Ständestaaten nicht schließlich gelungen wäre, die jungen Nationalbewegungen ihrer Staaten in der Ablehnung französischen Hegemoniestrebens hinter sich zu scharen und die Realisierung von Napoleons Vision eines vereinten Europa im „Befreiungskrieg“ zu verhindern (1813-1815).

Nach diesem Krieg wurde auf dem Wiener Kongress eine Friedensordnung geschaffen, die dauerhaft Bestand haben sollte. Man nannte es „Restauration“; es wurde aber nicht das vorrevolutionäre Europa wiederhergestellt, sondern das napoleonische unter den Siegermächten aufgeteilt. Zwar wurde kein Volk gefragt, zu welchem Staat es gehören wollte, anders als nach dem ersten und zweiten Weltkrieg jedoch keine Volksgruppe vertrieben.

Zur Bestandssicherung wollten die Kaiser von Russland sowie Österreich und der König von Preußen „vereinigt bleiben durch die Bande einer wahren und unauflöslichen Brüderlichkeit,“ heißt es in der Gründungsurkunde ihrer „Heiligen Allianz“ (1815). Das war zweifellos eine andere als die von der Revolution erstrebte „Brüderlichkeit“ in den Reihen der Volksmassen, für die sich die alliierten Monarchen „als Familienväter betrachten und dieselben im Geiste der Brüderlichkeit lenken“ wollten, wie in der Urkunde ferner kundgetan wurde.

Freiheitsbewegungen, mit denen auch das dynastische Prinzip in Frage gestellt wurde, ließen sich auf Dauer weder in Frankreich noch in Deutschland sowie anderen Ländern unterdrücken; ihre Ziele waren jedoch nicht überall deckungsgleich. Anders als im französischen Nationalstaat ging es in Deutschland, das in zahlreiche Fürstentümer aufgeteilt war, nicht bloß um persönliche Freiheit, sondern auch und vor allem um nationale Einheit. Dementsprechend heißt es im „Lied der Deutschen“, das in der Epoche der „Restauration“ entstand (1840), aber erst viel später in der Weimarer Republik zur deutschen Nationalhymne wurde:

Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland! Danach lasst uns alle streben brüderlich mit Herz und Hand!

Darum ging es auch, als es unter dem Eindruck einer neuen Revolution in Frankreich im benachbarten Deutschland ebenfalls zu revolutionären Unruhen kam (1848). Zunächst setzten Revolutionäre in fast allen Staaten die Einführung von Landesverfassungen mit der Gewährleistung von Presse-, Versammlungs- sowie anderen Freiheiten durch, die allerdings nicht lange Bestand hatten. Und in Frankfurt traten Delegierte aus sämtlichen deutschen Staaten zur Nationalversammlung zusammen, um über eine Verfassung für ganz Deutschland zu beraten. Gestritten wurde, ob das geeinte Land eine republikanische oder eine monarchische Staatsform erhalten und gegebenenfalls der Kaiser von Österreich oder der König von Preußen Staatsoberhaupt werden sollte. Bis man sich entschieden hatte, war die alte politische Ordnung in Deutschland wiederhergestellt.

Zu den Mitgliedern der bald aufgelösten Nationalversammlung gehörte Robert Blum, der zuvor nach Wien geeilt war, um die Revolutionäre in der österreichischen Hauptstadt gegen die kaiserlichen Truppen zu unterstützen, und dort den siegreichen Truppen in die Hände fiel.

Es war am 9. November 1848, als die Vertreter der alten Staatsordnung in Österreich Robert Blum hinrichten ließen, obwohl er als Mitglied der Nationalversammlung immun sein sollte, und damit machtwirksam demonstrierten, dass die Revolution gescheitert war.

Liberale und nationale Freiheitsbewegungen waren zwar selbst nach dem kläglichen Ende der 48er Revolution in Deutschland nicht zu unterbinden; es war nun aber nicht mehr Sache der Bürger, sondern der Fürsten, in eigener Souveränität Verfassungen zu oktroyieren und im „deutschen Bruderkrieg“ zwischen Preußen und Österreich sowie ihren jeweiligen Bundesgenossen auf eine „kleindeutsche Lösung“ der nationalen Frage – also unter Ausschluss Österreichs – hinzuwirken (1866).

Hatte schon der „Befreiungskrieg“ gegen Napoleon in Deutschland nationale Leidenschaften entfesselt, war es ein weiterer Krieg zwischen Deutschen und Franzosen, der dann zur Gründung des Deutschen Reiches – mit dem König von Preußen als Kaiser – und zur Aussöhnung des zumeist nationalliberalen Bürgertums mit den Herrschern „von Gottes Gnaden“ führte (1871).

Die Verfassung dieses – auf Betreiben des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck – gegründeten Reiches sah anders als die Reichsverfassung, die von der Nationalversammlung in Frankfurt verabschiedet war, kaum bürgerliche Freiheitsrechte vor. Das lag daran, dass solche Rechte mittlerweile in den Verfassungen der Mitgliedsstaaten des Reiches festgeschrieben waren. Gleichheit vor dem Gesetz gab es seit längerem, änderte jedoch nichts an den Privilegien des Adels in der deutschen Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts. Und für Brüderlichkeit stand in kaum einem anderen Land Europas der militarisierte Mann so stramm in Reih` und Glied der soldatischen Kameradschaft wie im preußisch geführten Deutschland.

Mit seiner wirtschaftlichen sowie militärischen Stärke wurde das Deutsche Reich in wachsendem Maße zum Rivalen der alten Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich im Ringen um Rohstoffquellen, Absatzmärkte und Einflusszonen in Europa, aber auch in Übersee. Die dadurch verursachten Spannungen entluden sich schließlich im 1. Weltkrieg, der mit der Niederlage Deutschlands endete.

Anders als auf dem Wiener Kongress, auf dem das besiegte Frankreich als gleichberechtigter Partner der Siegermächte am Verhandlungstisch mit gesessen hatte, blieben Deutschland sowie seine Verbündeten von den Friedensverhandlungen nach dem 1. Weltkrieg ausgeschlossen. Bei diesen Verhandlungen ging es nicht so sehr um die Schaffung eines Gleichgewichts der Mächte in Europa wie auf dem Wiener Kongress, sondern viel mehr um die Befriedigung nationaler Interessen der Siegermächte auf Kosten der Besiegten sowie deren Kleinhaltung, die vor allem in Deutschland als demütigend empfunden wurde und eine schwere Belastung für die am Ende des Krieges entstandene deutsche Republik war.

Es war am 9. November 1918, als die unter dem Eindruck des verlorenen Weltkrieges aufgekommenen Arbeiter- und Soldatenunruhen ihren Höhepunkt erreichten und gewissermaßen aus einer revolutionären Laune heraus die Republik ausgerufen wurde.

Während bei der Französischen Revolution der jakobinische Terror am Anfang gestanden hatte, mit dem Aufstieg Napoleon Bonapartes aber Ruhe und Ordnung geschaffen worden waren, ließen die Sozialdemokraten, die in der sogenannten Novemberrevolution zur führenden politischen Kraft in Deutschland geworden waren und sich den Idealen der französischen Revolution verpflichtet fühlten, es nicht zu jakobinischen Verhältnissen kommen und verbündeten sich mit der Heeresführung des alten Regimes zur Unterdrückung jener Kräfte, die es nicht beim Sturz der Monarchie belassen, sondern die Revolution zum Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland weiter treiben wollten.

„Einer muss ja der Bluthund sein“, meinte der Reichswehrminister Gustav Noske von der SPD, als er Truppen zur Niederschlagung des kommunistischen Spartakus-Aufstandes einsetzte (1919). Noske hatte jedoch nicht das Format eines Bonaparte und das Bündnis zwischen der sozialdemokratischen Elite der deutschen Republik und der Heeresführung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit dem Sturz der Monarchie an der Staatsspitze ein Machtvakuum entstanden war, dass weder Sozialdemokraten noch andere Republikaner füllen konnten – nicht zuletzt, weil es ihnen an verlässlichem Rückhalt im Militär und Beamtentum mangelte.

Dieses Machtvakuum mit Hilfe des Militär- und Beamtenapparates zu füllen, gelang erst Adolf Hitler (1933), der zwar ähnlich wie Napoleon Bonaparte die bürgerliche Gesellschaft vor revolutionären Umstürzen zu beschützen schien, anders als jener aber den Terror nach seiner Machtergreifung nicht beendete, sondern in den Dienst der eigenen nationalsozialistischen Bewegung (NSDAP) stellte und von der Straße hinter Stacheldraht verlagerte.

Von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit konnte im nationalsozialistischen Deutschland weniger denn je die Rede sein.

Presse-, Versammlungs- sowie andere Freiheiten wurden beseitigt, Parteien mit Ausnahme der NSDAP verboten – Gewerkschaften sowie andere Verbände ebenso und deren Mitglieder in nationalsozialistisch dominierten Massenorganisationen überführt, soweit sie nicht in „Schutzhaft“ oder auf der Flucht waren.

Gemälde "Erntedank"

Die „deutsche Frau“ sollte sich um Küche sowie Kinder kümmern, der „deutsche Mann“ sich an der Arbeitsfront und später an der Kriegsfront bewähren; die Militarisierung des Mannes wurde für den geplanten Krieg auf die Spitze getrieben und Homosexuelle sowie andere, die nicht ins Konzept des „arischen“ Mannes passten, wurden in Konzentrationslager verbracht.

Während Napoleon Bonaparte die Einheit Europas auf dem Boden der griechisch-römischen sowie jüdisch-christlichen Traditionen des Abendlandes herstellen wollte, träumte Adolf Hitler von einem Großdeutsches Reich, in dem diese Fundamente restlos beseitigt werden, herkömmliche Rechtsgrundsätze sowie Moralvorstellungen keine Geltung mehr haben sollten, ein neues Recht ausschließlich für die „arischen Herrenmenschen“ eingeführt und unter rassehygienischen Aspekten entschieden werden sollte, wer lebenswert war.

Im Hinblick auf die Realisierung dieser Visionen wurde bald nach der nationalsozialistischen Machtergreifung die Gleichheit vor dem Gesetz abgeschafft, insbesondere das Judentum aus der deutschen Volksgemeinschaft ausgesondert und systematisch diskriminiert, während die „arischen“ Volksgenossen – Arbeiter, Kleinbürger und Bauern – mit der Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit, mit Wohnungsbau-, Familien- sowie anderen sozialen Förderungen und mit außenpolitischen Erfolgen zufrieden- sowie ruhig gestellt wurden.

Es war am 9. November 1938, als die nationalsozialistischen Machthaber das Attentat eines Juden auf einen deutschen Diplomaten in Paris zum Anlass nahmen, um die ohnehin schon gebeutelten Juden dem organisierten „Volkszorn“ der SA-Milizen auszuliefern.

Da Juden im christlichen Abendland Jahrhunderte lang keinen Grundbesitz haben durften und zudem von den Handwerkerzünften sowie Kaufmannsgilden ausgeschlossen waren, hatten viele von ihnen sich einen Platz in der Wissenschaft, aber auch in der Geldwirtschaft gesucht. Und manche brachten es nach der staatsbürgerlichen Gleichstellung der Juden nicht bloß in Frankreich, sondern auch in Deutschland sowie anderen Ländern Europas zu Einfluss im gesellschaftskritischen Journalismus und zu Erfolg in der wachsenden kapitalistischen Ökonomie. Das erregte vor allem den Argwohn und die Missgunst von Anhängern der „Rassenlehren“, die im Laufe des 19. Jahrhundert zur geistigen Mode geworden waren. Insofern gehörte der Antisemitismus gewissermaßen zu den Urformen des Antikapitalismus.

In der sogenannten Reichskristallnacht vom 9. November wurden demgemäß nicht bloß Synagogen angezündet, sondern auch und vor allem jüdische Geschäfte geplündert sowie demoliert, Juden verprügelt und viele von ihnen in Konzentrationslager verschleppt. Das war der vorläufige Höhepunkt einer verhängnisvollen Entwicklung, die während des bald darauf ausbrechenden 2. Weltkrieges Millionen Juden aus ganz Europa nach Auschwitz sowie in andere Vernichtungslager brachte, in denen sie Opfer eines fabrikmäßig betriebenen Völkermordes wurden.

Der Krieg endete mit der totalen Niederlage der Deutschen und der Teilung Deutschlands, in dessen westlicher Hälfte die Bundesrepublik mit ihrer freiheitlich-demokratischen Grundordnung entstand, im Osten dagegen die Deutsche Demokratische Republik (DDR) mit ihrer sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung sowie ihrer kommunistischen Perspektive eingemauert wurde, bis mit der Öffnung der österreichisch-ungarischen Grenze eine systemüberwindende Massenbewegung in der DDR sowie anderen Ostblock-Ländern ausgelöst wurde.

Es war am 9. November 1989, als die sozialistische Partei- und Staatsführung der DDR unter dem Druck ihrer aufbegehrenden Bürger die Berliner Mauer sowie alle anderen Grenzzäune öffnen ließ, hinter denen sie ihre Bürger jahrzehntelang fest im Griff gehalten hatte.

Presse-, Versammlungs- und andere Freiheiten waren in diesem sozialistischen „Paradies“ so beschränkt wie das Land als Ganzes hinter Mauer und Stacheldraht; andere Parteien waren zwar nicht verboten, aber dem Führungsanspruch der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) ebenso unterworfen wie die Einheitsgewerkschaft und andere Verbände im „ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“. Doch maßgebend war nicht, was die Arbeiter und Bauern wollten, sondern was in deren Interesse war. Und das entschied die SED; denn „die Partei hat immer recht“, wie es in einem Lied zur Verherrlichung der SED hieß.

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Gleichheit und Brüderlichkeit gehörten zwar zu den vorrangigen Idealen des Sozialismus; tatsächlich war aber an die Stelle des Rassenhasses im Dritten Reich der Klassenhass im Arbeiter- und Bauernstaat der DDR getreten, der Angehörigen der Bourgeoisie wie auch des Adels das Leben in diesem Staat schwer machte: Ihr Besitz an Geschäften, Industrie- und Handwerksbetrieben, Grund und Boden wurde in Kollektiv- oder Staatseigentum überführt und ihre Kinder wurden bei der Zulassung zum Hochschulstudium benachteiligt.
Die NSDAP war nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches aufgelöst worden. Die SED hingegen wurde nicht verboten, nachdem sie ihren diktatorischen Führungsanspruch verloren hatte und Deutschland mit dem Beitritt der DDR-Länder zur Bundesrepublik vereint worden war, sondern sie existiert in der postkommunistischen „Linken“ weiter.

Anders als den deutschen Nationalsozialisten werden der kommunistischen Internationale nicht bloß von Linken, sondern auch von Liberalen gut gemeinte Ziele unterstellt, deren praktische Verfolgung jedoch nicht gut geklappt hätte, als ob es sich bei den Millionen „Humanopfern“ des Stalinismus sowie des Maoismus um Opfer von Betriebsunfällen gehandelt hätte, die zu vermeiden gewesen wären, wenn die Parteifunktionäre die kommunistischen Grundsätze der Humanität besser beachtet hätten.

Doch Kommunisten sind ebenso wie Faschisten und Jakobiner stets bereit, Menschen zu opfern, wenn es ihrer Sache zu dienen scheint, und diese Bereitschaft hängt zusammen mit ihrem quasi religiösen Anspruch, im Besitz der absoluten Wahrheit und zur Verwirklichung dieser Wahrheit ausersehen zu sein.

Dabei ging es insbesondere Jakobinern und Kommunisten um Realisierung einer Gesellschaftsutopie, zu der die Entstehung eines neuen Menschentyps ebenso gehört wie das Aussterben all der Menschen, die nicht diesem Typ entsprechen wollen oder können und daher keinen Anspruch auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit haben sollen. 

© Fotos: (1) Lear 21 at English Wikipedia [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons (2) (3) Wikimedia (4) Bundesarchiv, Bild 147-1125 / CC-BY-SA 3.0 (5) B Nightflyer (talk) 12:38, 19 July 2009 (UTC) (Eigener Scan und Bearbeitung) [Public domain], via Wikimedia Commons

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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