Ein Gastbeitrag von Jessica Oranos (Wien)
Man kennt es. Das Phämomen des Fremdschämens. Mich ereilte es letztens, als ich bei Servus TV hängen geblieben bin. Servus TV ist eigentlich mein Lieblingssender, und mit Sicherheit einer jener Fernsehsender im deutschsprachigen Raum, der noch am ehesten mit anspruchsvollem Programm punkten kann. Trotz, oder vielleicht gerade wegen der Beteiligung von Red Bull. Donnerstags gibt es bei Servus TV immer den sogenannten „Talk im Hangar 7“. Moderiert vom ehemaligen Presse-Chefredakteur, Michael Fleischhacker, diskutiert eine illustre Schar von Gästen über Themen, die die Welt bewegen.
Diesmal lautete das Diskussionsthema: „ Mann und Frau – Gleichmacherei um jeden Preis?“ – Genderwahn. Ein prickelndes Thema, durchaus dazu geeignet, Emotionen (über)kochen zu lassen. Noch dazu, wenn man sich die Gästeliste zu Gemüte führt: Da hätten wir Dr. Marcus Franz, seines Zeichens bekennender Pograpscher, Abtreibungsgegner und „Frauen-an-den-Herd“-Befürworter. Werner Tomanek, Macho-Rechtsanwalt und Karatemeister. Dann die Herrin der Grippemasken, und Lobbyisten-Ehefrau, Maria Rauch-Kallat, früher Frauenministerin in Österreich Weiters die Biologin Barbara Schweder und die Genderforscherin Elisabeth Holzleithner. Unter ferner liefen wäre noch der Rotzlöffel Karin Stanger zu erwähnen, ihres Zeichens Grüne Vorsitzende der ÖH Wien, ein Mensch ohne jegliche Grundkenntnisse der Benimm- und Diskussionskultur.
Habe ich Eingangs das Fremdschämen erwähnt? Naja, eigentlich war es eher amüsant. Fremdschämen musste man sich nur für die Grüne Studentenvertreterin. Aber von Vertretern ihrer Zunft ist man derartiges ja ohnehin gewohnt.
Zu Beginn wurde ein Film gezeigt, in welchem ein Wiener Kindergarten vorgestellt wurde, wo die Kinder „geschlechtsneutral“ erzogen werden. Die Leiterin meinte, man wolle Mädchen ermutigen, mit technischem Spielzeug zu spielen, und die Jungs können durchaus auch mit Puppen spielen.
Liebe Leute, ich bin in den 70er Jahren in den Kindergarten gegangen. Damals war noch keine Rede von Gendermainstreaming, und trotzdem habe ich schon damals bei den Rollenspielen immer die Rolle der Frau übernommen. Und mir aus dem Verkleidungsfundus einen Rock angezogen. Keine meiner Tanten, sorry, Kindergartenpädagoginnen, hatte damals ein Problem damit. Es wurde akzeptiert und toleriert. Übrigens hat mich damals auch keines der anderen Kinder ausgelacht, zumindest kann ich mich an keinen derartigen Zwischenfall erinnern.
Rauch-Kallat meinte auch ganz verzückt, dass sich ihr Enkelsohn zu Weihnachten ein Puppenhaus gewünscht hat. Sehr fein. Wenn sich ein Junge das wünscht, dann ist es durchaus unterstützenswert, und kein Grund, in Panik zu geraten. Es sollte aber in einer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht mal erwähnenswert sein.
Leider sind wir noch nicht so weit. Es sollte aber andererseits auch nicht so sein, dass man einem Jungen die Puppen, sprichwörtlich, aufs Aug drückt. Wenn ein Bub lieber mit den anderen Jungs Ritterspiele veranstaltet, dann sollte man ihn genauso in Ruhe lassen und das akzeptieren. Und nicht versuchen, ihn künstlich zu verweiblichen. Denn dann tritt genau das ein, was so manche heute an Männern kritisieren: dass sie sich ihrer Identität nicht mehr sicher sind und nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Denn die Hoffnung von Rauch-Kallat, dass sich ihr Enkelsohn aufgrund der Tatsache, dass er auch mit Puppen spielt, zu jenem, ihrer Meinung nach „begehrten“ Partner, entwickeln würde, der empathiefähig ist und Gefühle zeigen kann, wird sich nicht bewahrheiten.
Es ist doch immer noch so, dass Frauen, evolutionsbedingt, in der Regel einen Partner suchen, der instinktmäßig den größten Schutz für sie und den Nachwuchs bieten kann. Ja, auch Frauen, die auf eigenen Beinen stehen und sehr gut für sich selbst sorgen können, greifen bei der Wahl des Partners auf diese Männerkategorie zurück. Und die völlig verunsicherten Softies, von ihren gendermainstreaming-besessenen Müttern dazu gemacht, gehen in der Regel leer aus.
Recht schnell ließ Rauch-Kallat dann einen weiteren, entlarvenden Satz fallen. Sie meinte nämlich, sie hätte eine Enkeltochter, die sich zunächst sehr mädchenhaft entwickelte, ja, für ihren Geschmack schon fast ein wenig zu tussihaft. Zum Glück, so Rauch-Kallat, hat sie schließlich begonnen, Fußball zu spielen…
Äh, wie bitte? „Zum Glück“? Liebt ein normaler Mensch seine Kinder, und noch mehr seine Enkel, nicht uneingeschränkt? Egal, wie oder wozu sie sich entwickeln? Ist ein Mädchen weniger wert, wenn es sich mädchenhaft entwickelt? Und seine Weiblichkeit und Femininität ausleben möchte?
Und hier haben wir auch das Grundproblem:
Dieses fast schon krankhafte Bestehen auf Gendermainstreaming interessiert in Wirklichkeit niemanden! Und die Protagonisten dieser Gruppierung maßen sich, in völliger Verkennung der Realität und massivem Größenwahn, an, die Frauen dieser Welt zu vertreten. Chuzpe!
Dem größten Teil der Frauen ist es schlicht und einfach völlig wurscht, ob in einem Artikel auf abartige Art und Weise gegendert wird. Und ob der/die BäckerIn die Semmel fabriziert, oder der/die LehrerIn die Kinder unterrichtet, oder ob man zu einem/einer DoktorIn geht.
Was die Frau von heute möchte, ist, für gleiche Arbeit den gleichen Lohn zu bekommen. Sie möchte Wahlfreiheit, also selber entscheiden, ob sie ein Kind möchte, oder nicht, und wenn ja, ob sie zu Hause bei den Kindern bleibt oder doch auch arbeiten geht. Und anstatt sich verbissen, wie die Geier, auf das Gendern in jedem Artikel oder das korrekte Absingen der Bundeshymne zu stürzen, und jeden, der sich weigert, als sexistischen Chauvinisten zu beschimpfen, sollte der Hebel lieber woanders angesetzt werden. Nämlich zu schauen, dass genügend Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stehen; und dass Frauen, wenn sie sich dazu entschließen, doch bei den Kindern zu Hause bleiben, später nicht mit einer Mindestpension ums Überleben kämpfen müssen.
Lassen wir Frauen, die Frauen sein wollen, doch einfach in Ruhe. Und drücken wir ihnen nicht aufs Aug, dass das falsch ist.
Und wenn ein Mann partout ein Mann sein möchte, und damit meine ich jetzt nicht die pograpschenden Individuen a la Marcus Franz, sondern jene, die wissen, dass Mann und Frau gleichwertige Menschen sind, und sich auch dementsprechend verhalten, ist das auch ok.
Genauso, wie es niemanden kratzen sollte, wenn eine Frau meint, sie müsse sich in männlichen Gefilden versuchen, und sich auch äußerlich angleichen. Und wenn ein Mann sich feminin geben oder vielleicht einen weiblich dominierten Beruf ergreifen möchte, hat niemand das Recht, ihn deshalb zu verurteilen oder zu veräppeln. Es sollte im 21. Jahrhundert, in einer fortschrittlichen Gesellschaft, eigentlich nicht mal mehr der Rede Wert sein. Und jegliche Diskussion darüber sollte sich erübrigen, weil überflüssig sein. Ob wir das noch erleben?
Foto: (c) David Berger