Interview der Zeitschrift „Global Review“ mit Prof. Dr. Daniel Pipes, Präsident des Middle East Forum. Übersetzt von H. Eiteneier
Global Review: Herr Pipes, was denken Sie über Samuel Huntingtons Buch „Kampf der Kulturen“? Definieren trotz der Aufklärung und Globalisierung Religionen die Momente der Kultur? Wo hatte Huntington recht und wo lag er falsch?
Daniel Pipes: Huntington machte einige wichtige Fehler, die in den zwei Jahrzehnten, seit er seine These vorstellte, zunehmend offenkundig geworden sind. Zum Beispiel glaubte er, die Spannungen zwischen den USA und Japan in den 1990-er Jahren hätten sich aus zivilisatorischen Unterschieden ergeben; ein Jahrzehnt später verschwanden diese Spannungen aber; sie wurden von weit schwierigeren Problemen mit Europa ersetzt, obwohl die Vereinigten Staaten und Europa einen Teil derselben Zivilisation bilden. Die echten Spaltungen bleiben wie immer politischer, nicht zivilisatorischer Natur.
GR: Viele Menschen sagen, der Islam ist keine Religion, sondern eine reaktionäre, totalitäre und repressive Ideologie, die mit Faschismus und Kommunismus vergleich bar ist; und dass der Islam nicht reformiert werden kann. Andere sagen, der Islamismus habe nichts mit Religion und Islam zu tun. Was sagten Sie zu den Beziehungen zwischen Islam und Islamismus?
DP: Beide Äußerungen sind dumm.
Natürlich ist der Islam eine der großen Religionen der Welt; was gibt es da zu streiten? Der Islamismus jedoch hat als moderne Bewegung viel mit dem Faschismus und dem Kommunismus gemeinsam.
GR: Manche Experten vergleichen den Islam mit dem Konfuzianismus und dem Hinduismus. Sie führen an, dass man von konfuzianischen Gesellschaften in den 1950-er Jahren glaubte, sie seien nicht in der Lage sich wirtschaftlich und sozial zu entwickeln und dass der Konfuzianismus als Fortschrittshindernis angesehen wurde; dasselbe gilt für den Hinduismus in Indien. Heute sind Ostasien und Indien aber wirtschaftliche Machtzentren und viele Menschen nehmen Konfuzianismus und Hinduismus als Antreiber dieser Erfolgsgeschichte. Könnte dasselbe mit dem Islam geschehen, dass er sich ebenfalls reformiert?
DP: Ja, es ist möglich, dass muslimische Völker sich von der heutigen misslichen Lage erholen und wirtschaftlichen und politischen Erfolg haben werden. Es gibt keine Möglichkeit solche Dinge vorherzusagen. Und keine Zivilisation oder Religion bleibt dauerhaft am Boden.
GR: Es gibt ein breites Spektrum an Islamisten. Al-Qaida, den Islamischen Staat, Boko Haram, Al-Schabaab, die Territorium mit militärischen Mitteln in Besitz nehmen und einen immer weiter expandierenden Staat schaffen wollen. Und dann die Muslimbruderschaft, die türkische AKP und die iranischen Khomeinisten. Welche dieser Islamistengruppen sind die größte Gefahr für den Westen und welche dieser Konzepte werden Ihrer Meinung nach die erfolgreichsten sein?
DP: Ich mache mir die meisten Sorgen wegen der subtilen, infiltrierenden Islamisten. Wenn es um Gewalt geht, können wir sie leicht besiegen. Aber wenn es um unsere eigenen Institutionen geht – Schulen, Gerichte, Medien, Parlamente – dann sind wir weniger darauf vorbereitet uns zu verteidigen.
GR: In den westlichen Ländern befinden sich viele islamophobe Parteien und Politiker im Aufwind. Glauben Sie, das wird der Verbreitung des Islamismus helfen oder werden diese Parteien der Bekämpfung des Jihad nützlich sein? Hillary Clinton sagte, dass Trump und seine antimuslimischen Reden die besten Werber für den Islamischen Staat sind. Stimmt das?
DP: Ich verstehe den Begriff „islamophob“ nicht und weiß nicht, was er bedeutet, außer in der unsterblichen Formulierung von Andrew Cummings: als ein Wort „das von Faschisten geschaffen wurde und von Feiglingen benutzt wird, um Deppen zu manipulieren“.
Ihre Frage kehrt den Ablauf der Ereignisse um. Die islamistische Ideologie züchtet islamistische Gewalt, die den Prozess beginnt und im Gegenzug antiislamische Gesinnungen anregt. Antiislamische Ansichten könnten ebenfalls zu mehr islamistischer Gewalt inspirieren, aber das ist nebensächlich. Die wahre Dynamik hier ist der Islamismus, der antiislamische Parteien schafft. Wie Norbert Hofer in Österreich gezeigt hat, erzielen sie 50 Prozent der Stimmen und damit politische Macht.
GR: Sich auf die Opposition der „islamophoben“ Parteien zu konzentrieren ignoriert, dass sie weitgehend semifaschistisch sind. Geert Wilders sagt, dass der Koran sei Hitlers Mein Kampf vergleichbar und der Islam eine totalitäre Ideologie. Kann er ein Verbündeter im Kampf gegen den Islamismus sein? Obama und Merkel mögen in Sachen Islamismus schwach sein, aber unterstützen Sie Wilders, Trump, Österreichs FPÖ, Ungarns Fidesz oder Jobbik?
DP: Antiislamische Führungspolitiker und Parteien sind undifferenziert und machen viele Fehler. Ich hoffe, dass sie, wenn sie der Macht näher kommen, gebildeter und ernsthafter werden. Ich unterstütze sie nicht, aber ich gebe ihnen Rat.
GR: Der gescheiterte Putsch in der Türkei half Erdoğan seine islamistische Diktatur zu durchzusetzen. Glauben Sie, dass die NATO eine islamofaschistische Diktatur als Mitgliedsstaat akzeptieren wird? Einige Experten sagen, Saudi-Arabien sei auch eine islamistische Diktatur, aber ein Partner der USA und des Westens. Daher werde Realpolitik obsiegen. Wie, denken Sie, werden sich die Beziehungen zwischen der Erdoğan-Türkei und dem Westen entwickeln?
DP: So wie ich es verstehe hat die NATO keinen Mechanismus um einen Mitgliedsstaat auszuschließen; wenn das stimmt, hat sie keine andere Wahl als mit Erdoğan zu arbeiten. In der kurzen Zeit seit dem Putschversuch ist Erdoğan dem Westen gegenüber sehr feindselig gewesen. Vielleicht wird er in der Shanghaier Organisation der Zusammenarbeitenden.
GR: Abgesehen von den Islamisten muss der Westen auch mit Russland, China und Nordkorea klarkommen. Wie kann er mit all diesen Herausforderungen gleichzeitig umgehen? Welche Strategie zur Bekämpfung der Jihadisten ist Ihrer Meinung nach die vielversprechendste?
DP: Das strategische Umfeld ist heute weit einfacher als während des Kalten Krieges; es gibt keinen festgelegten ideologischen Feind, dem die Mittel einer Großmacht zur Verfügung stehen.
Für den Westen liegt der Schlüssel darin, dass man nicht einschläft. Führungskräfte wie Obama und Merkel zu wählen heißt jedoch, dass man sich schlafen legt. Die beste Strategie gegen die Jihadisten ist eine, die deren Ideen ernst nimmt.
GR: Der Westen brauchte Jahrzehnte, um den Faschismus und 70 Jahre, um den Kommunismus loszuwerden. Wie lange, glauben Sie, wird er brauchen, um sich des Islamismus zu entledigen? Sehen wir im Moment den Zenit des Islamismus oder befinden wir uns erst auf halbem Weg nach oben und es wird noch schlimmer werden?
DP:
Die Schlacht gegen den Islamismus hat noch gar nicht begonnen. Ich kann nicht vorhersagen, wie lange sie dauern wird. Wir befinden uns im Verhältnis zum Kommunismus noch vor 1945 und verglichen mit dem Faschismus vor den 1930-er Jahren. Ich sehe es so, dass der Islamismus in den Jahren 2012/13 seinen Höhepunkt erreicht hat und Zeichen der Schwäche zeigt.
GR: Wird die schlechte Erfahrung mit dem Islamismus und säkularen Diktaturen in muslimischen Ländern nach einer Katharsis in der Zukunft eine neue demokratische Bewegung und einen neuen muslimischen Frühling schaffen? Oder glauben Sie, diese Länder sind allesamt gescheiterte Länder, die alle zerfallen, weil sie nicht zu einer Kursänderung in der Lage sind?
DP: Muslime ziehen aus der islamistischen Erfahrung eine bittere Lektion. Ich hoffe, sie werden diese gut nutzen, obwohl es bisher sehr wenig Hinweise dafür gibt, dass dies geschieht.
Deutsche Erstveröffentlichung bei Haolam.de