SPD-Wahlkampf: Brief einer Transfrau an der Regierenden Bürgermeister der Stadt Berlin*
Sehr geehrter Herr Müller,
schwarze Haare stehen Ihnen nicht. In Anbetracht der deutlich sichtbaren Nasolabialfalte – ich weiß, wir werden alle älter, würde ich zu einem dezenten, weichen Braunton raten. Auch etwas weniger Kajal und ein mit der Haarfarbe harmonierender Lippenstift zaubert die Härte aus dem Gesicht.
Und auch mit dem Design des Kleides muss man ja nicht so direkt auf sein Alter anspielen – sind wir nicht innerlich immer noch 50? Aber deswegen schreibe ich Ihnen nicht, denn mein geübtes Auge hat natürlich den Dragdarsteller unter der Lackierung erkannt. Transsexuelle sehen so etwas.
Ich habe auch erkannt, dass Sie es gut meinen mit „Berlin bleibt frei“ und diesem Motiv.
Aber: Thema verfehlt, möchte ich sagen. Dragdarsteller spielen eine Rolle und Rollen haben es an sich, dass sie eben nicht das Leben sind. Und die Travestie als Kunstform und ehrlicher Broterwerb ist nicht in Gefahr und im Jahr 2016 auch kein Sinnbild für eine freie Gesellschaft. Das wäre damals, als das Kleid geschneidert wurde, sicher anders gewesen.
Was Sie aber mit dem Bild erreichen, ist, dass dieses Fotomotiv Ihrer Kampagne wieder dieses Zerrbild verfestigt, dass viele in der Gesellschaft von Transsexuellen haben: nämlich genau so zu sein, wie auf dem Bild zu sehen: überschminkt, mit Showperücke und einem Kleid aus der Zeit als Kleider noch aus Vorhangstoff gemacht wurden.
Den Satz: „Ach, Sie sind ja gar nicht so stark geschminkt wie die im Fernsehen“, den kennt jede transsexuelle Frau. Und verabscheut ihn.
Danke, dass Sie an diesem für uns mehr als ärgerlichen Image weiterbauen.
Dabei wäre gerade diese Grundidee eine Chance gewesen, sich für ein „frei bleiben“ stark zu machen. Für uns Transsexuelle ist nämlich die Hoffnung, dass unsere Stadt nicht noch unfreier wird, lebensnotwendig. Wir haben zwar die Freiheit, zu jedem Zeitpunkt jeden Platz in dieser Stadt aufzusuchen.
Aber diese Freiheit zu nutzen verbietet oft die Klugheit. Sicher haben wir die Freiheit, in U-Bahnen mit den „falschen“ Fahrgästen einzusteigen. Oder zur „falschen“ Uhrzeit im „falschen“ Kiez unterwegs zu sein. Theoretisch jedenfalls. Wenn uns ein bisschen Roulettespielen mit unserer Unversehrtheit nicht stört.
Lebensnotwendig ist also nicht übertrieben. Denn die Meisten von uns sind sichtbar. Und für uns ist es keine Rolle, sondern unsere Identität die wir leben. Tagein, tagaus. Helfen Sie uns in dieser Stadt frei zu leben.
Und wissen Sie was? Es geht nicht nur uns Transsexuellen so. Diejenigen unter uns, denen man es nicht ansieht, haben schon längst die Erfahrung gemacht, dass ganz ähnliche Einschnitte der Freiheit für „ganz normale“ Frauen existieren. Uhrzeiten, Kieze in denen frau besser nicht alleine unterwegs ist.
Vielleicht muss man das „bleibt“ mit einem Fragezeichen versehen? Ich hätte einen Vorschlag.
Ändern Sie doch den Satz.
Berlin wird frei.
Müller, Berlin.
Wenn Sie dieses Versprechen halten, dann nörgle ich auch nicht mehr über Ihr nächstes Wahlkampfplakat. Versprochen.
*Name und Anschrift der Autorin sind dem Blogbetreiber bekannt.
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