Heute ist Feiertag, zumindest in den katholischen Regionen Deutschlands. Der Autor erinnert sich nach über 60 Jahren an dieses Fest und berichtet. Gastbeitrag von Meinrad Müller.
Die Eltern schliefen noch – oder taten zumindest so –, als sich der zehnjährige Knabe heimlich aus dem Haus schlich. Seine Freunde machten es ebenso, denn sie wollten bei diesem Fest mithelfen. Eigentlich gab es 1964 keine Zuschauer so wie heute, welche die Prozession vom Straßenrand aus verfolgten. Es gab nur Teilnehmer. Groß und Klein waren auf den Beinen.
Morgens um fünf galt es, einen Blumenteppich zu legen. Vor dem alten Pfarrhaus, das schon zweihundert Jahre dort stand, wurde eine vielleicht sechs mal sechs Meter große Fläche mit frisch gemähtem Gras eingerahmt. Und auf dem Betonboden dazwischen legten Frauen, junge Mädchen – und auch wir Knaben – die Blütenblätter aus, wie ein Puzzle. Rote, blaue, gelbe. Das Muster ergab sich beim Verlegen. Der Arbeitseifer, die Freude am Mitmachen ließen ein Bild entstehen, das der Herr Pfarrer später mit der Monstranz betreten durfte. *Es war keine kunstvolle Vorlage nötig, unsere Freude führte jedes Jahre zu einem etwas anderen „Mandala“.
Derweil waren die Bauern – und es waren fast nur Bauern im Ort – damit beschäftigt, frisch gemähtes Gras auf der Prozessionsstrecke auszulegen. Diese führte durch das Dorf, lang war sie nicht, denn das Dorf war klein. Klein war auch die Einwohnerzahl: hundert Bauernhöfe mit je fünf Personen. Jeder kannte jeden. Und jeder schmückte freiwillig mit – zur Ehre dieses Festes. Birkenbäumchen wurden mit bunten Papierstreifen geschmückt und alle fünfzig Meter an Gartenzäune gebunden. Es sah aus, als hätte sich ein farbenfrohes, fröhliches Spalier gebildet. So wurde der ganze Ort zu einer riesigen Bühne, die den Himmel auf Erden sichtbar werden ließ, für einen Vormittag lang.
Fronleichnam war irgendwie fröhlicher als Weihnachten, Pfingsten oder Ostern. Was genau gefeiert wurde, verstanden wir zehnjährigen Ministranten nicht so richtig. Man sagte uns, es sei das „Hochfest des Leibes Christi“, doch das war zu groß für unsere kleinen Köpfe. Wir verstanden nur: Es war heilig – und wir gehörten dazu. Die Prozession war der Höhepunkt, und wir durften zu sechst hinter dem Herrn Pfarrer gehen. Vier kräftige Männer trugen einen roten Baldachin, unter dem der Pfarrer schritt. Dahinter gingen die Kinder, dann die Jugendlichen, die Frauen und schließlich die Männer. Und die Musikkapelle spielte gar feierliche Lieder – auch „Großer Gott, wir loben dich“. Einige Böllerschüsse kündigten den Aufbruch an, der erste Weihrauch zog durch die Gassen.
Es war keine Bibelstunde, sondern ein Mitmach-Ereignis, das das Gemüt ergriff und die Gemeinde als Gemeinde sichtbar werden ließ. Auf dem vielleicht ein Kilometer langen Weg der Prozession waren vier Altäre an Bauernhöfen aufgebaut worden – geschmückt mit allem, was ein Bauerngarten an Blumen und Ziersträuchern hergab. Jeder Altar war wie ein kleines Versprechen: Gott kommt zu uns. Und wir haben unser Bestes gegeben. An jedem dieser Altäre – die nur an diesem Tag entstanden – hielt die Prozession an. Der Herr Pfarrer sprach Gebete und segnete mit der Monstranz die Gläubigen. Ein Messdiener schwenkte das Weihrauchfass, ein anderer läutete die kleine Glocke – wir achteten genau auf das Zeichen zum Niederknien.
Am Bauernhof meiner Eltern stand – seit man denken kann – einer dieser Altäre. Das wurde als besondere Ehre empfunden.
Nach der Prozession zogen die Teilnehmer unter besonders kräftigem Orgelklang in die Barockkirche ein, die goldgeschmückte Engelchen und Deckengemälde zierten. Die Monstranz wurde von Hochwürden zurück zum Hochaltar getragen, feierlich, langsam, fast wie in Zeitlupe – als müsse sich die Heiligkeit noch einmal in alle Winkel der Kirche ergießen.
Nach dem von allen mit Inbrunst gesungenem Te Deum, dem feierlichen Schlusssegen, ging es heimwärts. Die Brätknödel, Grießknödel, Leberknödel samt Backerbsen wollte man nicht warten lassen. Den Schweinebraten mit der knusprigen Kruste und den hundert Semmelknödeln auch nicht. Und beim Essen wussten wir: Das war nicht nur ein Feiertag – das war unser Tag.
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Ganz aktuell. Urteil vom 12.06.25 des Finanzgerichts Cottbus:
Meine über ein Jahr mit Rechtsanwalt vorbereitete Klage gegen das Finanzamt, das alle Schenkungen (weil Blog rechtspopulistisch und staatskritisch sei) als Einnahmen mit Umsatzsteuer nachversteuert haben will, wurde abgewiesen.
Hier die Hintergründe
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