Die Union feilscht mit dem Kanzler um dessen Rücktritt. Der Preis: ein Bürokratieentlastungsgesetz. Hört sich gut an: Entlastungen für Bürger und Wirtschaft. Hauptsächlich aber wird der Nochkanzler entlastet. Denn die Akten zu dem größten Steuervergehen der Republik könnten dann geschreddert werden. Die Verwicklungen von Scholz darin interessieren dann nicht mehr. Ein Gastbeitrag von Frank Wahlig.
Vorbemerkung (DB): Die Kontrafunk-Kommentare von Frank Wahlig (Foto l.) sind legendär. Hier spricht nicht nur ein Journalist, der jahrelang an prominenter Stelle für die ARD gearbeitet hat, sondern der in aller analytischen wie sprachlichen Schärfe die brennenden Themen unserer Zeit kommentiert; der gelassen, aber entschieden die Finger in die Wunden legt, wo es die, die unser Land zerstören, am meisten schmerzt. Wenn meine Generation ihm zuhört, kommt bei nicht wenigen die Erinnerung an Hanns Joachim Friedrichs auf. Und konstatiert im Vergleichen, dass seither – finanziert von unserer Zwangsabgabe – ein Presstituierten-Milieu entstanden ist, das ganz entscheidend für den Niedergang von Demokratie und offener Gesellschaft mit-verantwortlich ist. Mit freundlicher Erlaubnis des Autors und auch des großartigen Burkhard Müller-Ullrich, Chef des Kontrafunks, werden wir in Zukunft von Zeit zu Zeit besonders gelungene Radiokommentare in schriftlicher Form hier veröffentlichen. Dazu auch das gesprochene Format (s.u.) Und eine Idee, wie sie erfolgreichen, seriösen Journalismus unterstützen können, finden Sie jeweils am Ende des ganzen Artikels!
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Der kleine Mann zeigt die Zähne – ganz freundlich –, der kleine Mann beißt, noch im Untergang schnappen die Kiefer. Die ARD-Sendung „Miosga“ stellt das Forum. Wie passend – nach den Wasserleichen im Tatort. Da führt sich der Kanzler auf. Die Sendung macht Quote, das ist die öffentlich-rechtliche Währung, und der Mann tut was für all das Mögen, welches ihm die Öffentlich-Rechtlichen entgegenbringen. Gerade in Zeiten wie diesen zeigen schwer Angeschlagene, die ARD und der Nochkanzler, dass Leben in ihnen ist. Der Plan von Scholz könnte also aufgehen. In der TV-Arena lässt die Moderatorin ihn gewähren. Scholz führt sich auf zwischen staatstragend und gefährlich. In Zeiten wie diesen, flüstern Rumpfregierung und gefällige Medien, müsse die Opposition staatstragend sein – und die FDP ersetzen. Erfüllungsgehilfe bei der großen Transformation. Es war doch nicht alles schlecht in den letzten Jahren. Die Union feilscht mit dem Kanzler um dessen Rücktritt. Der Preis: ein Bürokratieentlastungsgesetz. Hört sich gut an: Entlastungen für Bürger und Wirtschaft. Hauptsächlich aber wird der Nochkanzler entlastet. Denn die Akten zu dem größten Steuervergehen der Republik könnten dann geschreddert werden. Die Verwicklungen von Scholz darin interessieren dann nicht mehr.
Der mögliche Dreck am Stecken von Scholz und anderen wird abgewaschen. Um den sogenannten Cum-Ex-Skandal dem Vergessen anheimzugeben, ist das Bürokratieentlastungsgesetz der Schlüssel. Den Preis hat Scholz für sein Abdanken gefordert. Nennt sich „Zusammenarbeit zwischen Demokraten in Sachfragen“, nützt aber vor allem ihm selbst. Die Union überlegt, diesen Preis zu zahlen, wegen „staatstragend“ und „Verantwortung“ und „Zeiten wie diesen“. Scholz dürfte kein Verhandlungspartner mehr sein, für niemanden. Der Mann hat fertig, ist im Untergang gefährlich. Scholz ist für einen wie Merz viel zu slick. Ist bereit zu übelster Nachrede, zu politischer Rache. Wie ein Scholz die FDP vom Hof gejagt hat … alle Achtung. Eine Machtmaschine, die noch einmal aufdreht, bevor der Kolbenfresser eintritt. Scholz ist ein Argument, der Restampel bei nichts zu helfen, ihr demokratisch das Schmiermittel abzudrehen. Ein anderes Argument ist der unterschwellige Antisemitismus der Parteikader. Was ist ein Provinzpolitiker wie Höcke von der AfD, mit seinem ihm unterstellten Antisemitismus gegen eine SPD-Spitzenpolitikerin wie Aydan Özoguz mit ihrem offen zur Schau gestellten Hass auf Israel. Sie kokettiert regelrecht damit und kommt damit durch. Solchen Funktionären zu helfen, verbietet sich.
Wer für rasche Neuwahlen ist, für ein Verschrotten der Ampel, gilt als Nazi, so geschehen in der aktuellen Stunde des Bundestages. Schon klar, wenn einem nichts mehr einfällt. Der Nationalsozialismus ist zum Steinbruch für die Furcht vor demokratischer Veränderung geworden. Und wenn dieses Argument nicht zählt, dann eben der Papiermangel, um ausreichend Wahlzettel zu drucken. Dahinter steckt die berechtigte Angst, die Brandmauer könnte bei bestimmten Themen löchrig werden und schließlich fallen. Dahinter steckt die Furcht einer Absage für eine zukünftige Koalition. Scholz gibt den Respektkanzler im Fernsehen, der Handelnder ist und nicht Getriebener. Es ist gleich, ob bestimmte Gesetzte aufgeschoben werden. Es gibt nichts, das umgesetzt werden müsste. Zum Wohle des Landes erst recht nicht. Zum Wohle von Scholz selbst vielleicht. Mag der Parteikader Anfälle von Nationalbewusstsein bekommen.
SPD-Chefin Esken ist so eine, die plötzlich an Deutschland denkt, dabei geht es bloß um die Macht ihrer SPD. Das Erpressungspotenzial der Resteampel ist gering. Eigentlich. Ein Friedrich Merz müsste nur nein sagen. Er müsste etwas wagen. Den Schneid haben, die Sache in die Hand zu nehmen … mit wem auch immer. Damit wäre das Kräfteverhältnis umgedreht. Merz und seine Union haben nicht die Größe und den Mut eigene Gesetze einzubringen und durchzusetzen. Merz wartet ab aus Furcht vor dem Beifall der falschen Seite. Gerade in Zeiten wie diesen hätte die Union nur den Beifall der SPD zu fürchten. Und im Fernsehen macht der Kanzler doch einen so biederen und freundlichen Eindruck. Scholz hat mit dem Wahlkampf begonnen, das Fernsehen liefert die Bühne dazu. Die Moderatorin ist freundlich – die Kiefer können ganz schnell zuschnappen.
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