„Sei willekommen, lieber Herre“ – Das älteste Weihnachtslied in deutscher Sprache. Ein Gastbeitrag von Dr. Juliana Bauer
Die frühesten Zeugnisse weihnachtlicher Lieder aus dem deutschen Sprachraum stammen aus dem Mittelalter. Sie entstanden im kirchlichen Bereich und bildeten in den drei Weihnachtsmessen, die auf Papst Gregor den Großen (590-604) zurückgehen, einen Teil der Liturgie. Wichtige liturgische Momente entfalteten sie vor allem in der Messe der Heiligen Nacht. Sie waren meist in lateinischer Sprache gehalten oder bestanden im Lauf des Mittelalters zunehmend auch aus Mischtexten in Latein und Deutsch.
Das älteste, schriftlich überlieferte Weihnachtslied deutscher Sprache stellt das Lied Sei willkommen, Herre Christ dar. Ein vollständiger Beleg dafür findet sich in der Bibliotheca Amploniana in Erfurt, einer umfassenden Büchersammlung des vom Niederrhein stammenden Gelehrten Amplonius Rating de Berka, geb. 1363/64, der von 1394-95 Zweiter Rektor der Universität Erfurt war. In einer mittelalterlichen Handschrift dieser Sammlung ist eine Fassung aus den Jahren 1394-98 aus Aachen enthalten, der Zeit, in der das Lied in der ersten der drei Weihnachtsmessen regelmäßig gesungen wurde.
Seine Entstehung geht jedoch bereits auf das 11.Jh. zurück. Die ursprüngliche Melodie, in Quadratnotation geschrieben, bewahrt das so genannte Aachener Fragment des Liuthar-Evangeliars Kaiser Ottos III., welches wohl um das Jahr 1000 auf der Insel Reichenau entstand. Sie ist mit den Worten
Syt willekomen heirre kirst want du unser alre here bis
(Sei willkommen Herre Christ, der du unser aller Herre bist)
unterlegt. Das Lied endet, wie auch eine Reihe anderer alter Weihnachtslieder, mit dem Kyrie-Ruf.
Sys willekomen heirre kerst,
want du onser alre heirre bis,
sys willekomen, lieve heirre,
her in ertriche also schone:
Kirieleys.
Sei willekommen Herre Christ
weil du unser aller Herre bist
sei willekommen, lieber Herre
hier in diesem Erdenreich, dem schönen
Kyrieleis
Der Erfurter Althistoriker Kai Brodersen berichtet von einer liturgischen Anweisung, die dem 14.Jh. entstammt und im Archiv des Stiftskapitels in Aachen aufbewahrt wird. Sie ist in lateinischer Sprache verfasst und regelte genau den Ablauf der Weihnachts-Liturgie. Vor der ersten Messe, d.h. der Mitternachtsmesse, las der Kanonikus-Priester am Pult, flankiert von Diakon und Subdiakon, in Latein das „Liber Generationis“ aus dem Matthäus-Evangelium (1,1 −16). Nach dem letzten Satz, der, wie folgt, lautet: „Iacob autem genuit Ioseph virum Mariae de qua natus est Iesus qui vocatur Christus“ (Jakob zeugte Josef, den Mann der Maria, von der geboren ist Jesus, der da heißt Christus) stimmten sie das Lied Nu seit unß willekome hero Kerst an.
Es wurde in Deutsch und damit in der Volkssprache gesungen und heißt Christus, den Kyrios auf dem Erdenkreis willkommen, der, in der Tradition des 11.Jahrhunderts, als Herr der Welt und der Zeiten angesprochen wird. Danach folgte, wiederum in Latein, das „Te Deum laudamus.“ Im Anschluss an das Lob Gottes begann die Weihnachtsmesse, die am Altar der Gottesmutter Maria gefeiert wurde.
Weiteren Aachener Überlieferungen zufolge wird das Lied auch als Aachener Schöffenlied bezeichnet. Laut diesen oblag es dem ältesten der Schöffen (ehrenamtlichen Richter), die während der Christmette im Chorgestühl des Münsters anwesend waren, nach der Lesung des „Liber Generationis“ den Weihnachtshymnus anzustimmen.
Ich stelle hier nun den Text aus dem 14.Jh. vor, aus zwei Strophen bestehend. Die zweite Strophe existiert in Varianten, die erste Fassung ist vermutlich die ältere:
Sei willkommen, Herre Christ,
weil du unser aller Herre bist,
sei willekommen, lieber Herre,
hier auf der Erde gar so schönen:
Kyrieleis
Nun ist Gott geboren, unser aller Trost
Der der Hölle Pforte mit seinem Kreuz aufstoßt!
Die Mutter hat geheißen Maria
Wie in allen Christenbüchern geschrieben steht!
Kyrieleis
Variante:
Gott ist geboren, unser Trost
Der der Hölle Pforte mit seinem Kreuz aufstoßt!
Sei willkommen, lieber Herre
hier auf der Erde recht mit Ehren
Kyrieleis
Ende des 19.Jhs. schuf die Jugendbewegung, eine in jener Zeit entstandene Reformbewegung, auf der Grundlage der Aachener Melodie des 14.Jhs. eine neue Fassung des Liedes. Gleichfalls an die alte Melodie angelehnt fand sich das Lied in rhythmisch moderner Fassung im alten Gotteslob, im Stammteil des neuen ist es nicht mehr enthalten.
Der bekannte und beliebte, im Musikunterricht vieler Schulen gesungene Kanon Nun sei uns willkommen Herre Christ stammt von Walter Rein (1934), einem umstrittenen Musikpädagogen und Komponisten der NS-Zeit. Der Kanon, dessen Melodie er wohl nach einer niederländischen Melodiefassung aus der Zeit um 1600 schuf und dessen Text er stark verkürzte, findet sich im Evangelischen Gesangbuch, EG 22:
Nun sei uns willkommen Herre Christ,
Der du unser aller Herre bist
Willkommen auf Erden!
Melodie und Text des Kanons sind jedoch weit entfernt von der Ausdruckskraft, seiner Aussage und der Schönheit des mittelalterlichen Weihnachtshymnus‘, der in wenigen Worten, aber prägnant zusammenfassend die Heilsbotschaft verkündet. Der ebenso den auf diese Erde kommenden Gottessohn, den „lieben Herre“ mit Freude, aber auch mit Ehrerbietung begrüßt.
Zwei wunderbare, gesungene Beispiele mögen dies besonders verdeutlichen:
Nun sei willkommen, Herre Christ
Nun sei willkommen, Herre Christ (Windsbacher Knabenchor, In der Pfarrkirche Meran, Melodie und Text des 14.Jhs.)
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