Donnerstag, 21. November 2024

Moderner Journalismus – Handlanger für arrangierte Authentizität

In einem Interview mit dem „Offenen Kanal Bitburg“ erklärt Günther Jauch, dass er die Moderation des Jahres­rückblicks „Menschen“ beim ZDF aufgegeben habe, weil die Politik Einfluss genommen habe. Bijan Peymani kommentiert.

Ich bin bekannt für meine wiederholte, seit Jahren vorgetragene Kritik an der Art, wie Journalismus in Deutschland betrieben wird. Am Ethos, das mehrheitlich Auflagen und Quoten, Erlösen und Erträgen geopfert wurde. An den Mechanismen, die im Dialog der Journalisten mit Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wirken und die Zunft, ehemals die vierte Gewalt, wahlweise zum willfährigen Resonanzboden oder zu einem nützlichen Instrument für fremde Interessen degradieren. Und daran, dass vor allem der zumeist aus dem links-alternativen Milieu stammende Nachwuchs in seinem Tun (unabhängige) Haltung mit (selbstreferenzieller) Gesinnung vertauscht.

Journalistische Hauptaufgabe: Geld verdienen?

Ex-„Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann meinte jüngst, die Herausforderung des Journalismus sei nicht, immer wieder die eigene Bedeutung zu beweisen, „sondern Geschäftsmodelle zu finden, die es möglich machen, den notwendigen Journalismus zu finanzieren“.

Ich widerspreche: Der Journalismus muss seine Existenzberechtigung jeden Tag aufs Neue unter Beweis stellen – heute mehr denn je! Und mit der zweiten Satzhälfte sagt Diekmann nichts anderes, als dass man sich kritischen, nach Wahrhaftigkeit strebenden Journalismus leisten können muss. Auch das ist grundfalsch! Als Gesellschaft müssen wir uns diese Art des Journalismus’ leisten müssen und dafür konsequent streiten.

Seit 30 Jahren in Branche tätig

Selbst seit bald 30 Jahren in der Branche tätig und damit, von außen betrachtet, auch nur ein Frosch in diesem Sumpf, ziehe ich mithin die Unabhängigkeit der Presse in diesem Land ernsthaft in Zweifel. Wer das „Spiegel“-Gebäude Ericusspitze eingangs der Hamburger Hafencity im Quartier Brooktorkai/Ericus betritt, den gemahnt der Leitspruch des Gründers Rudolf Augstein für Journalisten:

„Sagen, was ist“,

…steht dort in großen Lettern an der Wand, markiert mit Augsteins Unterschrift. Leider hat sich die Zunft erst stillschweigend und schließlich immer unverhohlener von diesem Ethos verabschiedet. Längst gilt das Motto „sagen, was sein soll“. Journalismus handelt zunehmend im Auftrag.

In einem inzwischen bei Youtube gelöschten Interview mit dem „Offenen Kanal Bitburg“ erklärt Günther Jauch, dass er die Moderation des Jahres­rückblicks „Menschen“ beim ZDF aufgegeben habe, weil die Politik zu sehr Einfluss genommen habe. Der damalige Minister­präsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, etwa sei 1995 nicht oft genug im Bild gewesen. Als Ausgleich habe er sich Themen in den „heute“-Nachrichten „aussuchen“ dürfen. Einen Job als Moderator des „heute journal“ habe Jauch 1988 nach eigenem Bekunden nicht bekommen, weil Mitbewerber Sigmund Gottlieb der CSU als politisch zuverlässiger gegolten habe. Jauch ist klug, offenbart sich erst im Herbst seiner Karriere.

Gottlieb statt Jauch

Ausschnitte des Interviews gibt es noch bei Massen­geschmack-TV:

Alle Bereiche, die einst Objekte medialer Aufmerksamkeit waren oder werden konnten, haben sich zu Subjekten geformt, die die mediale Berichterstattung einhegen und kontrollieren. Das konnte nur gelingen, weil erstens die Fronten aufgelöst wurden; ehemals unabhängige Journalisten mäandern leichtfüßig und karrierebewusst zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft – erst Berichterstatter von außen, nun PR-Geschütz im Inneren. Und zweitens erlaubt die politische Agenda längst nicht mehr, die ideologiegetriebenen Konzepte lediglich der journalistischen Interpretation zu überlassen und damit deren Umsetzung womöglich ernsthaft zu gefährden.

„Sagen, was ist!“

Die heute selbst für Laien augenfällige – politisch induzierte und mitgetragene – Kontrolle über Inhalte und Sprache hat mit unabhängigem Journalismus nichts mehr zu tun. Das wissen alle Beteiligten. Es betrifft nicht das reichweitenstarke Medium TV allein, sondern alle Mediengattungen. Und es ist auch kein Wesenskern allein des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Um abzulenken, werden Politik und weite Teile meiner Zunft nicht müde, lautstark vermeintliche Desinformation und Social Media als Sargnägel der Demokratie zu stilisieren. Tatsächlich ist die Auflösung der unabhängigen Berichterstattung der Grund für Demokratie-Gefährdung und -Zersetzung. Es ist höchste Zeit, das genau so zu benennen. Oder, um es mit Augstein zu formulieren: „Sagen, was ist.“

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David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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