Donnerstag, 21. November 2024

Bundesverfassungsrichter zu Berliner Wahl: „Zustände wie in einer Diktatur“

Der deutsche Bundesverfassungsrichter Peter Müller verglich im Gespräch mit der FAZ die Berliner Wahlpannen vom letzten September mit Zuständen wie in einer Diktatur. Ein Gastbeitrag von Elmar Forster

In einem FAZ-Podcast äußerte sich Müller entsetzt: Derartige Wahl-Abläufe wie in Berlin hätten in Deutschland wohl noch nie stattgefunden. Sein Entsetzen bezog sich sowohl auf die Vorgänge bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus als auch zum deutschen Bundestag.

Bislang einmalig

Bezug nehmend auf die Darstellung in deutschen Medien würde es sich demnach wohl um einen „einmalig gelagerten Fall“ handeln:

„So etwas hätte man sich vor einigen Jahrzehnten vorstellen können, in irgendeinem diktatorischen sogenannten Entwicklungsland, aber doch nicht mitten in Europa, mitten in Deutschland“.

Denn die „tatsächlich Abläufe“ hätten „jedenfalls in Deutschland noch nie stattgefunden“.

Zudem ließ Müller (im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts für das Wahlrecht zuständig) auch bezüglich der gesamtdeutschen Bundestagswahl aufhorchen: Die Mandatsverteilung nach dem Bundeswahlgesetz hätte nämlich „mittlerweile ein Maß an Komplexität erreicht, das für den Normalbürger aus meiner Sicht nicht mehr durchschaubar ist“. Zurzeit läuft ein abstraktes Normenkontrollverfahren gegen diese Regelung.

Nach einer ersten Einschätzung hält der Berliner Verfassungsgerichtshof die Wahlen (zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen – BVV) für ungültig. (BZ) Aus diesem Grunde neige das Gericht „dazu, die Wahlen insgesamt für ungültig zu erklären“ – wie es in einer Pressemitteilung hieß. Dann aber müssten die Wahlen in ganz Berlin wiederholt werden. – Noch steht aber noch nicht fest, wann das Urteil über die Gültigkeit der Wahl gesprochen wird.

Verfassungsgericht: Dokumentierte Wahlpannen nur „Spitze des Eisbergs“

Laut Präsidentin des Berliner Verfassungsgerichtshofs, Ludgera Selting, hätte bereits „die Wahlvorbereitung „den rechtlichen Anforderungen voraussichtlich nicht genügt“. Danach sei es dann aber auch am Wahltag selbst „zu unzumutbar langen Wartezeiten“ vor den Wahllokalen gekommen. Seltig bemängelte auch die zeitweisen Schließungen von Wahllokalen sowie die Austeilung von zu wenigen oder falschen Stimmzetteln.

Weiters wiegt schwer die Intransparenz der skandalösen Vorgänge – wohl zur Vertuschung derselben: Denn aufgrund der nur sehr lückenhaften Dokumentation dürfte es sich nur um „die Spitze des Eisbergs“ handeln. Zurzeit spreche viel für eine „vollständige Ungültigerklärung“ der beiden Berliner Wahlen. (BZ)

War der Berliner Senat jemals demokratisch legitimiert?

Sollten die Wahlen vom Berliner Verfassungsgerichtshof tatsächlich für ungültig erklärt werden, muss es innerhalb von 90 Tagen zu einer Wiederholungswahl kommen. Daran dass bis dahin alle Abgeordneten als politische Entscheidungsträger in ihren Ämtern verbleiben, gibt es aber auch erhebliche Zweifel, wie etwa der Marcel Luthe (Senatsabgeordneter der Freien Wähler) kommentierte:

„Wenn der Verfassungsgerichtshof derart schwere Wahlfehler erkennt, dass diese Wahlen wiederholt werden müssen, dann sind die Personen, die als Parlament handeln, nicht demokratisch legitimiert. Und wer nicht demokratisch legitimiert ist, kann nicht Abgeordneter sein – das aktuelle Parlament war also dann nie eines.“ (BZ)

Mittlerweile fordern FDP und CDU den Rücktritt des damaligen SPD-Innensenators Andreas Geisel, der für die Wahlen zuständig war. Nur SPD-Bürgermeisterin Giffey ist aus durchsichtigen parteipolitischen Gründen dagegen. (BZ) Geisel leitet mittlerweile als Senator das Ressort für Stadtentwicklung, Wohnen und Bauen.

Und auch bei den Berliner Grünen stellt man sich mittlerweile kleinlaut auf Neuwahlen ein: „Ordnungsgemäße Wahlen sind das Grundprinzip einer Demokratie und müssen funktionieren“ – wie die beiden Grünen-Landesvorsitzenden, Susanne Mertens und Philmon Ghirmai, am Mittwoch kleinlaut mitteilten. (BZ)

Der Beitrag erschien zuerst bei unserem Kooperationspartner „Unser Mitteleuropa“.

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Elmar Forster
Elmar Forster
Dr. Elmar Forster studierte in Innsbruck und West-Berlin Germanistik und Geschichte. Er erlebte in Berlin den Fall der Mauer mit. Seit 1992 arbeitet(e) er als Auslandslektor in Ungarn, Prag, Bratislava (Poszony) und bereiste die Länder des ehemaligen „Ostblocks“. Seit 1992 lebt er als Auslandsösterreicher in Ungarn.

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