Donnerstag, 25. April 2024

Für ein Europa wahrer Vielfalt und Freiheit

Wer in der Brüssel-EU von Europa, Vielfalt und Freiheit spricht, will betrügen. Die in dem Bändchen „Europa – Ein ungesicherter Begriff“ versammelten Artikel von Dr. habil. Eberhard Straub zeigen, was unter wahrer europäischer Mannigfaltigkeit und Freiheit zu verstehen ist. Ein Gastbeitrag von Dr. Wulf D. Wagner

Wer erst einmal in dem harten Sessel im Stile deutscher Neorenaissance Platz genommen hat, das Bier oder den Wein vor sich, der kommt so schnell nicht wieder hoch, die Stunden rauschen dahin, die Unterhaltung kreist und schwingt und begeistert sich – Geschichte, Kunst, Literatur und immer wieder die Frage, was wird aus unserem geistig-kulturell so reichen Europa, von dem die Europäische Union nichts mehr wissen will.

Gegenüber auf dem biedermeierlichen Sofa sitzt – dem Gast stets zugewandt mit frohem Lachen und sprühenden Augen – Eberhard Straub (Foto © Screenshot YT) , gestikuliert mit den Armen und Händen und es finden sich nicht Punkt noch Komma, denn die Gedanken, die Ideen, die Weite europäischen Denkens wirbeln unter den Stichen des geliebten Italiens, unter den Blicken Friedrichs des Großen und des bayerischen Königs Ludwig II. nur so dahin.

Nichts scheint Straub unbekannt, sieht man von Aktien oder Chemie ab. Vertraut ist er mit der abendländischen Kultur von der Antike an, war doch sein Vater der Althistoriker Prof. Johannes Straub, wuchs er früh mit den antiken Sagen und den klassischen Spachen auf, um sich später selber den vielfältigsten Studien zuzuwenden. Den Raum Europas von Lissabon bis in die Tiefen Russlands, die Schönheiten unserer Kulturen und die Wege wie auch Wirren unserer Geschichte und ihrer Gestalter – zu all dem hat er viele Bücher verfasst. Und sollte es doch einmal eine Wissenslücke geben, so freut Straub sich umsomehr darüber, dass er auch im Alter noch von Jüngeren dazulernen darf. Stets neugierig darauf „was denen so durchs Gemüt rauscht“ faszinieren ihn ungewöhnliche Ideen junger Gäste, mit denen – wie es der hier zu besprechende Band zeigt – darüber nachzudenken ist, wie wir unser Europa befreien können aus den Fängen „totaler marktwirtschaftlicher Mobilmachung“ und der „Eingewöhnung in die geschmackliche Gleich­schaltung“, die sich „darin erschöpft, französischen Käse mit italienischem Landwein und deutschem Brot bei spanischer Musik im englischen Hochland zu genießen“.

Unangepasst bewahrt sich Straub vor Vereinnahmung

Straub gehörte einst zur FAZ, er schrieb für die ZEIT und die WELT, im Deutschlandradio war er über Jahre zu hören, bis man im Zuge der Vereinigung von Deutschlandradio und -funk auf „alte weiße Männer“ mit Bildung verzichtete – denn diese könnten den selbstüberzeugten Jüngeren ja geistig gefährlich werden. Nun schreibt Straub halt seit Jahren in der Jungen Freiheit und ab und an für die Preußische Allgemeine Zeitung – da ist sein Schreiben aus der Fülle europäischen freien Geistes noch erwünscht.

Zwei längere Aufsätze stammen außerdem aus der internationalen katholischen Zeitschrift „Communio“, einer Gründung Kardinal Joseph Ratzingers, Freund der Familie Straub, und der neurechten „Sezession“. Doch Achtung, liebe mitlesende Linke, vor vorschnellen Urteilen – einer der Aufsätze erschien zuerst in der Gewerkschaftszeitung „Kultur“, denn Straub zählte zu seinen Freunden Politiker der „Linken“ und über den von ihm geschätzten Pierre-Joseph Proudhon, über die Kommunisten Luciano Canfora, Domenico Losurdo oder Peter Hacks könnte er ebenfalls endlose Diskussionsabende füllen.

Und so stammen andere Texte wiederum aus dem globalistischen Rotary Magazin, womit allein die Erscheinungsorte den sich jeder politischen Vereinnahmung entziehenden Denker zeigen, der sich übrigens diesen Orten der Veröffentlichung durchaus nicht etwa anpasst.

Brüssel-Europa hat sich von Europa entfernt

Nun vereint ein kleiner Band acht Straub‘scher Artikel, die zwischen 1994 und 2020 in den genannten Zeitschriften und Zeitungen zu „Europa“ erschienen sind. Es stört dabei nicht, dass manches Zitat sich zwei-, dreimal findet, denn stets variieren sie in überraschenden Zusammenhängen, um dem Hauptthema aller Artikel nachzugehen: dem Gegensatz zwischen der mehr und mehr zur „ideologischen Gemeinschaft“ eines „totalen Westeuropas“ gewordenen EU und jenem, aufgrund verlorener Bildung unbekannten oder vergessenen Europa von vor 1914, einem „Reich der nationalen und regionalen Sonderformen, Freiheiten und Eigensinnigkeiten“.

Und so heißt es gleich im Vorwort: „Das Brüssel-Europa widerspricht sämtlichen europäischen Überlieferungen praktischer Weltklugheit. Jetzt wollen Funktionäre Einheit und nicht Einigkeit, Monotonie statt Polyfonie, die Gleichheit der Lebensverhältnisse, des Denkens und Wünschen und Wollens, sie möchten die Freiheit ersticken, […], da nur die Gleichschaltung der staatlichen und sozialen Apparate technische Effizienz garantiere […]. Vom Geist und seiner Geschichte in Europa ist nicht mehr die Rede. Er widersetzt sich ja der schönen, neuen EU-Welt totaler Erfassung und Reglementierung aller lebendigen Kräfte. Das freie Leben steht in Brüssel unter Verdacht, der Gesundheit zu schaden, der körperlichen wie der geistigen.“

Straub lässt seine Kritik an Uniformierung, Kulturverlust und vereinfachten Geschichtsbildern der EU nicht ohne Belege stehen, sondern stellt aus dem reichen Fundus seines Wissens jenes andere Europa vor, in dem man wahrhaft „neugierig auf die anderen“ war und das „eine Begeisterung für die nationalen Sonderformen [weckte], die sich dem französischen génie national, der italianità, hispanidad oder dem deutschen Geist wie der russischen Seele verdankte.“

Um den Leser also für dies unerschöpfliche Europa neu zu begeistern, bespickt Straub seine Artikel ideenreich, humorvoll und ab und an poetisch mit Bildern oder Anekdoten aus der Geschichte, die uns im Kleinen wie Großen zeigen sollen, wie wahrhaft geeint unser Kontinent schon vor dem Ersten Weltkrieg gewesen ist; so heißt es in „Das Ende einer großen Epoche“:

„Eines der letzten großen Ereignisse unmittelbar vor Ausbruch des Krieges war die Premiere des Balletts ‚Josephs Legende‘ am 14. Mai 1914 in der Pariser Grand Opéra. Dort traf sich die vornehme Welt Europas und feierte sich als eine gemeinsame große Welt, […]. Komponist und Dirigent war der Preußische Generalmusikdirektor Richard Strauss, ein geborener Bayer, die Handlung hatten Graf Harry Kessler aus Weimar, Sohn eines Schweizers und einer Irin, sowie der Österreicher Hugo von Hofmannsthal mit italienischen Vorfahren entworfen. Die Bühnenbilder stammten von dem spanisch-katalanischen Maler José-Maria Sert, verheiratet mit einer der legendärsten Schönheiten, der Misia Sert, einer polnischen Russin mit belgischer Mutter, aufgewachsen in Frankreich, früher die Muse der Maler Henri de Toulouse-Lautrec und Auguste Renoir. Für die Choreografie war der Russe Michel Fokine verantwortlich.“

In ähnlicher Weise fügt Straub andere Europäer in die Texte ein, Eugenio von Savoy etwa, „wie sich der Franzose italienischen Ursprungs schrieb“, der „als edler Ritter für die Deutschen, deren Sprache er nicht beherrschte, zu einem ihrer wenigen unumstrittenen ‚Nationalhelden‘ geworden“ war, oder Händel und Mozart, Rubens und stets Goethe; aber auch jene Politiker, die nach 1945 die Europäische Gemeinschaft gründeten, treten auf:

„Die Europäische Union hat längst einen Weg eingeschlagen, der sie immer weiter entfernt von den Absichten der großen Europäer Alcide de Gasperi“, von dem Straub weiß, dass er „ehedem ein kaisertreuer Tiroler aus Trient und Abgeordneter im Österreichischen Reichsrat von 1911 bis 1918“ gewesen war, „Robert Schuman, Konrad Adenauer oder Charles de Gaulle. Sie kamen noch aus dem alten Europa, waren mit dessen Geschichte vertraut und mit der Anhänglichkeit der einzelnen Völker an ihr ‚Fürsichsein‘ und ihre geringe Neigung, sich in Großorganisationen einzufügen. Als Humanisten war ihnen bewusst, wie der Attische Seebund, eine demokratische Union griechischer Stadtrepubliken, rasch zu einer unerträglichen Despotie wurde, die gerade Unterschiede nicht versöhnte, sondern erst richtig verschärfte.“

Europa ist mehr als der Westen

Dieser Weg in die Despotie ist das andere Thema, das sich durch alle Artikel hindurchzieht, hat Straub es doch auch in seinem Buch „Zur Tyrannei der Werte“ ausführlich behandelt. Mit knappen Exkursen, die den durch bundesrepublikanische Schulen „Gebildeten“ verwirren, kehrt er etwa zum ideologischen Ursprung des sich steigernden Verhängnisses zurück, das sich im Krimkrieg (1853–1856) mit seiner englischen Agitation gegen Russland als „Reich der Dunkelheit“ ankündigte und im Ersten Weltkrieg mit der westlichen Kriegspropaganda fortgesetzt wurde, nun nicht mehr im Zarenreich sondern im Deutschen Reich die vermeintlichen „Zivilisations- und Freiheitsfeinde“ zu erkennen. Hieß es in der Times zur Neutralität Preußens im Krimkrieg spöttisch: „Preußen […] findet sich gerne auf Kongressen ein, aber es fehlt auf den Schlachtfeldern“, so wurde der Begriff „Westen“ nach 1914 „als polemisch-ideologische Waffe gegen Deutschland eingesetzt,“ das nunmehr als militaristisch galt, um dann heute erneut gegen Russland angewandt zu werden, das sich der „Verwestlichung“ verweigert.

Russland aber gehört für Straub unumstößlich zu Europa und er beklagt: „Europa hat sich auf Westeuropa verengt. Ein anderes Europa kennt der Westeuropäer nicht und mag es sich auch gar nicht vorstellen. Er anerkennt in Osteuropäern erst dann Europäer, wenn sie sich als durch und durch gelernte Westler erweisen,“ was wir gerade wieder im Verhältnis Brüssels zu Polen und Ungarn oder gegenüber den die „falsche“ Partei wählenden Mitteldeutschen erleben.

„Die ideologisierten ‚Westmenschen‘ irritiert es, wenn einer anders als sie sein möchte. Für diese offenen, multikulturellen Mitmenschen allgemeiner Mitmenschlichkeit ist es eine Herausforderung, wenn einer in Europa ihren Normen nicht entspricht.“ Genau diesen genormten „Westmenschen“ stellt Straub in immer neuen Schlenkern einige geschichtliche Zusammenhänge und jene Europäer vor, die „zu keiner Zeit in ihrer langen Geschichte Einheit und Einförmigkeit für erstrebenswerte Ziele“ hielten und denen wie Goethe gerade „die Fülle der Residenzen und regionaler Mittelpunkte im Reich als Ausdruck der Lebensfülle“ gefielen.

Moralisch selbstwiderlegt in die Götterdämmerung

Lebensfülle? Freiheit? Wieviel ist davon 2021 noch geblieben?

Die gern gepflegte moralische Überheblichkeit des Westens bzw. Brüssels und vor allem Berlins ist im Zuge des gegenüber jeder Meinungsabweichung unduldsamen Corona-Regimes zur unangemessenen Phrase geworden. Die stets gepriesenen „westlichen Werte“ sind ohne Zögern über Bord geworfen. Die geistige Verengung wurde nochmals gesteigert.

Hier aber passen Straubs ältere Aufsätze, da sie niemals in bloßer Aktualität versinken, noch perfekt zur Lage, in der wir Europäer seit über einem Jahr durch selbstherrliche Regierungen mit immer neuem Freiheits- und Grundrechteentzug unterworfen wie auch kondizioniert werden sollen. Zeichen voranschreitender Normierung sieht Straub im Artikel „Das Sinnbild einer europäischen Stadt“ auch in den Brüsseler EU-Bürobauten, die „mit ihrer Banalität ein Bild erstarrten Lebens, ins Monumentale gesteigert [vermitteln], um von seiner Nichtigkeit abzulenken.“

Erstarrtes Leben – was könnte Straub mehr widerstreben. Und so fliegen seine bunten Artikel geistreich, ohne intellektuell überfrachtet zu sein, so dahin, öffnen gedankenreich den Diskurs, um nicht etwa verbiestert sich zurückzuziehen, sondern frohen Mutes aus unser derzeitigen Verengung auszubrechen, damit „der Aufbau eines in Vielfalt geeinten Europa tatsächlich keine Illusion bliebt“.

Straub verfiel auch 2020/21 nicht in irgendwelche Paniken, vielmehr ist sein Credo, wenn er die gegen abweichende Länder und Menschen immer rigider auftretende EU betrachtet, frei nach Richard Wagner: „Ihrem Ende eilen sie zu“, denn die Götterdämmerung wird „auch für die Götter in ihrem belgischen Walhalla kommen, sobald der Geist der Freiheit Europäer wieder begeistert und sie zu wahren Europäern macht.“

Straubs „Europa“ befindet sich in guter „EXIL“-Gemeinschaft

Mit seinem verspielten und doch klaren Sprachstil, seinem unangepassten wie freiem Geist passt Straubs Band gut in die bereits vierte Staffel mit je drei Bändchen der farbige Reihe „EXIL“, die die engagierte und couragierte Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen herausgibt. Erschienen sind dort unter anderem Monika Maron, Uwe Tellkamp, Matthias Matussek oder nun Thor Kunkels sich ebenfalls wie Straub der Konformität widersetzender Band „Der Weg der Maschine“.

Die Freude an dem Bändchen – das sei nicht verschwiegen – wird etwas getrübt durch die fehlende Sorgfalt aufgrund der Eile des Verlages. Wer mühsam gesetzte Bücher aus dem 19. Jahrhundert liest, ist immer wieder erstaunt, keine Tippfehler zu finden. In unserer vermeintlich so fortschrittlichen digitalisierten Welt haben wir uns dagegen gerade bei großen Verlage an Bücher gewöhnt, die von Fehlern strotzen. Bei einem kleinen Verlag, zudem bei dieser hübschen Taschenbuchreihe „EXIL“, sind solche Mängel des Lektorats oder technischer Versehen schade. Der Leser wird die Flüchtigkeitsfehler gnädig überlesen, und wenn er bei „Labilität“ (statt Latinität), bei „Fas“ (statt fast), bei „Berit“ (statt bereit) oder bei „und übersehbaren Willen“ (statt „unübersehbarem Willen“) im Lesefluss stockt, so wird dieser Moment des Grübelns vielleicht dazu führen, die entsprechenden Sätze genauer zu durchdenken.

Auch die chronologische Anordnung ist nicht ganz sinnvoll; all jenen, die bisher Straubs Stil nicht kennen, empfehle ich, die Texte von hinten nach vorne und also den aus „Communio“ als letzten zu lesen, so findet man sich besser in Straubs Denken zurecht.

Bis spät in die Nacht sitzt die gemütliche Runde bei Straub, vereint in sich frei austauschendem europäischen Geist. Aus der Bibliothek grüßt der große Kopf Kaiser Augustus herüber und bringt das Thema nochmals über jenen Gründer des römischen Kaiserreiches zu uns Deutschen bzw. dem von Straub so geschätzten Hause Habsburg, der Casa de Austria, die das Heiliges Römisches Reich von Brüssel bis Mailand verwalteten … Doch genug, sonst beginnt auch der Rezensent mit dem Kreisen und findet kein Ende, sondern nur immer neue Anfänge – wie sie Straubs anregenden Texten eigen sind.

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Bleibt nur noch zu sagen, dass das Büchlein auch zur Erhaltung der Vielfalt unserer Verlagskultur direkt bei der edition buchhaus loschwitz und nicht bei großen Onlineanbietern bestellt werden sollte:

 

Eberhard Straub: Europa – Ein ungesicherter Begriff. edition buchhaus loschwitz 2021. 98 Seiten. 17 €

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