Donnerstag, 19. Dezember 2024

Wahlstrategie für Nichtwähler, Protestwähler und Unzufriedene

Wie kann ich mit meinen zwei Stimmen maximalen politischen Einfluss nehmen und warum zementiere ich durch Nichtwählen gerade die Verhältnisse, die mich womöglich haben resignieren lassen?

Zwei Fragen sollte man sich stellen:

1. Bin ich zufrieden, so wie es ist?

Bin ich zufrieden genug, dass ich der Regierung oder Regierungsbeteiligten durch meine Stimme die Zustimmung zum „Weiter so“ gebe?

2. Wie kann ich – vor allem wenn ich NICHT zufrieden bin – meiner Stimme, also meinem politischen Statement größtmögliches Gewicht verleihen?

Dafür gibt es Tricks und Strategien, auf die man z. B. verzichtet, wenn man eine Volkspartei, oder immer das Gleiche, oder gar überhaupt nicht wählt. Wer nicht mal protestwählt, bestätigt ungewollt die bestehenden Verhältnisse.

Der Politik ist völlig egal, ob 10 oder 100 Prozent zur Wahl gehen, für die Politik sind nur die relativen Mehrheiten interessant. Kein Politiker weint, weil nur 10 Prozent zur Wahl gingen. Politiker weinen nur, wenn sie ihren Posten verlieren, und das erreicht man nicht durch Nichtwählen. Über nicht abgegebene Stimmen, oder Stimmzettel wie oben im Titelbild, lachen die bloß.

Kurze Auflistung der nachfolgend beschriebenen Strategien:

– Erststimme: Viele Wähler verschenken ihre Erststimme an aussichtslose Kandidaten und halbieren dadurch das Gewicht ihrer Stimmen.

– Stimmensplitting: Wie verteile ich meine zwei Stimmen strategisch klug?

– Protestwahl: Kleine Parteien, selbst angeblich oder tatsächlich radikale, gefährden nicht die Demokratie (dazu sind sie zu klein), sind aber – wenn sie viele Stimmen bekommen – ein wichtiger Hinweis (Wink mit dem Zaunpfahl) für die großen Parteien, um welche Themen sie sich zukünftig vermehrt kümmern müssen. Das ist nachhaltiger als das, was kleine Parteien selber bewirken können. Protestwähler haben deshalb sogar MEHR politischen Einfluss als brave Volkspartei-Wähler, die im Grunde genommen nur den Status Quo zementieren und jeglichen politischen Einfluss an „ihre“ Partei delegieren.

– Ausschlussliste bzw. Wahl des kleineren Übels: Statt der „Pros“ (da gibt es eh keine) einfach mal die „Kontras“ aufzählen: Wer geht gar nicht und wer eventuell, zur Not, als „Made, die den Hungertod verhindert“? Und dann sollte man wenigstens diejenigen Personen oder Parteien mit den wenigsten Negativpunkten durch seine Stimme unterstützen. Warum sich einem großen Übel ausliefern, nur weil man das kleinere Übel nicht unterstützen wollte?

Wer sich bereits jetzt in diesen Punkten wiedererkennt bzw. davon angesprochen fühlt, der mag die nachfolgenden Erläuterungen überspringen und gleich weiter unten die Überschrift Wahlstrategie suchen.

Und wer im Gegensatz dazu eigentlich zufrieden ist – mit dem Status Quo, der Politik, allem wie es eben ist – der mag jetzt gänzlich aussteigen. Ich will hier niemandem sein eingebildetes Glück ausreden.

Wer aber unzufrieden und trotzdem unsicher ist, der muss sich eventuell zunächst von einer Reihe von Vorurteilen und bewusst von den etablierten Parteien gestreuten Ängsten und Diffamierungen lösen.

Vorurteile, Gerüchte und Diffamierungen im politischen Kampf gegen kleine und neue Parteien:

1. Diese oder jene kleine Partei sei nicht „regierungsunfähig“.

Das unterstellt, dass große Parteien regierungsfähig wären, wobei die bloße Tatsache, dass sie es tun (regieren), sicherlich kein hinreichender Beleg dafür ist, dass sie es auch können.

Es ist aber auch gar nicht nötig, „regierungsfähig“ zu sein. Für die Regierungsfähigkeit sind zuallererst die Ministerien und deren Beamte und Experten zuständig, nicht die Politiker. Die Experten sagen den Politikern dann schon, was geht und was nicht geht. Und falls trotzdem grobe Fehler auftreten, gibt es ja auch noch die Gerichte, allen voran das Verfassungsgericht. Solche Schnitzer, die dann von Gerichten einkassiert werden, passieren selbst den erfahrenen Volksparteien und Berufspolitikern regelmäßig, dafür braucht es keine „radikalen“ Parteien.

Und schließlich und endlich sorgen ja auch die Mehrheitsverhältnisse im Parlament für gesunden Ausgleich. Radikale Ideen radikaler Parteien oder Personen können sich dort nicht durchsetzen, selbst wenn diese Parteien 20 oder mehr Prozent erzielen sollten. Die Demokratie reguliert sich selbst, sie muss nicht von selbsternannten „Demokratieschützern“ bewahrt werden, und schon gar nicht von großen Volksparteien, die selber die größte Gefahr für die Demokratie darstellen, da sie sich, u. a. durch Fraktionszwang und Koalitionen, zu nicht mehr ablösbaren „Einheitsparteien“ etablieren können und dann in diesem selbst geschaffenen Elfenbeinturm immer weiter vom Wähler entfernen.

Fazit: Die Unterstellung, „nicht regierungsfähig“ zu sein, ist erstens Unsinn und zweitens eine Anmaßung derer, die sich offenbar für regierungsfähig halten.

2. Diese oder jene kleine Partei sei „populistisch“ oder gar „böse“ oder irgendeiner unheilvollen Himmelsrichtung verfallen.

Diese Verunglimpfungen sind zur Zeit besonders beliebt und leider auch erfolgreich. Um sich nicht sachlich mit den Argumenten und politischen Zielen des Gegners auseinandersetzen zu müssen, bezeichnet man ihn schlicht als populistisch, ungebildet, dumm oder gar irgendwie böse, bedrohlich, demokratiefeindlich.

Dem aufmerksamen Zuhörer sollte auffallen, dass NICHTS davon Argumente sind. Es handelt sich schlicht um Diffamierungen und damit Hetze. Hetze gegen politische Gegner. Hetze gegen Minderheiten, die sie wählen könnten.

Fazit: Alle Parteien sind letztlich „populistisch“ (sie wollen ja gewählt werden, und zwar um jeden Preis). Und „dumm“ und „böse“ ist es vor allem, einen politischen Gegner als dumm und böse zu bezeichnen, ohne dessen Zielen und Argumenten eigene Entwürfe und Ziele entgegenzusetzen.

Nur eine Partei, die die absolute Mehrheiten erreicht, könnte tatsächlich zur Gefahr für die Demokratie werden, niemals eine kleine Partei, egal wie radikal sie sein sollte. Sie kann Zünglein an der Waage bei wichtigen Entscheidungen sein, aber keine eigenen, verrückten Ideen durchsetzen.

Nachdem wir nun gewissermaßen die theoretischen Grundlagen abgearbeitet haben, können wir jetzt endlich zu den eigentlich schlichten und leicht nachvollziehbaren Strategien kommen.

Wahlstrategien

Umgang mit der Erststimme:

Die Erststimme bestimmt bzw. ermittelt durch einfache Mehrheit den Kandidaten eines Wahlkreises (Es gibt in Deutschland 299 Wahlkreise). Alle anderen Kandidaten fallen durch. Das bedeutet, dass auch sämtliche Stimmen für sämtliche anderen Kandidaten verloren sind. Es macht deshalb keinerlei Sinn, auf unbekannte Kandidaten kleiner Parteien zu setzen.

Soll die Erststimme nicht schlicht verloren gehen, hat man nur zwei Möglichkeiten:

Man unterstützt einen der beiden populärsten Kandidaten (in der Regel die der beiden „Volksparteien“, regional können es aber natürlich auch parteilose Kandidaten oder populäre Vertreter kleiner Parteien sein). Oder man versucht, einen der Beiden zu verhindern, indem man seine Stimme dem jeweils anderen (dem zweiten populären) Kandidaten gibt, der dann zumindest das kleinere Übel ist.

Würde man stattdessen einen Kandidaten der bevorzugten Partei oder der persönlichen Sympathie wählen, obwohl er keine Chance hat, eine Mehrheit zu erlangen, ist die Stimme schlicht verloren.

Damit ist dann auch schon das Stimmen-Splitting erklärt. Man wählt mit der Erststimme das kleinere Übel unter den beiden populärsten Kandidaten, und mit der Zweitstimme die Partei, die man favorisiert, wobei hier als Einschränkung die 5 Prozenthürde wirkt. Eine Stimme für eine Partei, die keine Chance hat, die 5-Prozenthürde zu überwinden, ist eine verlorene Stimme, kommt also einer Wahlenthaltung gleich. Auch hier wählt man also besser das kleinere Übel als eine Partei, die völlig chancenlos ist.

Protestwahl:

Das Prinzip der Protestwahl ist es, nicht die Person oder Partei zu wählen, der man am ehesten zutraut, das Land zu regieren (was ohnehin eine reine Illusion ist), sondern stattdessen ein politisches Statement abzugeben. Man stärkt eine Partei, die nur geringe Chancen hat, an der Regierung beteiligt zu werden, setzt damit aber ein Signal für den Bürgerwillen.

Dieses Signal hat durchaus nicht nur symbolischen Charakter, sondern ist auch eine schmerzhafte Abstrafung der Regierungsparteien. Diese verlieren nämlich gut dotierte Sitze und Posten für ihre Parteisoldaten. Sie werden sich deshalb zwangsläufig, spätestens nach der Wahl, mit der Frage auseinandersetzen, wie sie solchen Sitzverlust zukünftig verhindern können und ihre Politik und ihre Programme entsprechend überarbeiten.

Der Einfluss kleiner Parteien auf die Politik findet generell eher über diesen indirekten Weg, quasi die „Unterwanderung“ der Politik und Ideologie der etablierten Parteien statt:

– Der Einfluss der Grünen beispielsweise spiegelt sich inzwischen weit mehr in der veränderten Umweltpolitik, dem erwachten Umweltbewusstsein der Konservativen wieder, als in direkten Gesetzentwürfen und Abstimmungen der grünen Partei.

– Der Einfluss der Linken spiegelt sich desgleichen weit mehr im – zumindest zum Schein – wieder erwachten sozialen Gewissen der Sozialdemokraten wieder, als in direkter (ohnehin meist verweigerter und boykottierter) politischer Mitwirkung.

– Und inzwischen macht sich auch der Einfluss der AfD bemerkbar, deren Forderungen und Lösungsvorschläge nach und nach zum Bestandteil der Politik und der Ziele zumindest der Konservativen und der Liberalen werden (auch wenn diese das natürlich verbal zu verschleiern suchen).

Es ist also völlig unerheblich, ob die kleinen Parteien per Koalition an der Regierung beteiligt werden und es ist auch egal, ob sie „regierungsfähig“ sind. Wichtig ist, dass sie ein schmerzhaftes Bürgerstatement an die Adresse der Etablierten sind.

Eine Stimme für eine der kleinen Parteien, je nach politischer Präferenz, hat also mehr Gewicht als eine Stimme für eine Volkspartei, die zudem keinerlei Differenzierung bei den politischen Wünschen und Vorstellungen erlaubt. Volksparteien muss man nehmen wie sie sind, inklusive der regelmäßig gebrochenen Wahlversprechen.

Bleibt noch die Ausschluss-Liste:

Wenn man sich weder für eine Person noch für eine Partei zu entscheiden vermag, fertigt man eine Negativ-Liste an und wählt dann die Partei oder Person mit den wenigsten Negativ-Punkten bzw. Nachteilen, sprich: Das kleinere Übel.

Wenn man die Wahl zwischen Regen und Wolkenbruch hat, warum sollte man dann die Entscheidung, welchem Wetter man zukünftig ausgesetzt wird, anderen überlassen?

Geht wählen Leute. Gebt ein politisches Statement ab. Lasst Euch nicht von den Etablierten einreden, dass nur SIE das Land regieren können. Sie beweisen doch täglich, dass sie es NICHT können …

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Pommes Leibowitz
Pommes Leibowitzhttps://pommes-leibowitz.com
Studium der Wirtschaftswissenschaften, danach als Analyst im Marketing eines globalen Konzerns tätig gewesen. Inzwischen selbständig. Zeitweise bei den Piraten und als Internet-Aktivist unterwegs, dabei diverse Kampagnen entwickelt. - Er sieht sich heute als Kolumnisten in Wort und Bild (Photoshop), der sich eher Fragen des Zeitgeistes als konkreten, aktuellen Ereignissen widmet.

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