Donnerstag, 21. November 2024

Todesmutige Schauspieler aufgrund Outing geehrt

Im Februar diesen Jahres brachte die Süddeutsche eine Geschichte, die die Welt in Atem hielt. 185 Schauspieler outeten sich als homosexuell. Medien, wie die Achse des GutenTheEuropean und auch mein Blog berichteten über diese Unglaublichkeit. Schauspieler sind schwul, Schauspielerinnen lesbisch? Ich hätte es nie geahnt. Ein Gastbeitrag von Julian Marius Plutz.

Wahrscheinlich fühlten sich die Redakteure wie Helden. Möglicherweise sehen sie sich auch in der von Alice Schwarzer initiierten Stern-Kampagne „Wir haben abgetrieben“. Doch bevor das SZ- Magazin im Gegensatz zum Interruptio bedeutungsschwanger wird, sei gesagt: Gegen Jonathan Berlin oder Tucké Royale, die kein – Pardon – Schwanz kennt, oder Ulrich Matthes und Jacky Schwarz, immerhin halbwegs bekannte Schauspieler, waren die Prominenten, die sich 1971 im Stern outeten, von einem ganz anderen Kaliber: Von Romy Schneider, bis Senta Berger bekannten sich auch in einer ähnlichen Aktion in Frankreich die großartige Chaterine Deneuve, so wie Simone De Beauvoir zu ihren Abtreibungen.

Ein renommierter Preis macht sich lächerlich

Mit solchen Granaten kann #actout leider nicht dienen. Einen Preis gibt es dafür trotzdem, was der Bundesverband Schauspiel am Donnerstag, 29. Juli, bekannt gab. Der Ehrenpreis „Inspiration“ des Deutschen Schauspielpreises gehen an die Initiatoren. Stellvertretend für die todesmutigen Schauspieler, werden Karin Hanczewski und Godehard Giese (#ActOut) sowie Kai Pieck (Netzwerk Queer Media Society) ausgezeichnet. Prima. Jetzt weiß ich auch, dass es eine Queer Media Society gibt. Ich setzte bisher ganz auf Black Rebel Society.

Ich habe mich längst aufgehört zu wundern, für was man alles einen Preis bekommen kann. Interessant ist es trotzdem. Der deutsche Schauspielpreis gilt als durchaus renommierte Auszeichnung. So ist beispielsweise Maria Hofstätter für dieses Jahr nominiert, die in dem beeindruckenden Film „Fuchs im Bau“ die eigensinnige Gefängnislehrerin spielt. Auch 2020 wurden Größen wie Nicole Heesters oder Dieter Mann ausgezeichnet.

Weshalb nun aber #act out? Die Schauspieler riskieren gar nix. Die Künstlerszene ist so schwul wie Fans des Eurovision Songcontest (ESC). Und das ist auch völlig in Ordnung. Ich erinnerte mich, als ich in Würzburg einen ESC in einer Bar verfolgte. Bei Conchita Wursts „Rise like a phoenix“ war kein Auge trocken. Alt- und Junghomos bewegte dieses Lied. Keiner hatte sich dabei etwas gedacht, weshalb auch? Der ESC ist so schwul, wie die Besucher in einer durchschnittlichen Theaterkantine: Überwiegend.

Zeichen setzen für nichts und niemanden

Das weiß auch jeder. Im Februar noch wunderte ich mich aufgrund des Outings von Schauspielern. Der Preis dafür ist daher nur folgerichtig und passt in diesen wenig geistreichen Zeitgeist. Man muss nichts mehr riskieren, um Mut zu zeigen und auf die Titelseite unmaßgeblicher Magazine zu kommen. Es genügt, den Ton der Zeit zu treffen. Für die Hessenschau, aber auch für viele andere Medien ist allen Ernstes die Tatsache eine Meldung, dass Sebastian Vettel Schuhe mit einer Regenbogenfahne trägt. Ein „Zeichen“ hätte er gesetzt gegen „Homophobie“. Endlich haben wir Schwulenfeindlichkeit besiegt, weil ein Rennfahrer, der seit längerem über seinen Zenit fährt, in Budapest bunte Schuhe trägt. Wenn das nicht infantil ist, was dann?

Wir leben in einer Welt der bedeutungslosen Symbole. Deutsche Fußballkicker knien sich vor einem Spiel nieder, weil in den USA vor mehr als einem Jahr George Floyd ums Leben kam. Während weniger Tage vor dem Kniefall im Stadion und nur 200 km von der Allianz Arena entfernt ein Mann drei Menschen abschlachtete. Trauerflor wäre angebracht gewesen. Stattdessen wird die Regenbogenfahne gezeigt, weil ein Staat ein Gesetz auf den Weg brachte, das man zwar mit Recht kritisieren kann, sich aber in einem rechtsstaatlichen und demokratischen Rahmen abspielt.

Ullrich Matthes spielt demnächst Manuel Neuer

Vettel riskiert gar nichts, weil er auch gar nichts damit erreicht. Was sollte er damit auch bewirken? Victor Orban lässt sein Volk über das LGTB – Gesetz abstimmen. In Ungarn gibt es eine eingetragene Partnerschaft. Sicherlich kann man in dem Land noch mehr für Homosexuelle tun. Illegal lebt jedoch kein Schwuler. Im Unterschied zu Katar, in der Homosexuelle im Gefängnis sitzen. Mir ist nicht bekannt, dass Vettel im März beim Großen Preis dort „Zeichen“ mit seinen Turnschuhen gesetzt hat. Schade. Hier hätte er wirklich etwas riskiert. Regenbogenfarben in Ungarn provoziert längst keinen mehr. In der islamischen Diktatur Quatar hätte er damit Aufmerksamkeit erregt. Ein Thema, das fast den gesamten Profisport betrifft.

Vielleicht bekommt Sebastian Vettel, oder Manu Neuer, stellvertretend für „Die Mannschaft“ auch einen Preis. Vielleicht den Brigitte-Award in der Sonderkategorie „Gratismut“. Die todesmutigen Schauspieler von #Actout könnten das Ganze dann verfilmen. Ullrich Matthes ist ein so dermaßen ernsthafter Schauspieler, dem würden Sie auch die Rolle als Manuel Neuer abnehmen. Ganz bestimmt.

Zum Autor: Julian Marius Plutz ist 1987 geboren und betreibt seinen eigenen Blog neomarius.blog. Hier erschien der oben veröffentlichte Text zuerst. Ferner erscheinen seine Texte unter anderen auf TheEuropean.de und achgut.com. In seinen Texten beschäftigt er sich mit dem Arbeitsmarkt, der politischen Linken und der LGBT Bewegung. Hauptberuflich arbeitet Herr Plutz im Personalbereich.“

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