Dienstag, 15. Oktober 2024

ESC-Ergebnis in Rotterdam – Im Sinne eines Europas der Vaterländer

Beim ESC in Rotterdam hat sich Deutschland einmal wieder mit einem englischsprachigen Allerweltslied mit politisch korrektem Inhalt blamiert. Umso erfreulicher ist aber, dass die vorderen Plätze dieses Mal so deutlich wie schon lange nicht mehr zeigen: Einen national geprägten Beitrag zu präsentieren ist alles andere als ein Erfolgshindernis. Ein Gastbeitrag von Daniel Schweizer

Keinen einzigen Punkt gab es vom Televoting der Zuschauer für Deutschlands englischsprachige politisch korrekte Anbiederung. 3 Punkte von Juries bewahrten Deutschland noch vor dem letzten Platz, den das Vereinigte Königreich mit insgesamt 0 Punkten einnahm. Mit Blick auf das Gesamtergebnis muss Deutschland seine Lehre ziehen und endlich einmal einem deutschsprachigen Lied eine Chance geben, das unsere deutschsprachige Musik authentisch repräsentiert. Denn auf den vorderen Plätzen lagen dieses Mal in einem seit der Einführung der freien Sprachwahl nie dagewesenen Gewicht Lieder in der jeweiligen Landessprache.

Nur acht von 26 Finalisten sangen am vergangenen Samstag in ihrer jeweiligen Landessprache. Gemessen an ihrem geringen Anteil ist es umso erfreulicher, dass gleich fünf von ihnen in den Bereich der ersten zehn Plätze gelangten: Russland, Ukraine, Schweiz, Frankreich und Italien. Seit der Einführung der freien Sprachenwahl 1999 gab es diese Bilanz nur in den Jahren 2003 und 2012. Vier von ihnen – Ukraine, Schweiz, Frankreich und Italien – schafften es auf die ersten fünf Plätze. Ja, sogar die ersten drei Plätze waren vollständig mit landessprachlichen Liedern belegt. Das bedeutet auch, dass es mit Italien wieder einen landessprachlichen Sieger gibt. In den letzten 22 Jahren gab es das bislang nur 2007 mit Serbien, 2016 mit der Ukraine und 2017 mit Portugal.

Sieger Italien

Sieger von Rotterdam – mit dem fünften Platz bei den Juries und ersten Platz beim Televoting – ist  Italien mit der Rockband Maneskin und dem Titel „Zitti i buoni“. Einerseits positiv: Der Sieg beweist, dass die Landessprache kein Siegeshindernis ist, wenn das Gesamtpaket aus Lied und Performance Publikum und Jury überzeugen. Der Wermutstropfen ist aber, dass dieser Rocksong kein Sieg für Emotionen und Niveau ist.

Es gab schon wesentlich melodischere Rocksongs, die auch ihren Erfolg verdienen. Mit dieser Krachnummer hat sich die gerade für ihre hochwertige Musik bekannte Kulturnation Italien weit unter ihrem Wert verkauft. In den Jahren 2015+18+19 wäre Italien der Sieg mehr zu gönnen gewesen. Schade, dass dieses „Lied“ zwei niveauvolle französische Chansons auf die Plätze 2 und 3 verdrängt hat.

Chansons aus Frankreich und der Schweiz

So schade dies ist, umso erfreulicher ist es, dass Frankreich und die Schweiz mit ihren Chansons eine seit Jahren nicht mehr dagewesene Platzierung erzielten. Mit dem ganz traditionellen emotionalen Chanson „Voila“ sang sich Barbara Pravi aus Frankreich in die Herzen der Europäer. Die Juries belohnten dies mit dem zweiten Platz, das europäische Publikum per Televoting mit dem dritten – am Ende ein grandioser zweiter Platz in der Gesamtwertung. Damit erzielte Frankreich gleichzeitig sein bestes Ergebnis seit 30 Jahren.

 

Mit dem vielleicht etwas moderner aufgemachten Chanson „Tout l´univers“ erzielte Gijons Tears aus der Schweiz direkt dahinter den dritten Platz, als Gewinner der Jurywertungen und mit einem siebten Platz beim Publikum. Das Chanson als Aushängeschild der nationalen französischen Musikkultur konnte in Rotterdam ein doppeltes Comeback zum ESC feiern. Einstmals war es das prototypische Musikgut des größten europäischen Musikwettbewerbs, der nicht ohne Grund umgangssprachlich lange auch „Grand Prix d´Eurovision de la chanson“ genannt wurde. Nachdem Patricia Kaas 2009 einen respektablen achten Platz mit ihrem Chanson erzielte, sind die Top-3-Platzierungen für zwei Chansons in diesem Jahr eine nochmals größere Sensation.

Folklore-Pop aus der Ukraine und Russland

In vielen Ländern im Süden und Osten Europas ist die Mischung aus Popmusik und nationaler Folklore populär. Manch ein Zuschauer wird sich noch an die Erfolge etwa Griechenlands, Serbiens und der Ukraine mit solcher Musik beim ESC erinnern. Die Ukraine erzielte damit auch am vergangenen Wochenende in Rotterdam wieder einen Erfolg.

Die Gruppe Go_A ist in ihrer Heimat mit der Kombination aus Elektropop und ukrainischer Folklore populär, besonders hervorzuheben der im slawischen Sprachraum verbreitete „Weiße Gesang“. Diesen Stil vertrat die Gruppe Go_A auch beim ESC in Rotterdam mit dem Lied „Shum“. Die Juries belohnten dieses mitreißende tanzbare Lied mit einem neunten Platz. Noch mehr ergriffen wurden die Zuschauer und belohnten es mit einem sensationellen zweiten Platz. Gesamtergebnis war ein fünfter Platz.

Auf Folklore in moderner Verpackung setzte auch Russland. Maniza kombinierte in ihrem größtenteils in Russisch gesungenen „Russian Woman“ Sprechgesang, russische Tradition und einen Schuss Humor. Heraus kam ein respektabler neunter Platz, mit etwa gleicher Punktezahl von Televoting und Jury.

Das ESC-Finale von Rotterdam zeigte eindeutig, dass gerade national gefärbte Beiträge in Landessprache für Abwechslung sorgen und bei guter Darbietung auch mit Erfolg von Zuschauer und Jury belohnt werden. Es bleibt zu hoffen, dass viele Länder in Europa daraus ihre Lehre ziehen und den Mut zeigen, beim ESC 2022 einen eigenständigen Beitrag in ihrer nationalen Heimatsprache zu präsentieren. Nach dem Sieg Salvador Sobrals 2017 in seiner portugiesischen Heimatsprache war die Zahl der landessprachlichen Lieder 2018+19 deutlich höher.

Auch für Deutschland ist es an der Zeit, 2022 endlich einmal wieder einen deutschsprachigen Beitrag zum ESC zu schicken. Setzt Deutschland nächstes Jahr wieder darauf, mit einem schwachen Beitrag sich auf Nummer Sicher zu glauben, weil er ja in der Weltsprache Englisch gesungen wird, geschieht uns die Wiederholung des Desasters von Rotterdam ganz recht.

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David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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