Um dem unappetitlichen Verdacht des virtuellen Beischlafs mit aluhuttragenden Rechtspopulisten zu entgehen, haben sich mittlerweile etliche Akteure von ihrer Mitwirkung bei #allesdichtmachen distanziert. Ein Gastbeitrag von Frank Steinkron
Ich liebe Loriot, weil seine satirischen Einfälle aus dem Leben gegriffen sind. Dazu gehört auch der Spruch „Mein Gott, sind Männer unsensibel!“ aus dem Film ‚Pappa ante portas’. Er kam mir in den Sinn, als ich in der Zeitung las, ein Polizist aus dem österreichischen Burgendland sei vom Dienst suspendiert und zu einer Geldstrafe von 6.300 Euro verurteilt worden, weil er am 20. April letzten Jahres Eiernockerln mit Salat gegessen und dies zu allem Überfluss auch noch in den sozialen Medien gepostet habe. „Wie kann man nur so gedankenlos sein!“, durchfuhr es mich. „Am Geburtstag eines der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte dessen Lieblingsspeise zu verkosten!“
Des ‚Führers’ Leibgericht
Insofern fand ich das harte Urteil völlig gerechtfertigt, ganz gleich, ob sich nun ein Vorsatz nachweisen ließ oder ob Nockerln tatsächlich des ‚Führers’ Leibgericht waren – und nicht etwa Sachertorte oder Apfelstrudel, wie manche Historiker meinen. Entscheidend ist nämlich nicht, was jemand beabsichtigt, und auch nicht, was objektiv zutrifft, sondern was moralisch geboten ist. Ein guter Mensch verzichtet am 20. April ganz einfach auf Nockerln. Und sicherheitshalber auch auf Sachertorte und Apfelstrudel.
Allerdings ist es damit nicht getan. Weitere Daten der Geschichte erfordern einen ähnlich sensiblen Umgang. Zum Beispiel wäre es höchst unschicklich (und in Österreich womöglich auch strafbar), am 30. April Bruckners Siebte Symphonie zu hören, vor allem den zweiten Satz. Schließlich wurde das Adagio, der sogenannte Trauermarsch, an Hitlers Todestag – gemäß einer persönlichen Verfügung des Diktators – im Großdeutschen Rundfunk gespielt: unter Verwendung einer Schallplattenaufnahme von 1942 mit Wilhelm Furtwängler. Nicht zuletzt deswegen stand der Dirigent nach dem Krieg in üblem Ruf und erhielt Berufsverbot. Wäre er umsichtiger gewesen, hätte er im Voraus bedacht, welcher Missbrauch sich mit einer solchen Einspielung treiben ließe.
Problem Brandenburger Tor
Ein kritisches Datum ist auch der 30. Januar 1933, an dem die nationalen Sozialist*innen die Ernennung ihres Parteivorsitzenden zum Reichskanzler mit einem Fackelzug durchs Brandenburger Tor feierten. An diesem Tag sollte man Berlins Wahrzeichen weiträumig umgehen. Wer dies nicht tut oder gar auf die Idee kommt, das Bauwerk zu durchschreiten, darf sich nicht wundern, wenn man ihn/sie als Nachahmungstäter*in verurteilt. Desgleichen sind am 1. September Ausflüge nach Polen und am 22. Juni Reisen in die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zu unterlassen, zumindest von Deutschland aus. Und schließlich sollten vom 1. bis 16. August im Berliner Olympiastadion keine Sportveranstaltungen stattfinden. Welche Kontaktschuld sich daraus ergäbe, muss man einem historisch gebildeten Menschen nicht erklären.
Um aber auch die unwissende Restbevölkerung zu sensibilisieren, wäre es freilich hilfreich, die Bundeszentrale für politische Bildung würde ein Kalendarium erarbeiten, mit Hinweisen, wie man sich an heiklen Stichtagen angemessen verhält. Und vielleicht nähmen die beiden Volkskirchen darauf abgestimmte Speise- und Reiseverbote in ihre Beichtspiegel auf. Dies wäre jedenfalls eine gute Gelegenheit, ihre Systemrelevanz unter Beweis zu stellen.
Was ist der Satire noch erlaubt?
Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass das oben erwähnte Nockerln-Posting gar keine Unbedachtheit, sondern ein schlechter Witz war. Und damit kommen wir zu einem noch viel ernsteren Bereich, nämlich der Satire. Sie bedarf des sensiblen Umgangs nicht weniger als die Geschichte.
Selbstverständlich ist in der Satire alles erlaubt: alles, was statthaft ist. Nicht statthaft sind neben dem ungebührlichen Verzehr von Nockerln an Führergeburtstagen Aktionen wie #allesdichtmachen. Sehr überzeugend wurde in verantwortungsbewussten Medien darauf hingewiesen, Jan Josef Liefers und seine Mitstreitenden hätten auf schäbigste Weise 80.000 Coronatote verhöhnt und sich geistig mit den falschen Leuten „ins Bett gelegt“. Diese Kritik trifft ins Schwarze – ganz gleich, ob die Zahl 80.000 stimmt oder ob sie, wie Skeptiker argwöhnen, deutlich übertrieben ist. Ebenso irrelevant ist, ob die Betroffenen an oder mit Corona oder auch nur an coronaähnlichen Symptomen gestorben sind. Maßgeblich ist allein die gefühlte Zahl der Opfer. Mit ihr ist es Regierenden und Medienschaffenden in umsichtiger Zusammenarbeit gelungen, die Bevölkerung so weit zu sensibilisieren, dass sie wieder gehorchen lernt.
… außer wenn es von Böhmermann kommt
Ebenso unangebracht wie die Zweifel an den offiziellen Coronastatistiken ist die Verdacht, bei der vorgetragenen Kritik handele es sich um verlogene Empörungsrhetorik. Besonders betroffen ist Jan Böhmermann. Ihm wird unterstellt, er habe sich weitaus menschenverachtender verhalten: als er mit dem WDR-Kinderchor den Coronatod älterer Patienten als ein selbstverschuldetes und somit gerechtfertigtes Ereignis besang. Natürlich handelt es sich bei derlei Anwürfen um üble Hetze. Während Liefers und seinesgleichen die Gesellschaft spalten und einen eigensüchtigen Leichtsinn propagieren, hat Böhmermann eine notwendige Kontroverse angestoßen, um gerade junge Menschen nachdenklich zu stimmen. Der eine missbraucht Satire, der andere nutzt sie fürs Gemeinwohl.
Am absurdesten ist indes die Behauptung, ein richtiger Gedanke werde doch nicht dadurch falsch, dass er von den Falschen geteilt werde. Wer so argumentiert, will nicht wahrhaben, dass wir nicht nur für unsere Taten Verantwortung tragen, sondern auch für das, was andere mit unseren Taten anfangen (siehe den Fall Furtwängler). Oder anders ausgedrückt: Um schuldig zu werden, musst Du nicht erst zu einem Nazi ins Bett steigen. Es genügt, dass jemand sich vorstellt, mit Dir in einer rechten Sofaecke zu kuscheln.
Stalinistisches Schauprozessgehabe
Um dem unappetitlichen Verdacht des virtuellen Beischlafs mit aluhuttragenden Rechtspopulisten zu entgehen, haben sich mittlerweile etliche Akteure von ihrer Mitwirkung bei #allesdichtmachen distanziert. Einige baten sogar um Vergebung – in bewegenden Worten, die nur ein Zyniker mit den Schuldbekenntnissen in stalinistischen Schauprozessen oder mit den Widerrufen vor Inquisitionstribunalen assoziieren würde. Wer dies dennoch tut, verkennt, dass die Zeiten, in denen Witzigkeit keine Grenzen kannte, vorbei sind. Gerade die Satire hat ihre Grenzen. Die einen haben diese Grenzen gerade noch rechtzeitig gespürt – den anderen werden sie schon noch aufgezeigt werden.
Fraglos dürfen wir, um zu Loriot zurückzukehren, „gerne ein wenig schmunzeln, wenn es einen Anlass zum Scherzen gibt“. Aber wir sollten nicht auf den Gedanken verfallen, diesen Anlass selbst bestimmen zu wollen. Sonst könnte uns am Ende das Lachen noch vergehen. Denn Pardon wird nicht gegeben.
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