Freitag, 6. Dezember 2024

Türken feiern Nazi-Sympathisanten

Im November benannte die Stadtverwaltung von Istanbul, geleitet von der größten türkischen Oppositionspartei Republikanische Volkspartei (CHP), einen Park in Istanbul nach Hüseyin Nihal Atsız, einem rassistischen Antisemiten und einem der prominentesten Nazi-Sympathisanten der Türkei. Ein Gastbeitrag von Uzay Bulut

Der Antrag wurde von Mitgliedern einer anderen türkischen Oppositionspartei, „Die Gute Partei“ (Iyi), gestellt. Atsız (1905-1975) war dafür bekannt, „Schädel auszumessen“, um die „Menge an Türkentum“ in den Menschen zu bestimmen.

Im März brachte ein Mitglied der Guten Partei einen Antrag in die Istanbuler Gemeindeversammlung ein, in dem gefordert wurde, einen Park im Istanbuler Stadtteil Maltepe nach Atsız zu benennen. Der Antrag sagt, dass Atsız die meiste Zeit seines Lebens in der Köyiçi-Region von Maltepe verbracht hat, und das Thema wurde im November auf die Tagesordnung der Versammlung gesetzt. Nachdem der Antrag von der Versammlung verabschiedet wurde, erhielt der Park im Yalı-Viertel offiziell den Namen von Atsız.

Laut der offiziellen Website der Stadtverwaltung von Istanbul wurde der Antrag einstimmig angenommen. In einem Video, das in den sozialen Medien veröffentlicht wurde, bedankte sich der Maltepe-Zweig der Guten Partei beim Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu, einem Mitglied der CHP, für seine Unterstützung.

Traurigerweise hat Atsız immer noch viele Fans in der Türkei. Am 11. Dezember etwa postete Meral Aksener, die Vorsitzende der Guten Partei, auf Twitter:

„Mit Achtung und Respekt gedenke ich an seinem Todestag Hüseyin Nihal Atsız, einem der wertvollen Vertreter der Idee des türkischen Nationalismus und einem Übersetzer unserer Gefühle.“

Was sind also Atsız‘ Weltanschauung und sein Vermächtnis?

Atsız förderte den Pan-Turanismus, auch bekannt als Turanismus, Türkismus oder Pan-Türkismus, eine nationalistische, expansionistische Ideologie, die in der osmanischen Türkei während der Ära der Jungtürken (1908-18) aufkam. Der Turanismus glaubt an die Vorherrschaft der Türken und hat das Ziel, alle „Turkvölker“ von Ungarn bis zum Pazifik unter einem Dach zu vereinen. Das osmanische Komitee der Union und des Fortschritts (CUP), das die erste Phase des Völkermords an den Christen in der osmanischen Türkei von 1914-23 organisierte, war ebenfalls pan-türkisch-turanistisch. Die anhaltende Aggression der Türkei gegenüber Armenien, Israel, Zypern, Griechenland und anderen Nationen in der Region ist heute neben anderen extremistischen Ideologien auch durch den Türkismus motiviert.

In ihrem Buch Turkey, the Jews, and the Holocaust („Türkei, die Juden und der Holocaust„) beschreibt die Gelehrte Corry Guttstadt Atsız als „türkischen Apologeten des deutschen Nationalsozialismus“:

„Nihal Atsiz war ein begeisterter Nazi-Sympathisant. Er bezeichnete sich selbst als ‚Rassist, Pan-Türkist und Turanist‘ und war ein offener Antisemit. Ab 1934 veröffentlichte Atsiz die turanistische Zeitschrift Orhun, in der er für ein großtürkisches Reich eintrat, das sich vom Mittelmeer bis zum Pazifik erstrecken sollte. Sein Türkentum basierte auf Bluts- und Rassenbanden; er trat für eine Rückkehr zu vorislamischen türkischen Glaubensvorstellungen ein.“

Professor Jacob M. Landau notiert:

„Atsiz war ein großer Bewunderer der Rassentheorien des nationalsozialistischen Deutschlands und äußerte einige davon wiederholt in seinen eigenen Werken während der 1930er und 1940er Jahre (wobei er die Türken als ‚Herrenrasse‘ bezeichnete). In seinen Artikeln bestand er immer wieder darauf, dass der Pan-Türkismus durch Krieg erreicht werden könne – und sollte. Jahrelang ähnelte sein Haarschnitt dem Hitlers und seine persönliche Haltung hatte etwas Militärisches an sich.“

Atsız‘ Schriften führten zu Gewalt, als die jüdischen Gemeinden in Ostthrakien während des antijüdischen Pogroms 1934 angegriffen wurden. Atsız war damals Literaturlehrer in der Region. Guttstadt schreibt:

„Unmittelbar vor den Ereignissen von 1934 waren auch in der von Atsiz herausgegebenen Zeitschrift Orhun gegen Juden gerichtete Drohartikel erschienen.“

Nach einer Reise in die Stadt Canakkale, zum Beispiel, schrieb Atsız:

„Der Jude hier ist wie der Jude, den wir überall sehen. Ein heimtückischer, frecher, bösartiger, feiger, aber opportunistischer Jude; das jüdische Viertel ist hier das Zentrum des Lärms und des Schmutzes, wie [die jüdischen Viertel] überall sonst…. Wir wollen dieses verräterische und bastardhafte Volk der Geschichte nicht mehr als Bürger unter uns sehen.“

In einem anderen Artikel aus der gleichen Zeit schrieb Atsız:

„Die Kreatur, die in der Welt Jude genannt wird, wird von niemandem geliebt, außer von den Juden und den Unwürdigen… Redewendungen in unserer Sprache wie ‚wie ein Jude‘, ’nicht wie ein Jude handeln‘, ‚jüdischer Basar‘, ‚wie eine Synagoge aussehen’… zeigen den Wert, den unsere Rasse diesem abscheulichen Volk gibt. So wie der Schlamm nicht zu Eisen wird, selbst wenn er in einen Ofen gesteckt wird, kann der Jude nicht türkisch sein, egal wie sehr er sich bemüht. Das Türkentum ist ein Privileg, es wird nicht jedem gewährt, besonders nicht solchen wie den Juden… Wenn wir wütend werden, werden wir die Juden nicht nur ausrotten, wie es die Deutschen getan haben, wir werden noch weitergehen….“

Motiviert durch die Schriften von Atsız und anderen antisemitischen Autoren gingen die Türken vom 21. Juni bis zum 4. Juli 1934 in Pogromen gegen die Juden in Ostthrakien vor. Diese begannen mit einem Boykott jüdischer Geschäfte, gefolgt von physischen Angriffen auf Gebäude in jüdischem Besitz, die erst geplündert und dann in Brand gesetzt wurden. Jüdische Männer wurden geschlagen und einige jüdische Frauen angeblich vergewaltigt. Verängstigt durch diese Ereignisse, flohen viele Juden aus der Region. Laut dem Historiker Rifat Bali waren viele von Atsız‘ Anhängern direkt an den Unruhen beteiligt.

Atsız trug viel dazu bei, die türkischen Gemüter mit Judenhass zu berauschen. Laut dem Buch von Dr. Fatih Yaşlı, „Unser Hass ist unserer Religion: Eine Studie über türkischen Faschismus„, schrieb Atsız:

„Kann ein Kind der türkischen Nation, das jahrhundertelang Schwerter schwang und sein Leben auf Schlachtfeldern verbrachte, und ein Kind der jüdischen Nation, das jahrhundertelang sein Leben in Unehrlichkeit und Betrug verbrachte, gleich sein? Selbst wenn sie ein türkisches Kind und ein jüdisches Kind, das am gleichen Tag geboren wurde, in die gleiche Erziehungsanstalt bringen und ihnen nur die Sprache Esperanto beibringen und ihnen die gleiche Erziehung unter den gleichen Bedingungen geben, wird das türkische Kind bestimmt wieder mutig sein, und der Jude wird wieder feige sein.“

Atsız machte auch oft entmenschlichende Aussagen über andere Nicht-Türken. In Bezug auf Griechen, zum Beispiel, und dabei den türkischen Völkermord an Armeniern, Assyrern und Griechen bequem ignorierend, schrieb er:

„Können Griechen als Menschen betrachtet werden?… Der Grieche ist ein Skorpion. So wie der Skorpion die Schildkröte stach, die ihm beim Überqueren des Flusses half, um ihm einen Gefallen zu tun, und dann sagte: ‚Was kann ich tun? Dies [der Verrat] ist meine Gewohnheit‘, sind auch die Griechen von einer Gewohnheit der Feindschaft gegen die Türken geprägt.“

Atsız hasste fast alle nicht-türkischen Völker. In seinem Testament, schrieb Atsız unter anderem, sich an seinen damals eineinhalbjährigen Sohn Yagmur richtend:

„Die Juden sind der schlimmste Feind aller Nationen. Die Russen, die Chinesen, die Perser, die Griechen sind unsere historischen Feinde.

„Die Bulgaren, die Deutschen, die Italiener, die Briten, die Franzosen, die Araber, die Serben, die Kroaten, die Spanier, die Portugiesen, die Rumänen sind unsere neuen Feinde.

„Die Japaner, Afghanen und Amerikaner sind unsere zukünftigen Feinde.

„Die Armenier, die Kurden, die Tscherkessen, die Abchasen, die Bosnier, die Albaner, die Pomaken, die Laz, die Lezgins, die Georgier, die Tschetschenen sind unsere inneren [innertürkischen] Feinde.

„Auf den Kampf gegen so viele Feinde muss man gut vorbereitet sein.“

Sein Sohn Yagmur wuchs jedoch zu einem Menschen heran, der den Ansichten seines Vaters kritisch gegenüberstand. In einem Buch, das er 2005 schrieb, beschrieb er, wie sein Vater Schädel vermaß, um den „Türkisierungsgrad“ der Menschen zu bestimmen.

„Nihal Atsız war furchtbar [auf] Kopfbedeckungen fokussiert. Er vermaß die Schädel von Menschen, die er gar nicht kannte – neben den Schädeln seiner unmittelbaren Umgebung und Nachbarn. Dann berechnete er die Schädel akribisch und teilte ihnen mit, ob sie Türken waren oder nicht. Er sagte ihnen zum Beispiel, ob sie zu 37 Prozent, neun von zehn oder 69,4 Prozent türkisch waren. Für diejenigen mit einer niedrigen Rate an Türkentum hatte er immer Worte des ‚Trostes‘ auf den Lippen. Er sagte zum Beispiel: ‚Aber Sie können Ihren angeborenen Mangel durch eine außerordentliche freiwillige Anstrengung und ein wachsames Nationalbewusstsein teilweise beseitigen.‘

„Natürlich verliessen diejenigen, die nach der Schädelmessung eine niedrige Rate an Türkentum hatten, [unser] Haus jeweils in großer Verstörung.“

Yagmur Atsız fügte hinzu, dass das „Werkzeug“, das sein Vater zur Vermessung von Schädeln benutzte, eine Art Schiebelehre war, etwa 45 Zentimeter lang, und es lag immer auf seinem Schreibtisch. Atsız fügte hinzu, dass sein Vater die Schädelvermessungstätigkeit über Jahrzehnte hinweg fortsetzte.

Auch in den nächsten Jahrzehnten wirkte Atsız weiter auf das politische Leben der Türkei ein. Guttstadt merkt an:

„Antisemiten und Faschisten, inspiriert durch das deutsche Beispiel, wurden in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Konstante im politischen System der Türkei. 1962 gründete Nihal Atsız zusammen mit Gleichgesinnten die Türkçülük Derneği [Türkismus-Vereinigung], einen Vorläufer der faschistischen Nationalen Aktionspartei (Milliyetçi Hareket Partisi, MHP), die in den siebziger Jahren für unzählige Morde an linken Studenten, Gewerkschaftern und Intellektuellen verantwortlich war. Der Anführer dieser Bewegung war Atsız‘ Mitstreiter Alparslan Türkeş.“

Zur MHP gehört auch die rechtsextreme, rassistische Graue-Wölfe-Bewegung (Bozkurtlar), die kürzlich in Frankreich verboten wurde, nachdem ein Denkmal für die Opfer des Völkermords an den Armeniern 1914-23 verunstaltet worden war. Offiziell als Idealistische Herzen (Ülkü Ocakları) bekannt, war die Bewegung in viele Gewalttaten gegen Zivilisten sowie politische und religiöse Persönlichkeiten verwickelt. Dazu gehören das Massaker an Aleviten in der Stadt Maras im Südosten der Türkei im Jahr 1978 und das versuchte Attentat auf Papst Johannes Paul II. im Jahr 1981.

Atsız‘ rassistische Weltanschauung hat zu Tod und Zerstörung so vieler Menschen geführt. Dennoch sind mindestens drei weitere Parks in Ankara und Antalya sowie eine Straße in der Stadt Amasya nach ihm benannt worden.

Was ist es also, das viele in der türkischen Opposition – einschließlich des Bürgermeisters von Istanbul – an Atsız‘ Gedanken und Aktivitäten förderungswürdig finden? Ist es seine „Schädelvermessung“, sein Nazismus, sein Rassismus, seine türkische Hegemonie und sein Hass, über den sich auch die türkische Opposition einig ist?

Heute stehen hinter vielem der anhaltend aggressiven Politik der Türkei, wie z.B. ihren anti-armenischen, anti-griechischen, anti-zypriotischen, anti-jüdischen, anti-kurdischen, anti-westlichen und anti-israelischen Aktivitäten, die rassistischen Ansichten von Atsız und Co. Millionen von Türken sind seit Jahrzehnten mit Atsız‘ naziähnlichen Ansichten vergiftet worden.

Offensichtlich scheinen sich die Ansichten vieler Mitglieder der türkischen Opposition nicht so sehr von der gewalttätigen, hegemonistischen Denkweise des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu unterscheiden. Solange die türkischen Oppositionsführer und Politiker sich nicht ehrlich der Geschichte der Verbrechen, des Abschlachtens und des systematischen Rassismus in der Türkei stellen und diese kritisieren, wird wahre Demokratie dort nur ein Traum bleiben.

**

Uzay Bulut, eine türkische Journalistin, ist ein Distinguished Senior Fellow am Gatestone Institute. Hier erschien sein Beitrag zuerst. Übersetzung Daniel Heiniger.

***

Unterstützen Sie bitte die Arbeit von „Philosophia Perennis“! Hier mit einem Klick:

PAYPAL

… oder auf klassische Weise per Überweisung:

IBAN: DE04 3002 0900 0803 6812 81
BIC: CMCIDEDD – Kontoname: David Berger – Betreff: PP

PP-Redaktion
PP-Redaktion
Eigentlich ist PP nach wie vor ein Blog. Dennoch hat sich aufgrund der Größe des Blogs inzwischen eine Gruppe an Mitarbeitern rund um den Blogmacher Dr. David Berger gebildet, die man als eine Art Redaktion von PP bezeichnen kann.

Trending

VERWANDTE ARTIKEL