Bundeswehr-Oberst legt umfassende Studie zu den Auswirkungen von Covid-19 auf die deutsche Sicherheitspolitik vor. Ein Gastbeitrag von Wolfgang Kaufmann
Covid-19 – die Pandemie und ihre Auswirkungen auf die deutsche Sicherheitspolitik“ lautet der Titel einer Studie von Matthias Rogg. Der 1963 in Wittmund geborene Historiker ist Oberst im Generalstab, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr in Hamburg und Leiter des an der Führungsakademie der Bundeswehr angesiedelten German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS), das den Text als „#GIDSstatement 1/2020″ publizierte.
Pandemie offenbart Defizite
Darin schreibt der Offizier gleich eingangs: „Die Gefahren einer Pandemie waren bekannt.“ Das gelte auch für die Bundeswehr und das GIDS, das immer wieder vor einem Szenario wie dem jetzigen gewarnt habe. Zuletzt sei dies auf dem World Health Summit im Oktober 2018 in Berlin der Fall gewesen.
Anschließend meint Rogg, dass die Corona-Krise Deutschland „unter vergleichsweise günstigen Rahmenbedingungen“ treffe. Die Kassen seien voll, das Gesundheitswesen exzellent sowie die Regierung stabil und handlungsfähig.
Andererseits offenbare die Pandemie aber auch „strategische Defizite“ der Bundesrepublik. Darunter fielen „das Fehlen substanzieller, eigentlich gesetzlich vorgeschriebener Ressourcen“ und „Engpässe bei vitalen Gütern im Gesundheitswesen …, die für eine weltweit bewunderte Industrienation kein Thema sein sollten“. Ähnlich unvorbereitet wäre man 2015 in die Asylkrise geschlittert. Daraus habe aber offensichtlich keiner der Verantwortlichen etwas gelernt.
Für den Verfasser des Papiers steht fest, dass die „sicherheitspolitische Landkarte nun … noch komplizierter wird“, auch wenn die Bedrohung durch das Virus erst einmal zum Abklingen mancher Konflikte führe.
Sieben Handlungsempfehlungen
Insbesondere könnten die „Folgen einer Ausweitung der Pandemie in sicherheitspolitisch volatilen Regionen … dramatischer kaum sein und die Krise hierzulande in bislang nicht vorstellbarer Weise noch verstärken“. Denn die Flüchtlingslager rund um die Welt seien „Hotspots“ von Covid-19, und die Krankheit der denkbar beste „Brandbeschleuniger“ im Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika.
Unter Verweis darauf, dass die Welt „in einem existenziellen Kampf“ stehe, „der sich für viele wie ein Krieg anfühlt“, gibt Rogg abschließend folgende sieben „Handlungsempfehlungen zu Covid-19 aus sicherheitspolitischer Perspektive“:
Erstens: Deutschland solle die sich nunmehr auftuenden neuen Chancen in der Außen- und Sicherheitspolitik nutzen.
Zweitens: Das Thema Gesundheit gehöre dringend in den Fokus der Außen- und Sicherheitspolitik und damit ebenso der Streitkräfte gerückt. Drittens: Die Ursachen und Verlaufsformen von Krisen wie der gegenwärtigen müssten mit wissenschaftlichen Methoden untersucht werden – auch und gerade durch Spezialisten der Bundeswehr.
Vernetzt denken und handeln
Viertens: Für die „Spannungsfelder“ im komplexen Geflecht aus Gesundheit, Wirtschaft und Sicherheit brauche es unbedingt „neue ethische Antworten“. Fünftens: Die Leistungsfähigkeit und Reichweite sämtlicher medizinischer Frühwarnsysteme sei kritisch und illusionslos zu überprüfen. Sechstens: „Wir brauchen eine ehrliche Auseinandersetzung über Deutschlands strategische Reserven.“
Dazu zähle auch der Personalbestand. „Das schon mehrfach politisch beerdigte Thema eines verpflichtenden Dienstjahres gehört wieder auf die Agenda: wenn nicht jetzt, wann dann?“ Und Siebtens: Weil Covid-19 eine weltweite Herausforderung darstelle, könne diese auch nur global gemeistert werden.
Nunmehr müsse sich erweisen, ob die politischen Akteure in unserem Land willens und fähig seien, „vernetzt zu denken und zu handeln“. Die Gefahr durch Corona hätten sie jedenfalls „in allen Belangen unterschätzt“ – und dieser Fehler dürfe keinesfalls wiederholt werden, wenn es um die Auswirkungen der Pandemie gehe.
Der Beitrag erschien zuerst bei der PREUSSISCHEN ALLGEMEINEN.