Sonntag, 22. Dezember 2024

„Jenga“ – Turm der Anständigen: Rechtes Copyright auf Faschismus

Ein Gastbeitrag von Joshua Salewski

Weltanschauungen sind «Jenga»-Türme. Einzelne Steine neuralgische Punkte, die das Gedankengebäude zum Einsturz bringen können, sobald sie angetastet werden. Xavier Naidoo, lästigerweise ein migrantischer Popstar mit beachtlicher REICHweite, rüttelt am links(il)liberalen Elfenbeinturm, der 20.000 Meilen über der bundesrepublikanischen Realität emporragt. Aus den Twitter-Zimmern virtue-signallt es, dass die Wände beben:

„Gibt Ärzte für sowas…“, „Welche falschen Drogen hat er denn diesmal konsumiert?“, „Haben Drogen wirklich solche Spätfolgen?“ [1]

Was war geschehen? Nun, Ungeheuerliches! Quasi als «Uncle Tom» der Rechtspopulisten hatte Schmusetimbre Naidoo der Kaste der Haltungsheld*innen in einem nachgerade blasphemischen Videoclip eine faschistische Gesinnung bescheinigt – und das geht mal gar nicht, oder? Stellvertretend für den Zeitgeist zitierte er «CDU-Zerstörer» Rezo: «Es gibt nur eine legitime Meinung».

Zur Erinnerung: Das rote Spieglein Relotiano hatte Blauschopf Rezo letztes Jahr mit dem Untertitel «Die neue APO» [sic] aufs Cover gehievt – nebst vier weiteren bedeutungsschwanger posierenden «Weiße Rose»-Simulanten, die vermutlich nur kennen kann, wer bei 9/11 nicht vor der Glotze, sondern noch an der Nabelschnur hing. «Es gibt nur eine legitime Meinung»: Faschismus in a nutshell. 2015 dürfe sich nicht wiederholen, so das scheinheilige Mantra der Herrschenden. Wie wäre es mit: «“1984″ darf nicht passieren?»

Dass den von Naidoo Adressierten ein Lichtlein aufginge, war indes unwahrscheinlicher als ein veganes Kochbuch von Peter Altmaier. Stattdessen: quod erat demonstrandum im Twitter’schen Blockwart-Stadl:

«Der Spacken soll die Fresse halten», «Typisches Verschwörungs-Nazi Gefasel» usw.

Auch die Verbreiter des Naidoo-Clips, «Antifa Zeckenbiss», fanden klare Worte: Der Musiker sei «weiter auf Selbstzerstörungs-Tripp» [sic]. «Antifa Zeckenbiss»? Genau, jenes «Recherche»-Kollektiv, das uns seit dem Chemnitzer «Hetzjagd»-Video als verlässliche Quelle bekannt ist. [2]

NUR EINEN OBERLIPPENBART ENTFERNT

Die zuverlässig abgespulte Empörung der «Helldeutschen» liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sie nie lernten – oder akzeptierten –, dass «faschistisch» und «nazistisch» mitnichten Synonyme sind, Naidoo folglich niemanden als (massenmordenden) Nazi bezeichnet hat. Vielmehr benutzt er den Begriff «faschistisch» gemäß seiner eigentlichen Bedeutung: Eine Geisteshaltung, die sich gegen einen «Pluralismus in Lebensweisen, Verhaltensweisen und Meinungen» [3] richtet.

Eine Definition, die den kognitiv Sparflämmelnden jedoch nicht einleuchten kann. Das konstituierende Ideologem der Linken nämlich, das den ganzen Laden zusammenhält, ist eine in Stein gemeißelte Links-Rechts-Dichotomie, bei welcher die Rollen «Gut» und «Böse» eindeutig verteilt sind. Oder auch: Nur Rechte haben das Copyright auf Faschismus.

Die Geschichte der Anständigen geht so: Dem weltoffen-toleranten, Allheil versprechenden Sozialismus, der historisch immer nur irgendwie das Pech hatte, «suboptimal» und mit der Kollateral-Petitesse von rund 100 Millionen Todesopfern umgesetzt zu werden, wird ein isolationistisch-(spieß)bürgerlicher Konservatismus gegenübergestellt, der in seinem Schoß die Frucht des verhassten Kapitalismus trägt. Konservative – oder für den Schäuble Wolfgang, der auf biologistisch motorisierten Rädern Richtung Zukunft durch die Nacht fährt: Jene, die «Europa in Inzucht degenerieren lassen» [4]. Wobei, der Reihe nach: Wenn der Konservatismus nicht vornherein schon mit Nazismus oder Faschismus gleichgesetzt wird, so wird ihm per wohlfeilem Dammbruch-Argument zumindest attestiert, er sei stets nur einen ikonischen Oberlippenbart oder ein «Tichys Einblick»-Abo von eliminatorischen Tendenzen entfernt.

Tja, was dem micheldeutschen «Arsch-Abwischer gegen Corona» sein geliebtes Klopapier, ist dem Kämpfer gegen Rechts der logische Fehlschluss: Die Conditio sine qua non, Notwendigkeit fürs Überleben. Wollen die Vitalparameter der edelmütigen Antifas und Georg Restles dieser Republik nicht final in einer Flatline versiegen, so müssen sie von der Gewissheit beatmet werden, dass der verbrecherische Nationalsozialismus nicht ebenfalls ein Kind ihrer kollektivistischen Erlösungsideologien war. Fleisch vom Fleische: Während der Rassenwahn Hitler-Deutschlands durch «Reinhaltung»sfantasien geprägt war, äußert sich jener der heutigen Internationalsozialisten durch das Bestreben, alles in einem vermengten, konturlosen Nichts aufgehen zu lassen

AUF MEIN SIGNAL LASST IHR DIE KEULEN LOS!

Dass die Nationalsozialisten den Kampf nicht nur gegen Kommunisten führten – aus deren Kreisen sie teilweise ihre SA-Schlägertrupps rekrutierten –, sondern auch und vor allem gegen Rechte, ist der neuralgische Punkt des linksliberalen Gedankengebäudes. Wären die NationalSOZIALISTEN dezidiert rechts gewesen, wir hätten es mit einer bemerkenswerten Form der Autoimmunerkrankung zu tun: Immerhin zählten die Rechtsintellektuellen Gustav von Kahr und Edgar Julius Jung zu den ersten Mordopfern des Röhm-Putsches. Noch im Jahr 2003, das angesichts des aktuellen Wahnsinns wie ein weit entferntes Paralleluniversum erscheint, fragte eine Tageszeitung «taz»sächlich: «War Adolf Hitler ein Linker?» [5]

Dennoch: Die jahrzehntelang kolportierte Prämisse, bei den Braunhemden hätte es sich um eine genuin rechte Bewegung gehandelt – und das wider ihre anti-individualistische wie anti-kapitalistische DNA –, ist sakrosankt. Wer seine Hand also bloß in Richtung dieses «Jenga»-Steins führt, auf den muss zwangsläufig das Sperrfeuer erprobter Kampfvokabeln einprasseln. Wären die Linken Russell Crowe in «Gladiator», ihr Befehl lautete: «Auf mein Signal lasst ihr die Keulen los!» – die da wären:

geschichtsrevisionistisch, geschmacklos, holocaust-verharmlosend und – natürlich – faschistisch.

Denn merke: Für das Seepferdchen in «Wir sind mehr»-Argumentationskunst ist es vonnöten, berechtigte (Faschismus-)Vorwürfe mit eben den gleichen oder noch gemeineren (pathologisierenden) Gegenvorwürfen zu kontern. Stattdessen mal den Köpfer in inhaltliche Gewässer zu wagen? Na, eher noch plumpst der Linke beim Versuch, sein Spiegelbild zu küssen, ins Becken. Freilich nicht, ohne seinem Gegner noch schnell ein «Verschwörungstheoretiker!» entgegenzublubbern.

Den reflexartigen Drang der Hauptströmler, Freischwimmer unter Wasser zu drücken, sie ihrer sozialen Existenz zu berauben, könnte man, ja, als faschistisch werten. Bekanntlich aber leben wir in einem Deutschland, in dem wir gut und gerne leben, und da will ich das Verhalten der Massen(medien) lieber wie folgt beschrieben wissen: «Haltungsstark», «den Anfängen wehrend»! Sonst kracht mir dieser «Jenga»-Turm noch entgegen, und das wäre in den Worten von Mama Merkiavelli: «nicht zielführend».

Quellen:

[1] «Antifa Zeckenbiss» (Twitter: https://twitter.com/AZeckenbiss/status/1244966349383897094)

[2] «SPÄTES EINGESTÄNDNIS – PEINLICHES SCHWEIGEN: War Chemnitz und die Hetzjagd eine Notlüge?» (Tichys Einblick: https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/war-chemnitz-und-die-hetzjagd-eine-notluege/)

[3] «Gleichschaltung beginnt in den Schulen» (Dr. habil. Heike Diefenbach und Michael Klein, ScienceFiles: https://sciencefiles.org/2013/01/21/gleichschaltung-beginnt-in-den-schulen/)

[4] «Wolfgang Schäuble: „Abschottung würde uns in Inzucht degenerieren lassen“» (DER TAGESSPIEGEL: https://www.tagesspiegel.de/politik/wolfgang-schaeuble-abschottung-wuerde-uns-in-inzucht-degenerieren-lassen/13706442.html)

***

Unser Gastautor Joshua Salewski schreibt über sich: Als Jugendlicher war ich sozialistisch unterwegs. Bis ich bemerkte, dass ich mich auch meines Verstandes bedienen kann und sollte. Seitdem reduzieren sich (Facebook-)Freunde wie Beischlafmöglichkeiten stetig. Doch ich halte es da mit Churchill: «Sie haben Feinde? Gut. Das bedeutet, dass Sie für etwas eingestanden sind, irgendwann in Ihrem Leben.» Fun Fact: Aufgrund meiner krypto-linken Optik kriege ich von Antifas entweder gar nicht oder wenigstens als Letzter aufs Maul. Hier geht’s zum Facebookprofil unseres Gastautors

PP-Redaktion
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Eigentlich ist PP nach wie vor ein Blog. Dennoch hat sich aufgrund der Größe des Blogs inzwischen eine Gruppe an Mitarbeitern rund um den Blogmacher Dr. David Berger gebildet, die man als eine Art Redaktion von PP bezeichnen kann.

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