Samstag, 23. November 2024

Juan Moreno, der Relotius überführte: Was hinter den Kulissen des SPIEGEL vor sich ging

Vor einem Jahr deckte der SPIEGEL-Autor Juan Moreno einen der größten Fälschungsskandale des deutschen Journalismus, den größten medialen Lug und Betrug seit den Hitler-Tagebüchern auf. Vorgestern Abend war Moreno nun bei Maischberger und erzählte aus dem Nähkästchen, wie es im SPIEGEL hinter den Kulissen tatsächlich zuging, dass man ihm indirekt drohte, seine Anschuldigungen gegen den SPIEGEL-Lügner vom Dienst Claas Relotius könnten sein Karriereende bedeuten, nicht nur bei diesem Blatt, sondern überhaupt. Ein Gastbeitrag von Jürgen Fritz

Doch Moreno zog den Schwanz nicht ein, reiste auf eigene Kosten in die USA und recherchierte Relotius hinterher. Was er dabei entdeckte und was dann geschah, erzählte er nun ganz offen.

Claas Relotius, der Mann, der im SPIEGEL jahrelang schön gemachte Märchen erzählte und als Journalismus verkaufte

Claas Relotius hat für den SPIEGEL viele große Reportagen geschrieben, aber leider enthalten wohl die meisten erfundene Passagen. Es tut uns leid, was passiert ist – und wir werden den Fall in aller Demut aufarbeiten.“ Dies schreiben vor einem Jahr der heutige Chefredakteur des Spiegel, Steffen Klusmann, der damals kurz vor der Übernahme dieses Postens stand, und der stellvertretende Spiegel-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit. Relotius war „kein Reporter“, wie wir heute alle wissen und sogar der SPIEGEL inzwischen selbst zugibt, sondern einer, der „schön gemachte Märchen“ erzählte, wann immer es ihm gefiehl. Aber dieser junge „Märchenerzähler“ wurde mit Preisen nur so überschüttet. Nein, nicht Erzähler-, sondern Journalistenpreisen.

Was dahinter steckt, Stichwort ideologische Verblendung, die verschworene Einheit, welche der Lügner und die, welche von ihm belogen werden wollen und genau diese Lügen verlangen, ja nach ihnen dürsten, habe ich vor kurzem hier ausführlich analysiert: Irrtum, Lüge, Ideologie: die drei Gestalten des irrenden und irreführenden Bewusstseins.

Der Fall Relotius stellte „einen Tiefpunkt in der 70-jährigen Geschichte des SPIEGEL“ dar, so Ulrich Fichtner, der Relotius mit aufgebaut hatte und der kurz davor stand, zu einem von drei Spiegel-Chefredakteuren ernannt zu werden. Als Autor oder Co-Autor hat Claas Relotius in den letzten zehn, elf Jahren im SPIEGEL 55 Originaltexte veröffentlicht. Diese mussten alle überprüft werden. Denn Relotius hatte, nachdem man ihn immer mehr in die Zange nahm und es keinen Sinn mehr hatte, alles zu leugnen und immer weiter zu lügen, zugegeben, dass er teilweise korrekt recherchiert habe, teilweise aber auch Dinge dazugedichtet und manches sogar schlicht frei erfunden hatte und zwar nicht zu wenig.

Ich hoffe, du weißt, was du tust – das wird eine Hinrichtung, entweder die von Relotius oder deine

Juan Moreno, der Aufklärer, schildert in dem Gespräch mit Maischberger, das tief blicken lässt, wie es wohl in vielen deutschen Blättern zugeht, nicht nur beim SPIEGEL zugeht, wie schwer es für ihn war, dass am Ende tatsächlich der Liebling des Magazins Relotius, der in Wahrheit nichts weiter war als ein Betrüger, als Buhmann dastand und nicht er selbst. Der Lügner vom Dienst, das blasse Karrieremännlein erzählte dann natürlich sofort, dass er krank sei und dass man ihm helfen müsse. Dieses Muster kennen wir ja zur Genüge. Ob es nun ein Honecker, ein mordender Immigrant oder ein höchst erfolgreicher SPIEGEL-Schreiberling ist, heute sind diese alle noch kerngesund und morgen, sobald sie überführt wurden, sind sie alle schlagartig schwer krank, so dass man diesen armen Menschen doch helfen muss.

„Ich hoffe, du weißt, was du da tust“, soll sein Chef zu Moreno gesagt haben, der seinem betrügerischen Kollegen auf die Schliche kam und es seinem Vorgesetzten meldete. Das werde eine Hinrichtung sein, entweder die von Relotius oder seine eigene. „Ich ging davon aus, es ist meine“, sagte Moreno vorgestern Sandra Maischberger. Es sei „eine dicke Wand“ gewesen, gegen die er anrennen musste und er spürte, dass diese Aufklärung beim dem angeblichen Aufklärungsmagazin schlicht nicht gewollt war, von wegen: „Sagen, was ist“, wie das SPIEGEL-Motto lautet. Man glaubte ihm nicht, ja mehr noch: Man wollte ihm nicht glauben.

„Es waren auch viele Leser, die das mochten“

Dabei war vor zwölf Monaten bereits geplant, dass Relotius Ressortleiter, also Vorgesetzter von Moreno werden sollte, sein damaliger Chef, dem er das sagte, sollte Blattmacher werden und der, der ihn eingestellt hatte, sollte Chefredakteur werden. Das alles störte Juan Moreno mit seinen Zweifeln, Indizien und Enthüllungen natürlich. Selbst als er mit einer ganzen Reihe von Fakten und Indizien aus den USA, wo er Dinge nachrecherchiert hatte, nach Hamburg zurückkam und sie dem SPIEGEL vorlegte, wollte man ihm noch immer nicht glauben und den Liebling des Hauses, den Märchenerzähler, der sich als Journalist ausgab und den der SPIEGEL „Jahrhunderttalent“ nannte, nicht fallen lassen.

Und dann sagt Moreno etwas ganz Entscheidendes, worauf ich immer und immer wieder hinweise, Stichwort: Das Problem ist das Volk„Es waren auch viele Leser, die das mochten“ (jeder Drogendealer weiß, was seine Kunden wollen, und liefert ihnen natürlich genau das. Dann werden sie ihn lieben, er wird reich und erfolgreich und alle sind zufrieden. Die Ideologie braucht den Blender, die und diejenigen, die danach dürsten, geblendet zu werden. Sonst funktioniert es nicht. Und wonach dürsten die Leser? Nach wohlformulierter extremer Simplifizierung und Bedienung ihrer Vorurteile, so dass sie möglichst wenig denken und vor allem ihr bisheriges Weltbild nicht verändern müssen. Sie wollen gefüttert werden mit solchem, das ihre Weltanschauung exakt bestätigt, nicht mit solchem, das diese stört. Wer jenes und nicht dieses macht, dem fressen sie aus der Hand.

Der breiten Masse geht es immer primär ums gute Gefühl, nicht darum zu wissen, was ist

„Der hat in seinen Texten die Leute so ein bisschen in den Arm genommen“, sagt Moreno und erklärt es anhand des Syrienkrieges, der unglaublich komplex und sehr schwer zu verstehen ist. „Und dann kommt jemand, der erklärt einem auf sieben, acht Seiten diesen Syrienkrieg auf ganz einfache, sehr eingängige, kurzgesichtenartige Weise.“ Und jetzt bitte genau auf die Formulierung achten: „Und am Ende hat man das Gefühl , a) ich hab’s verstanden, b) es ist nicht wahnsinnig kompliziert und kuck mal, wie niedlich ist der kleine Junge.“ 

Hier sagt Moreno das Entscheidende: Es geht der breiten Masse niemals um Wahrheit, es geht ihr niemals darum, wirklich zu wissen und zu verstehen, was ist, sondern es geht um das gute Gefühl. Das Gefühl, das Ganze verstanden zu haben, und dabei darf die Erklärung nicht zu kompliziert sein, denn sonst wird es geistig anstrengend und geistige Anstrengung fühlt sich eben für die meisten nicht gut, genauer: nicht angenehm an.

Relotius schrieb nicht sach-, sondern nachfrageorientiert, nun attestiert er sich selbst einen krankhaften Realitätsverlust

Dieses unangenehme Gefühl hat Relotius seinen Lesern erspart und ihnen gegeben, wonach sie dürsteten: wohlformulierte, eingängige Texte, die das Gefühl vemittelten, man würde die Dinge verstehen. Relotius schrieb nicht sach-, sondern nachfrageorientiert und das mögen die Leute. Sie wollen bedient, sie wollen, dass ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Ob das wahr ist, was man ihnen berichtet, ist den meisten nicht wichtig, oft sogar völlig egal. „Er hat viele latente Vorurteile bedient“, sagt Juan Moreno über seinen Ex-Kollegen. „Das heißt, er hat das geschrieben, was die Leser gerne lesen wollen und deswegen war er auch so erfolgreich?“, fragt Maischberger daher ganz treffend. Ja!

Und der Märchenonkel und vom SPIEGEL und vielen anderen gefeierte Lügner und Betrüger vom Dienst gibt nun in seiner ganzen Larmoyanz zum besten, er habe einen krankhaften Realitätsverlust, als ob er der einzige wäre in dieser Branche und in diesem Volk. Ob Relotius krank sei, wisse er nicht, sagt Moreno, er sei einfach ein notorischer Lügner, der sich niemals seiner Verantwortung gestellt hat, bis heute nicht.

Juan Moreno bei maischberger vom 18.12.2019

Der Beitrag erschien zuerst bei JÜRGEN FRITZ

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