Mittwoch, 25. Dezember 2024

9. November: Ein geschichtsträchtiger Feier- und Gedenktag in Deutschland

Es war am 9. November 1989, als die sozialistische Partei- und Staatsführung der DDR unter dem Druck ihrer aufbegehrenden Bürger die Berliner Mauer sowie alle anderen Grenzzäune öffnen ließ, hinter denen sie ihre Bürger jahrzehntelang mit festem Griff unter Kontrolle gehalten hatte. Ein Gastbeitrag von Herwig Schafberg

Solange das Brandenburger Tor geschlossen wäre, bliebe die deutsche Frage offen. So hatte man es in den Jahren zuvor im Westen häufig gehört. Und als es geöffnet wurde, konnte endlich wieder zusammenwachsen, „was zusammengehört“, wie Willy Brandt nach dem 9. November zukunftsweisend sagte.

Es war zwar schon lange her, daß die Deutschen im Westen des Landes sowie Berlins ihre Verbundenheit mit ihren „Brüdern und Schwestern jenseits von Mauer und Stacheldraht“ dadurch zu zeigen pflegten, daß sie zu Weihnachten Kerzen ins Fenster stellten; aber daß es 40 Jahre nach der Teilung Deutschlands immer noch ein grenzübergreifendes „Wir“-Gefühl zwischen den Kohls im Westen und den Krauses im Osten gab, war weit und breit zu spüren, als nach der Öffnung der Mauer sowie der anderen Grenzen Millionen Ostdeutsche gen Westen strömten und dort nicht als Fremde, schon gar nicht als Ausländer, sondern als Landsleute willkommen waren.

Wir Deutschen wären jetzt das glücklichste Volk der Erde, schwärmte Walter Momper, seinerzeit Regierender Bürgermeister von Berlin. Glücklich waren nicht bloß Ältere, die noch in jüngeren Jahren Deutschland als „einig Vaterland“ erlebt hatten, sondern auch junge Deutsche wie jener, der mir an der Mauer in Berlin auffiel, als er jeden aus dem Osten kommenden Trabi – wie nach der Maueröffnung üblich – auf`s Dach trommelnd begrüßte und begeistert „Deutschland“ rief. Wenn solche Begeisterung Ausdruck einer nationalistischen Stimmung war, wie mancher Linker kritisierte, dann war es ein „Nationalismus“, der sich von seiner schönsten Seite zeigte.

Es gab Kritiker wie Günter Grass, der befand, die Deutschen hätten nach Auschwitz keine nationale Einheit verdient, seine eigene SS-Vergangenheit damals aber noch verschwieg. Und es gab Grüne, die sich hinter Plakaten abbilden ließen, auf denen stand: „Nie wieder Deutschland.“ Die Grünen sowie ihr Berliner Ableger – die Alternative Liste (AL) – verstanden sich damals noch als linke Partei, der internationale Solidarität wichtiger als nationale Einheit zu sein schien.

Die Grünen hatten in ihren Reihen manchen rot lackierten Faschisten, der „nationale Befreiungskämpfe“ nur unterstützen wollte, wenn sie „antiimperialistisch“ waren: Beispielsweise Dieter Kunzelmann, der einige Jahre für die AL im Berliner Abgeordnetenhaus saß, obwohl er dafür eingetreten war, daß Palästina für Deutschland sowie Europa das sein sollte, was Vietnam für die USA  wäre, in einem Palästinenserlager eine Kampfausbildung erhalten hatte und im Verdacht stand, an der Vorbereitung eines Attentats auf Juden beteiligt gewesen zu sein.

9. November 1969: Linksextremisten wollen Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindehaus von Berlin (West) begehen

Dieter Kunzelmann gehörte damals zu den linksextremen Stadtguerillos, die für das geplante Bombenattentat verantwortlich waren. Das Attentat war zur Unterstützung der Palästinenser in ihrem „Befreiungskampf“ gegen Israel gedacht und gegen die Zionisten gerichtet, die von Linksextremisten für Agenten des US-Imperialismus gehalten wurden. Viele Linke in Deutschland taten sich nach Auschwitz allerdings schwer damit, gegen Israel vorbehaltlos Partei zu ergreifen. Kunzelmann hingegen hatte damit anscheinend kein Problem und warf Linken in einem seiner Pamphlete einen  „Judenknax“ vor.

Die Stadtguerillos waren nicht die einzigen Linksextremisten, die Juden gleich welcher Herkunft und Einstellung in der Mitverantwortung für den Zionismus sahen und kaum Skrupel hatten, Juden zu liquidieren: Dazu gehörte auch Wilfied Böse, der palästinensischen Luftpiraten bei der Entführung eines Flugzeugs nach Entebbe half und jüdische Passagiere selektierte, als stände er auf einer Rampe in Auschwitz, wo man vergleichbare Selektionen vorgenommen hatte (1976). Als eine zur Ermordung vorgesehene Jüdin ihm die Tätowierung zeigte, die sie im KZ erhalten hatte, entgegnete der rot lackierte Faschist ihr, daß er kein Faschist, sondern Humanist wäre.

Wenige Jahre zuvor hatte es vermutlich ebenso mit Beteiligung deutscher Linksextremisten Bombenattentate auf Verkehrsflugzeuge gegeben, von denen eines abstürzte und 47 Menschen in den Tod riß, sowie einen Anschlag auf das israelitische Gemeindehaus in München, bei dem sieben Überlebende des Holocaust umkamen (1972).

Im Vergleich dazu richtete das geplante Attentat auf das jüdische Gemeindehaus in Berlin keine Schäden an, weil der Zeitzünder jener Bombe nicht funktionierte, die Kunzelmanns Genossen ausgerechnet während einer Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der „Reichspogromnacht“ von 1938 zünden lassen wollten.

9. November 1938: „Reichspogromnacht“

Da Juden im christlichen Abendland lange Zeit keinen Grundbesitz haben durften und von Handwerkerzünften sowie Kaufmannsgilden ausgeschlossen waren, hatten viele von ihnen sich einen Platz in der Wissenschaft, aber auch in der Geldwirtschaft gesucht. Und manche brachten es nach der staatsbürgerlichen Gleichstellung zu Einfluss im gesellschaftskritischen Journalismus sowie zu Erfolg in der wachsenden kapitalistischen Ökonomie. Das erregte Argwohn und Missgunst von Anhängern jener „Rassenlehren“, die im 19. und 20. Jahrhundert den Zeitgeist dominierten. Insofern gehört der Antisemitismus gewissermaßen zu den Urformen des Antikapitalismus.

In der „Reichspogromnacht“ vom 9. November 1938 wurden folglich nicht bloß Synagogen angezündet, sondern auch und vor allem jüdische Geschäfte geplündert, soweit sie noch nicht „arisiert“ waren, Juden verprügelt und viele von ihnen in Konzentrationslager verschleppt. Das war der vorläufige Höhepunkt einer verhängnisvollen Entwicklung, die dann während des 2. Weltkriegs Millionen Juden aus ganz Europa nach Auschwitz und in andere Vernichtungslager brachte, in denen sie Opfer eines fabrikmäßig betriebenen Völkermordes wurden.

Adolf Hitler und seine Nationalsozialisten wollten, daß tradierte Rechtsgrundsätze und Moralvorstellungen keine Geltung mehr hätten, führten neue Rechte ein, die ausschließlich für die „arischen Herrenmenschen“ galten, und behielten sich vor, unter rassischen Aspekten zu entscheiden, wer zur Volksgemeinschaft gehörte. Unter diesen Aspekten wurde das Judentum ausgesondert und schließlich der Vernichtung preisgegeben.

Hitler stellte zwar nach seiner Machtübernahme (1933) den Terror in den Dienst seiner Bewegung, ließ ihn aber – von der „Reichspogramnacht“ abgesehen – von der Straße hinter Stacheldraht verlagern, wo ihn die meisten Deutschen nicht mehr wahrnehmen mußten und wohl auch nicht wollten. Er führte sich propagandistisch wirksam als starker Mann auf, der Ruhe und Ordnung wieder hergestellt hatte, und füllte mit seiner Selbsternennung zum „Führer“ das Machtvakuum aus, das durch den Sturz der Monarchie am Ende des 1. Weltkrieges entstanden war.

9. November 1918: Höhepunkt der Arbeiter- und Soldatenunruhen

Die Unruhen hatten begonnen, als die Kriegsflotte im Oktober 1918 den Befehl für einen Einsatz erhielt, viele Matrosen darin jedoch einen Versuch zur Verlängerung des verloren gegangenen Krieges sahen und meuterten. Die Meuterei weitete sich in wenigen Tagen über weitere Häfen aus und hatte zur Folge, daß Arbeiter in Berlin sowie anderen Städten streikten und gemeinsam mit den Meuterern Arbeiter- und Soldatenräte bildeten.

Um der Ausrufung einer Räterepublik durch radikale Linke zuvorzukommen, rief Philipp Scheidemann, Kovorsitzender der SPD-Reichstagsfraktion, am 9. November 1918 die Republik aus und verkündete, daß der Kaiser abgedankt hätte. Dem blieb nichts anderes übrig, als ins Exil zu gehen. Und an die Stelle des Kaisers trat 1919 – also vor 100 Jahren – ein Reichspräsident in Gestalt des Sozialdemokraten Friedrich Ebert.

Es war also ein sozialdemokratischer Präsident, der die schwarz-weiß-rote Flagge des Kaiserreichs durch die schwarz-rot-goldene und damit durch die Flagge der deutschen Freiheitsbewegung ersetzte. Linke von heute setzen sich zwar gerne für nationale Befreiungsbewegungen ein – aber nur, wenn diese „antiimperialistisch“ sind. Und viele von ihnen halten irrtümlicherweise schwarz-rot-gold für Farben der nationalsozialistischen Bewegung, der diese Farben jedoch ebenso suspekt waren wie denen, die heute beim Anblick dieser Farben zum „Kampf gegen rechts“ angeregt werden. Ich wollte, solche Halbgebildeten würden sich von Bundespräsident Steinmeier belehren lassen, der sich für eine historisch angemessene Würdigung unserer nationalen Symbolen aussprach.

Zu diesen Symbolen gehört auch das „Lied der Deutschen“ aus der Zeit der deutschen Freiheitsbewegung, das von Ebert zur Nationalhymne erklärt wurde. Historische Erfahrungen lassen es inzwischen angelegentlich sein, die erste Strophe nicht mehr anzustimmen, die dritte Strophe jedoch an einem Gedenktag wie dem 9. November mit gewachsener Überzeugung zu singen: „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland…“

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