(David Berger) Gestern ist das erste Buch der als Sea-Watch-Kapitän bekannt gewordenen Carola Rackete erschienen. In einer Kölner Kirche wurde es vor gut 100 begeisterten Fans präsentiert, die ihren Star am Ende mit stehenden Ovationen feierten. Die „letzte Generation“, als deren Sprecherin sich Rackete versteht, war freilich gar nicht erst erschienen.
Der Ort hätte nicht besser gewählt werden können für eine der ersten Buchvorstellungen zu Carola Raketes neuem Buch: die Kölner Südstadt. Hier wählt man links oder grün, isst vegan, in den Kneipen gibt’s „kein Kölsch für Nazis“ und man zahlt extrem hohe Mieten bzw. lebt in sündhaft teuren Eigentumswohnungen. „Normale Menschen“ unter 60 sind dort kaum zu finden. Außer vielleicht die Schüler der nahe gelegenen Waldorfschule und StudentInnen, wenn sie sehr reiche Eltern ihr eigen nennen, die hier dem Nachwuchs für die Studienzeit ein schickes Apartment mit Balkon gekauft haben.
Im ganzen gentrifizierten Viertel hatten schon viele Tage zuvor Plakate für die Veranstaltung, die man nur gegen Zahlung von 10 Euro betreten durfte, geworben. Ein Preis, der für die Zielgruppe keinerlei Problem darstellte. Aber eben das „Proletariat“ aus Kalk, Chorweiler und Mülheim von Anfang an ausschloss – hätte man dort überhaupt etwas von dem Rackete-Event erfahren. Etwas Bodenständigkeit und gesunder Menschenverstand hätten allerdings auch kaum zu der Veranstaltung gepasst.
Gegen den Kapitalismus, die EU und Trump
Und so stießen gestern die Plädoyers von Carola Rakete gegen Kapitalismus, Trump, die angeblich wichtige Menschenrechte missachtende EU, und „das System“ auf empfangsbereite Ohren. Die von Rackete viel beschworene „letzte Generation“ war zwar kaum vertreten.
Man hat nur eine Wahl: entweder man tut nichts oder man handelt (C.Rackete)
Das überwiegend grauhaarige Publikum klatschte aber immer wieder zustimmend, wenn davon gesprochen wurde, dass wir dringend unsere Konsumgeilheit ablegen und neue Wege gehen müssen. Aber auch tiefsinnige Aussagen wie „Man hat nur eine Wahl: entweder man tut nichts oder man handelt“ führten zu regelrechten Begeisterungsstürmen.
Sektenhafte Stimmung
Unterstützt wurden solche Aussagen Racketes stets mit Drohungen, wie wir sie bislang nur von apokalyptischen Sekten kennen: Immer wieder wurde spekuliert, wie lange das alles noch gut gehen könne, wann der Zeitpunkt gekommen sei, an dem alle Menschen dieser Erde ausgerottet, das Ende der Zivilisation gekommen sei. Immer freilich mit dem Hinweis auf den Untertitel des Buches (Kosten 16 kapitalistische Euro) und der mit ungeheurem Selbst- und Sendungsbewusstsein vorgetragenen Botschaft, dass die Generation der Racketes die letzte sei, die daran überhaupt noch etwas ändern könne. Endzeitstimmung, halb Kinderkreuzzugseuphorie, halb Aufruf zum Flagellantentum („Poentientiam agite“) in den Mauern eines durch seine Architektur brutalistisch, fast bedrohlich wirkenden protestantischen Tempels – da fehlte nur noch Luther, der sein Tintenfass zornig gegen den Teufel wirft.
Die sektenhafte Stimmung wurde noch dadurch verstärkt, dass schon vor Beginn der Veranstaltung engagierte Damen im kritischen Alter Flyer mit Werbung für „Kölle for future“ und andere „hippe“ Aktionen, Vereine und Selbsthilfegruppen gegen den Klimawandel verteilten.
In der anschließenden Diskussion gab es vor allem Selbstlob für eigene Aktionen: So etwa ein Aufruf, nichts im Internet (Verpackung!) zu kaufen und Opas und Omas, die statt auf Kreuzfahrten ihren Lebensabend zu genießen, jeden Freitag auf dem „Alter Markt“ stehen und so mit einem Banner etwas gegen den Klimawandel tun.
Hat der WDR doch recht, wenn er Rackete anlässlich einer vom GEZ-Zahler finanzierten Werbesendung für ihr neues Buch als „Vorbild für eine ganze Generation“ feierte?
Kapitän oder Kapitänin?
Bei so viel moralischer Überlegenheit bei dem Star des Abends wie bei seinen Fans fiel es gar nicht auf, dass die erste Moderatorenfrage des Abends, warum Rackete lieber Kapitän als Kapitänin genannt werden möchte, nicht so wirklich beantwortet wurde. Aber hey, warum fragen wir noch nach Mann, Frau oder all den anderen Geschlechtern, wenn es um das nackte Überleben geht?
Nach all dem, was sich da entwickelte, war auch eine einleitende Bemerkung des zuständigen evangelischen Pfarrers Mörtter (Foto r.) eigentlich überflüssig. Der ansonsten sehr sympathische und leutselige Geistliche hatte gleich zu Beginn der Veranstaltung gemahnt, dass es angesichts der Aktionen von Carola Rackete kein „Ja, aber“ gegen dürfe. Das Verbot des „Sed contra“, welches eigentlich die Debatte in der offenen Gesellschaft ausmacht und unsere Demokratie stärkt, wurde dann nur durch meine, die rundum durch moralische Überlegenheit geprägte Atmosphäre etwas störende Frage angetastet: nach dem unglücklichen Auftritt Racketes in Lampedusa, den Bevölkerung wie italienische Medien mit Buh-Rufen quittierten und letztlich neben Rackete in Deutschland nur Salvini in Italien, keinesfalls aber den „Flüchtenden“ etwas halfen. Die freilich war schnell durch eine Attacke Racketes gegen die ja ohnehin viel zur rechten Medien neutralisiert, mit den italienischen Zollbeamten habe sie sich ganz gut verstanden…
Nur noch fünf Jahre…
„Wahnsinn, nur noch fünf Jahre bleiben uns“, raunte mir eine Dame im Alter meiner Mutter, im Hosenanzug und mit „FcK AfD“-Button auf ihrem Pullover in Ikea Fleckerlteppich-Optik am Ende der Veranstaltung zu und nippte dabei mit besorgter Miene an ihrem Weißwein. Meine Frage: „Wieso UNS?“ ließ sie ratlos zurück.
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