Donnerstag, 19. Dezember 2024

Franz von Assisi, der Sultan und ein fragwürdiges Jubiläum

Wie viele Heilige, aber generell auch Nichtmuslime haben unter muslimischer Herrschaft ihren Glauben, ihre (atheistische) Weltanschauung mit dem Tode bezahlt? Wie viele Menschen wurden in den etwa 1400 Jahren islamischer Geschichte zwangsislamisiert oder der islamischen Herrschaftordnung unterworfen? Fragt Prof. Dr. Udo Hildenbrand in einem Gastbeitrag zu einem fragwürdigen Franziskus-Jubiläum

In Erinnerung an die Begegnung zwischen Franziskus und muslimischen Sultan al-Malik al-Kamil in Ägypten im Jahr 1219, also genau vor 800 Jahren, ist nach Auskunft der Zeitschrift „Franziskaner“ (Herbst 2019)  in der Gemeinschaft der „Franziskanischen Familie“ ein Jubiläum angesagt. Auch im „Deutschlandfunk“ wurde jüngst diese Begebenheit vor acht Jahrhunderten thematisiert.

Gewiss sollten geschichtliche Ereignisse immer wieder in Erinnerung gerufen werden, nicht zuletzt, um daraus zu lernen, auch  um ggf. dem bekannten Diktum widersprechen zu können: „Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler“. Doch ist diese Begegnung zwischen Franziskus mit dem Sultan  im Jahre 1219 ein adäquater Anlass, um ein Jubiläum zu feiern und sogar ein Jubiläumsjahr auszurufen, wie es die „Franziskanische Familie“ tut?

Gescheiterte Missionierungspläne

Diese skeptische Anfrage hat einen berechtigten Hintergrund: Bekanntlich  ist Franziskus mit  seinem Anliegen,  das ihn zu den Muslimen bzw. zum Sultan führte, letztlich gescheitert: die Missionierung der Muslime, verbunden mit einer „Friedensmission“. Auch einige positive Erfahrungen, die  Franziskus offensichtlich bei diesem Ägyptenaufenthalt gesammelt hatte, können das Misslingen seines ursprünglichen Vorhabens keineswegs ausgleichen. Aber reicht das schon für eine Jubiläumsfeier?

Was wäre wohl passiert, wenn Franziskus von seinen Missionierungsplänen in Ägypten nicht umgehend Abstand genommen hätte?

Hatte Franziskus nicht auch das große Glück, einem zurückhaltend agierenden, ihm persönlich wohlgesonnenen Sultan zu begegnen? Eine Ausnahmebegegnung in jeder Hinsicht. Doch jeder, der in Sachen Islam auch nur einigermaßen informiert ist,  wird in diesem Zusammenhang die Frage stellen, was wohl passiert wäre, wenn Franziskus von seinen Missionierungsplänen in Ägypten nicht umgehend Abstand genommen hätte. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre sein Los das Gefängnis oder gar der Märtyrertod gewesen.

Jedenfalls  ist es mehr als fragwürdig, aus dieser historischen Begegnung im Jahr 1219 überzeugende,  weiterführende Anregungen auf die heutige Dialog-Agenda „Christentum-Islam“ oder sonstige besonders bedeutsame, auch für unsere Zeit bereichernde Begegnungselemente zwischen Christen und Muslimen herauszulesen.

Franziskanische und andere christliche Blutzeugen im Islam

Im Blick auf das anberaumte Jubiläumsjahr „800 Jahre Franziskus und der Sultan“ ist vor allem zu fragen: Wird die „Franziskanische Familie“ bei diesem Jubiläum auch jener Franziskaner gedenken, die ihre Zuwendung zu Muslimen mit dem Tod bezahlen mussten? Oder sollen auch hier – wie in  anderen Fällen –  die harten Fakten der Geschichte einfach nach dem  weithin üblichen Muster  verschleiernder Dialogveranstaltungen wieder ignoriert und bewusst ausgeblendet werden?

Deshalb seien hier beispielhaft folgende Personen bzw. Ereignisse  der Kirchengeschichte in Erinnerung gerufen:

  1. Der Katalane Raimundus Lullus (1232-1316) war Franziskanerterziar. Als Philosoph, Theologe und Mystiker bewunderte er jahrzehntelang den Islam, verbunden mit einer außergewöhnlichen Toleranz gegenüber dieser Religion. Beide Religionen, Christentum und Islam, wollte er miteinander versöhnen. Doch am Ende seines Lebens resignierte er, weil er die Ausweglosigkeit seines Vorhabens erkannt hat. Von Muslimen gesteinigt, wurde  er später von Papst Pius IX. als Märtyrer seliggesprochen. Im Blick auf seine enttäuschte Liebe zum Islam kann der selige Raimundus Lullus mit Recht auch als tragische Symbolfigur der fundamentalen Unvereinbarkeit beider Kulturen“ (H.-P. Raddatz) bezeichnet werden.

  1. Die Vita des hl. Antonius v. Padua (1195-1231) ist eng verbunden mit dem Märtyrertod von fünf Franziskanermönchen. Antonius war zunächst Augustinerchorherr.  Etwa ein Jahr nach dem oben erwähnten Aufenthalt des hl. Franziskus in Ägypten (1219) wurden fünf Franziskaner von Muslimen in Marokko grausam ermordet. Es sind die ersten Märtyrer des Franziskanerordens. Von diesem Ereignis tief bewegt, trat Antonius nach einer Trauerfeier für diese franziskanischen Blutzeugen mit etwa 30 Jahren  in  den Franziskanerorden  ein, auch mit der Absicht,  selbst zur Missionierung  der Muslime nach Marokko zu reisen. Eine schwere Krankheit hat ihn daran gehindert.
  2. In der ersten Heiligsprechung seines Pontifikats hat Papst Franziskus im Jahre 2013 Antonio Primaldo und die mehr als 800 Märtyrer von Otranto/Italien zu Heiligen erklärt. Sie waren 1480 von islamischen Eroberern getötet worden, weil sie nicht zum Islam konvertieren wollten.
  3. Wie viele Franziskaner/andere Ordensleute /Christen wurden durch Muslime im Laufe der Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag ihres Glaubens wegen benachteiligt und verfolgt, wie viele haben den Märtyrertod erlitten?  Wie viele sonstige Nichtmuslime haben darüber hinaus unter muslimischer Herrschaft ihren Glauben, ihre (atheistische) Weltanschauung mit dem Tode bezahlt? Wie viele Menschen wurden in den etwa 1400 Jahren islamischer Geschichte zwangsislamisiert oder der islamischen Herrschaftordnung unterworfen?
  4. Im Zusammenhang mit dem hier nur angedeuteten Aufweis der äußerst problematischen Beziehungen zwischen Christentum und Islam soll auch auf die mittelalterlichen Gründungen geistlicher Ordensgemeinschaften hingewiesen werden wie jene der Trinitarier und der Mercedarier. Die Angehörigen dieser Orden waren bereit, für die Freilassung bzw. den Austausch christlicher Sklaven aus der Hand muslimischer Sklavenjäger ihr eigenes Leben einzusetzen. Die jahrhundertelang andauernden  Sklavenjagden von Muslimen im gesamten Mittelmeerraum, in Afrika, Asien und im übrigen Europa waren bekanntlich mit  immensen Opferzahlen verbunden.

Geschichtliche Fakten ignorieren oder thematisieren?

In heutiger Zeit stellt sich die Frage: Sollte nicht in unserer globalisierten Welt im Geist des Friedens und der Versöhnung auch mit der islamischen Welt ein  Schlussstrich gezogen werden unter die Vielzahl der jahrhundertelangen Feindschaftsgeschichten, der historischen Dilemmata, Tragödien und Dramen im Leben Einzelner und ganzer Völker?

Müssten nicht gerade auch Christen und Muslime mit ihrer gegenseitig belasteten Geschichte, bemüht sein, „das Vergangene beiseite zulassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen …“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Nostra Aetate, Nr. 3)? Oder ist es doch eher angebracht, sich der biblischen Mahnung zu erinnern: „Denk an die Tage der Vergangenheit, lerne aus den Jahren der Geschichte! Frag deinen Vater, er wird es dir erzählen, frag die Alten, sie werden es dir sagen“ (Deuteronomium 32,7) ?

Was im Fall der deutschen Geschichte gilt, muss logischerweise auch für die Geschichte des Islams und gleicherweise für die Geschichte aller Religionen und Weltanschauungen gelten.

Mit Recht wird der deutschen Bevölkerung bei jeder möglichen Gelegenheit die unselige Geschichte des Dritten Reiches zur bleibenden Mahnung in Erinnerung gerufen. Diese Erinnerungskultur soll mithelfen, eine erneute Katastrophe zu vermeiden. Was im Fall der deutschen Geschichte gilt, muss logischerweise auch für die Geschichte des Islams und gleicherweise für die Geschichte aller Religionen und Weltanschauungen gelten.

Jedenfalls liegt es nahe, die oben zitierte biblische Mahnung, aus der Geschichte zu lernen, nicht zu vergessen angesichts der sehr problematischen geschichtlichen Vorgänge, insbesondere aber auch nicht angesichts der Ereignisse, die in unserer Zeit weltweit im Zusammenhang mit dem Islam von vielen Menschen traumatisch erlebt und vom nichtislamischen Teil der Weltöffentlichkeit immer wieder entsetzt beobachtet werden.

Die Beschäftigung mit der Geschichte und der Theologie des Islams und der Blick auf Vorgänge in islamischen Staaten geben vielfachen Anlass, die weiteren Entwicklungen  mit Sorge und Skepsis zu betrachten. Außerdem besteht der Eindruck, dass mit Hinweisen auf Dialoge und Vereinbarungen allzu oft die Augen verschlossen werden vor der allgegenwärtigen Not und Bedrängnis von Christen, Juden und anderen Nichtmuslimen in Ländern mit islamischer Herrschaftsordnung.

Wird die anberaumte Feier helfen, dass in islamischen Staaten allen Menschen das Recht auf Religionsfreiheit im Sinne der UN-Menschenrechtserklärung gewährt wird?

Kann eine 800-Jahr-Feier daran etwas ändern? Wird die anberaumte Feier helfen, dass in islamischen Staaten allen Menschen das Recht auf Religionsfreiheit im Sinne der UN-Menschenrechtserklärung gewährt wird?

Ohne solch konkrete Vorhaben scheint die Begegnung des hl. Franziskus mit Sultan Malik al-Kamil und seine letztlich gescheiterte Mission vor 800 Jahren kein Grund für ein Jubiläum zu sein. Das damalige Zusammentreffen könnte/sollte jedoch  Ansporn sein, in den christlich – islamischen Gesprächen die „Friedensmission“ des Franziskus von Assisi aufzugreifen und in die heutige Zeit umzusetzen.

Das könnte und sollte damit beginnen, dass die vielen Christen, die aus islamischen Staaten geflohen sind, in ihre Heimat zurückkehren können, ihnen ihre Häuser und Äcker zurückgegeben werden und dadurch für sie wieder ein menschenwürdiges Leben möglich wird. Ein weiteres grundlegendes Ziel wäre: Den bedrängten Christen und sonstigen Nichtmuslimen  in den islamischen Ländern mehr Frieden, Sicherheit  und (Glaubens-) Freiheit zu ermöglichen. Die Begegnung zweier Menschen vor 800 Jahren würde in unserer Zeit tatsächlich wirksam werden.

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