Sonntag, 22. Dezember 2024

Spahn on tour – woran unser Gesundheitswesen wirklich krankt

Allerorten fast nur Flickschusterei, vor allem in der Pflege. Liegt es am Geld? Mangelt es an Fachkräften, oder wie kam dieser Mangel zustande? Fragt Albrecht Künstle

Nach sechs Wochen Klinikaufenthalt und den Nachrichten der letzten Wochen, dass der Pflegebereich in Deutschland vor dem Kollaps steht, sei mir gestattet, mich auch zu diesem Problem zu Wort zu melden. Weil ich 14 Jahre meines Berufslebens auch mit den Abläufen in Krankenhäusern und Sozialstationen der Caritas befasst war, kann ich mir ein Urteil auch auf diesem Gebiet erlauben.

Sehr aktueller Pflegenotstand

Ja wir haben – anders als einen aktuellen Klimanotstand – einen sehr aktuellen Pflegenotstand. Dafür werden verschiedene Ursachen ins Feld geführt und teilweise fragwürdige Lösungswege diskutiert. Bis hin zu kontraproduktiven Scheinlösungen – was nicht verwundert, weil erfolgreiche Therapien ohne treffende Diagnose selten sind. Das gilt nicht nur medizinisch. Ob das Ansinnen des Gesundheitsministers, Pflegepersonal Fernost und Mittelamerika zu holen, die Lösung ist? Nun zu den einzelnen Bereichen:

Geld(mangel?): Die Krankenhausfinanzierung erfolgt von zwei Seiten. Die Länder und große Kommunen sind für den Bau und Unterhalt (Investitionskosten) zuständig. Für den Krankenhausbetrieb, die Personalkosten sind es die Krankenkassen. Schlimm, dass Länder ihren Finanzierungsverpflichtungen nicht ausreichend nachkommen, jedenfalls nicht für Erhaltungsinvestitionen. Aber eine kostenlose Gesundheitsversorgung für Zuwanderer finanzieren. In Berlin erfolgt diese sogar mit anonymisierten Krankenversicherungskärtchen – „sexy“ wie Berlin so ist.

Bezahlung des Personals schlecht

Die Bezahlung des Personals hängt einmal von der Stärke der Gewerkschaft Ver.di ab, sowie von den Pflegesatzverhandlungen mit den Krankenkassen. Bei beidem liegt es im Argen. Ver.di ist zwar überall dabei, wo es etwas zu demonstrieren gibt, sei es gegen eine unliebsame Partei, für die unbegrenzte Zuwanderung von Leuten aus aller Welt, oder wenn sie Klimastreiks unterstützt. Aber als Gewerkschaft im eigentlichen Sinne versagt Ver.di. Das gilt für die eigentliche Vergütung des Pflegepersonals, erst recht aber für die Höhe der Zuschläge für belastende Arbeitszeiten. Die Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit, Schichtwechsel, Sonn- und Feiertagszuschläge verdienen den Namen nicht. Für das miserable Extrageld für solche Arbeitszeiten würden die Beschäftigten der Industrie nicht einmal den Zündschlüssel umdrehen, um zur Arbeit zu fahren.

Die Pflegesatzverhandlungen mit oder durch die Krankenkassen mit den Dienstleistern im Gesundheitswesen sind ebenfalls ein Sargnagel. Obwohl die Arbeitnehmerseite paritätisch in den Organen der Krankenkassen vertreten ist, führen sie diese Verhandlungen rigoroser als eingefleischte Unternehmensvertreter bei Tarifverhandlungen. Und engen damit gleichzeitig ihren tariflichen Verhandlungsspielraum ein. Schizophren kann man dazu sagen. Ohne die Präsenz der Gewerkschafter in den Sozialversicherungsorganen wäre es auch nicht schlechter.

Auch die Altersversorgung der Beschäftigten biete keinen Anreiz mehr, in den öffentlichen Dienst allgemein und die Pflege zu gehen. Die frühere Gesamtversorgung wurde 2001 abgeschafft und durch ein kapitalgedecktes Punktesystem ersetzt, das materiell 20 Prozent schlechter ist. Inzwischen noch schlechter, da die Ausfinanzierung der Altersversorgung im Zuge der Nullzinspolitik der EZB zu weiteren Einschränkungen hinsichtlich der Höhe der Betriebsrenten führt.

Fehlende Anerkennung der Gesundheitsberufe. Die mangelnde Wertschätzung dieser Tätigkeiten schlägt sich nicht nur in der Bezahlung nieder. Doch die Politik wäscht ihre Hände in Unschuld und verweist auf die Tarifautonomie. Und die Mindestlöhne schaffen auch keine wirkliche Abhilfe. Langjährig Beschäftigte beklagen darüber hinaus, dass sich viele Patientinnen und Patienten immer mehr aufführen, als würde das Pflegepersonal bessere Arbeitsbedingungen haben als sie selbst haben oder sie hatten.

Arbeitszeiten in der Pflege

Aus meiner Sicht sind die Dienstpläne der Krankenhäuser und Sozialstationen die Hauptursache für den Personalmangel. Ich kann mir ein Urteil erlauben, weil ich ursprünglich aus einem Unternehmen mit Schichtarbeitarbeit komme. Auch im Contischichtbetrieb rund um die Uhr wissen die Beschäftigten der Industrie, ob und wann sie an bestimmten Tagen in 3, 6 oder 9 Monaten eingeteilt sind. Entsprechend können sie ein Familienleben führen, das noch etwas mit „Leben“ zu tun hat. Solche regelmäßigen Schichtpläne sind möglich, indem normale Ausfalltage, wie durchschnittliche Krankheitstage, Fortbildung, Kurzurlaubstage, tarifliche Freistellungstage usw. für die Personalbedarfs- und Einsatzplanung berücksichtigt werden. Werden für den reibungslosen Betriebsauflauf 1.000 Arbeitskräfte benötigt, werden z.B. 1.200 vorgehalten. Die 200 ebenfalls fest Beschäftigten springen dann ein, wenn nächste Woche welche krank werden oder übernächste Woche Urlaub wollen.

Kein Betriebsurlaub

In einer „Gesundheitsfabrik“ gibt es keinen Betriebsurlaub, weshalb der volle Urlaub angesetzt werden müsste. Für alle normalen Ausfalltage wären ca. acht Wochen anzusetzen. 52,35 Jahreswochen minus diese 8 Wochen sind gegenüber den verbleibenden 44,35 Wochen 18 Prozent. Die Beschäftigtenstunden müsste deshalb 18 Prozent höher sein, als der theoretische Stundenbedarf gemäß der Mindestbesetzung der verschiedenen Abteilungen und Stationen. Aber ein so strukturiertes Personalwesen scheint bei Personalchefs und Pflegedienstleitungen unbekannt zu sein. Und das funktioniert dann so: Fällt jemand aus und man ist schon an der Personalbesetzungsgrenze, dann wird jemand aus der Freizeit angerufen, er möge doch das Loch stopfen. Doch mit dem unplanmäßigen Personaleinsatz aus der Freizeit heraus wird ein neues Loch aufgerissen. Wer solche Dienstpläne anschaut kann keinerlei Regelmäßigkeit erkennen; es sind keine Dienstpläne sondern Flickenteppiche. „Uns fehlt das Geld für bessere Dienstpläne“, wird entgegen gehalten. So eine Stuss, als ob die aus der Freizeit geholten Leute umsonst einspringen.

Eine solch freihändige Personaleinsatzpraxis schafft viel Unmut. Der Anteil von Ledigen, Alleinerziehenden und Geschiedenen ist nirgends so hoch wie im Pflegebereich. Die Beschäftigten sind eher mit ihren „Arbeitgebern“ und den Patienten „verheiratet“ als mit den Lebenspartnern. Das machen auf Dauer nur wenige mit. Einige halten das nicht aus, und kehren so dem Pflegedienst den Rücken. Oder sie sind ausgepowert und werden zu früh Erwerbsminderungsrentner/innen. Oder sie werden zu „Flüchtlingen“ der anderen Art: Ich komme aus Südbaden und weiß deshalb, was sich jeden Morgen auf dem Freiburger Bahnhof abspielt. Die Hälfte der morgendlichen ICEs nach Basel sind gefüllt mit Pflegepersonal. In der Schweiz verdienen sie nicht nur besser, sie haben geregeltere Arbeitszeiten, und eine höhere Wertschätzung.

Was tun die Krankenhäuser?

In Baden-Württemberg wurde wegen der gefährlichen Unterbesetzung z.B. auf Intensivstationen ein Personalschlüssel von 3,5/2,5 Patienten (tags/nachts) je Fachkraft verordnet. Und weil selbst dieser Schlüssel nicht immer erfüllt werden kann und heftige Strafen drohen, legen Kliniken OP-Betten still, was gleichzeitig weniger OP-Möglichkeiten bedeutet. Wenn aber so teure Bereiche „gesundgeschrumpft“ (?) werden, steigen die Abschreibungen der Investitionen je Fall. Ein Teufelskreislauf.

Und was tut unser Gesundheitsminister?

Spahn tingelt er durch die Welt und will Pflegekräfte aus dem Ausland holen. Als ob das die Lösung wäre. Dass es keine ist, zeigen die schon beschäftigten Pflegekräfte aus dem Ausland. Diese versorgten bisher unsereins, weil unsere Schulabgänger/innen lieber eine brotlose Kunst studieren wollen, statt in Berufe zu gehen die gebraucht werden. Doch eines scheinen unsere Regierungen auszublenden: Wer Arbeitskräfte ruft, holt weitere Nachfrage nach Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung ins Land.

Nachdem ich mich in der Klinik umsah, als ich wieder etwas beweglich war, sah ich, wie viele bärtige Männer und Kopftuchfrauen als Patienten die Klinik und andere Krankenhäuser füllen. Die Bevölkerungszunahme um zweieinhalb Millionen in nur fünf Jahren hinterlässt ihrer Spuren auch im Gesundheitsbereich. Besonders auffallend in der Gynäkologien der Häuser, in denen die Zuwanderer-Frauen über die Hälfte des Personalbedarfs der nötigen Geburtshilfe ausmachen. Es ist jetzt allgemein so, dass die osteuropäischen Pflegerinnen für die Versorgung der südländischen Mütter und Patienten kaum noch ausreichen. Für die Pflege sind sich die Edel-Ausländer aus dem Süden zu schade, sie geben als Berufswunsch Arzt an, drunter geht nichts.

Zauberlehrlinge sterben nicht aus

Fazit: Der Ruf auch nach Fachkräften im Gefolge von Merkels Lockruf von 2015 war vielleicht gut gemeint. Doch ihre Zuwanderungs-„Revolution frisst (nun) ihre eigenen Kinder“ (frei nach Wolfgang Leonhard). Denn laut Bundesamt für Migration hatten im Jahr 2018 bereits 1.229.203 „Erwerbsmigranten“ einen entsprechenden Aufenthaltstitel – alleine aus Drittstaaten ohne EU. Davon entfielen 33,6 Prozent auf Neubewilligungen, also 413.000 für Nicht-EU-Ausländer in einem Jahr. Meine Frage lautet, „Sag mir, wo sind sie geblieben?“, diese Erwerbsmigranten.

Aus Goethes Zauberlehrling: „Walle, walle manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe und mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße.“ Das erfolgte im Gedicht Schlag auf Schlag. „Und sie laufen! Nass und nässer, wird’s im Saal und auf den Stufen. Welch entsetzliches Gewässer! Herr und Meister! Hör mich rufen! – Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.“ Es lohnt, sich jenes Gedicht wieder einmal in Erinnerung zu rufen.

Ja, denn die Zauberlehrlinge scheinen nicht auszusterben. Die Neu-Zauberer glauben, dass sie nur Pflegpersonal und andere Fachkräfte rufen, die selbst und ihre Angehörigen nicht auch krank werden. Die 2,5 Mio. zusätzlichen Einwohner bedürfen aber der Gesundheitsversorgung. Und wenn aus diesen selbst nicht genügend Fachkräfte rekrutiert werden können, weiterer zu importierender Fachkräfte, die weitere Einwohn.er nach sich ziehen – ein „Rattenschwanz“ (umgangssprachlich „eine große Anzahl unentwirrbar miteinander verquickter unangenehmer Dinge“, aus einem Wörterbuch).

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